Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Bin ich heute das Essenskind?“
Beim kostenpflichtigen Mittagessen an Schulen werden soziale Unterschiede deutlich.
(fbl) Kann man mit knurrendem Magen lernen? Die Diakonie im Ev. Kirchenkreis Dinslaken hatte im Rahmen ihres Aktionsjahres „Kein Kind in Armut“ein Modellprojekt ins Leben gerufen: Die seinerzeit 78 Kinder der OGS (Offene Ganztagsschule) an der Grundschule am Dicken Stein in Hünxe-bruckhausen erhielten vom 1. März bis einschließlich 21. Juni 2023 kostenloses Mittagessen. Finanziert wurde das Essen durch Spenden, die das Team der Diakonie zusammengetragen hatte. Das Modellprojekt wurde vom Büro für Berufliche Bildungsplanung (Dortmund) wissenschaftlich begleitet. Ergebnisse liegen jetzt vor.
Anfang Februar 2023 nahmen von den insgesamt 78 OGS Kindern in der Schule Am dicken Stein im Durchschnitt nur 37 am warmen Mittagessen teil. Die übrigen Kinder brachten zum Mittagessen einen Snack mit. „Einige Familien mit mehreren Kindern konnten es sich nur leisten, für ein Kind Mittagessen zu bestellen“, schildert Nicole Elsen-mehring, Geschäftsführerin der Diakonie im Ev. Kirchenkreis Dinslaken, die Ausgangslage. Das habe unter Geschwistern und Eltern zu Fragen geführt wie „Bin ich heute das Essenskind?“
Wenn Essen übrig blieb, wurden Kinder angesprochen, für die kein Essen bestellt worden war. Kinder mussten warten, wofür sich manche schämten. Andere Kinder bettelten regelrecht und machten deutlich, dass sie Hunger haben.
In der Projektzeit stieg die Anzahl der zur warmen Mittagsmahlzeit angemeldeten Kinder gegenüber Januar 2023 auf im Durchschnitt 73,8 Prozent der OGS Kinder an – vor dem Modellprojektzeitraum waren es rund 48 Prozent. Das bedeutete eine Steigerung der Anmeldungen zum warmen Mittagessen um knapp über 50 Prozent.
Die Elternschaft unterstützte die Initiative der Diakonie Dinslaken für ein kostenloses Mittagessen für alle Kinder mehr oder weniger ausnahmslos. So gab es nur wenige Äußerungen von Eltern, die eine einkommensabhängige, mit Prüfungen und Nachweisen verbundene Regelung vorschlugen. Unabhängig von der Kostenfrage gab es einzelne Rückmeldungen, die sich auf die Qualität und Wahlmöglichkeiten der warmen Mittagsmahlzeit bezog
Befürchtungen, dass es zu einem „sorglosen Umgang“mit Essensbestellungen kommen könnte, bestätigten sich nicht. Es blieb auch nicht vermehrt Essen übrig. Kritik an der Tatsache, dass von dem Angebot Familien profitiert haben, die sich den Kostenbeitrag eigentlich ohne Weiteres leisten könnten, blieb aus. Die Teilnahme am Angebot einer warmen Mahlzeit war für Kinder und Eltern selbstverständlich.
Die wahrschlich wichtigste Erkenntnis: Die Atmosphäre unter den OGS Kindern in der Mittagszeit verbesserte sich deutlich. Ärger, Neid, Scham, Unsicherheit, Enttäuschung
– alles das fiel unter den (Essens-) Tisch.
„Die Aufmerksamkeit und Sensibilität für das Thema „Kinder- und Familienarmut“unter den Ogsmitarbeitern ist erhöht“, so das Fazit der Autoren der Begleitstudie. Ob dies auch für Kinder und Eltern zutreffe, könne vermutet, aber nicht belastbar beschrieben werden. Aber: „Die Zustimmung der Kinder für ein kostenloses Mittagessen für alle ist sehr hoch.“
Wobei Zustimmung nicht gleichbedeutend mit Unterstützung ist. So gab es im Informationsschreiben an die Eltern zu Beginn des Modellprojektes folgenden Hinweis: „Wenn allerdings einige von Ihnen das Projekt auf freiwilliger Basis mit den eingesparten Essensgeldern als Spende unterstützen wollen, freuen wir uns. So besteht die Chance, das Projekt auch über den 21.06.2023 hinaus fortzuführen.“Auf diesen Aufruf hin gingen über die dreieinhalb Monate lediglich Spenden in Höhe von 176 Euro ein.