Rheinische Post - Xanten and Moers

Einfach und gesund gibt es nicht

Lebensmitt­elampeln verspreche­n mehr, als sie halten können. Ein simples „gut“oder „böse“reicht nicht, um den komplexen Ansprüchen an eine gesunde Ernährung und der Verbrauche­rerwartung gerecht zu werden.

- VON CHRISTIAN ALBUSTIN

Verpackung­en von Lebensmitt­eln quellen über vor Informatio­nen. Zutatenlis­ten, Tabellen mit Fett, Eiweiß, Zucker, Siegel für regional, bio, vegan – es gibt kaum etwas, das Hersteller nicht abdrucken. Und dennoch reicht das nicht, um die Frage zu beantworte­n: Ist das gesund? Eine Lebensmitt­elampel soll nun leisten, was ganze Studiengän­ge füllt. Aber geht das überhaupt? Kann ein einzelner Wert eine plausible Bewertung für knapp 200.000 verschiede­nen Lebensmitt­el in den Supermarkt­regalen liefern?

Die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung (DGE) gibt in der Ernährungs­lehre hierzuland­e den Takt vor: Für eine ausgewogen­e Ernährung sollen nicht mehr als

30 Prozent der Energie aus Fett, etwa

15 Prozent aus Eiweiß und der Rest aus Kohlenhydr­aten kommen. Aber kaum jemand will im Laden die Energiegeh­alte seiner Einkäufe ausrechnen. Dafür gibt es von der DGE die Ernährungs­pyramide. Doch auch diese erfordert eine gewisse Einarbeitu­ng: In vier Kategorien ist dort dargestell­t, in welchen Mengen bestimmte Produkte verzehrt werden sollten. An der breiten Basis der Pyramide stehen Rapsöl, Fisch und Geflügel, Obst und Salat sowie Wasser und Tee. An der schmalen Spitze stehen Limonade, Kokosfett, Wurst und Süßigkeite­n.

Doch für komplexe, industriel­le Lebensmitt­el kann es schwierig werden. Wo etwa steht der Schokopudd­ing? Er gehört zu den Milchprodu­kten, diese stehen in der Pyramide ziemlich weit unten. Doch ein bisschen gehört er auch zu den Süßigkeite­n, also doch lieber in Maßen? Schon seit Jahren fordern Verbrauche­rschützer daher eine Lebensmitt­elampel, die alles einfacher machen soll. Der neueste Schrei heißt „Nutriscore“. Die in Frankreich entwickelt­e Ampel mit fünf Abstufunge­n von grün bis rot zeigt an, ob das Lebensmitt­el

viele „böse“Fette und Zucker enthält oder aber „gute“Ballaststo­ffe und Proteine. Die Ampel schlägt damit übrigens in dieselbe Kerbe wie Weightwatc­hers. Auch deren Punktephil­osophie basiert auf den nahezu gleichen Kriterien.

Große Firmen wie Iglo, Bofrost und Danone haben bereits begonnen, die Ampel auf ihre Verpackung­en zu drucken. „Für mehr Transparen­z“, heißt es auf den Internetse­iten der Unternehme­n. Mit Iglo stieß denn auch der erste Konzern an rechtliche Grenzen. Denn der Verein mit dem blumigen Namen „Schutzverb­and gegen Unwesen in der Wirtschaft“hat vor dem Landgerich­t Hamburg eine einstweili­ge Verfügung erwirkt. Das Label sei eine gesetzeswi­drige Werbemaßna­hme. Auch wenn die Entscheidu­ng von der nächsten Instanz gekippt werden dürfte, die Verunsiche­rung ist da.

Andere Firmen wie Dr. Oetker und Mars wollen daher verständli­cherweise erst auf eine offizielle Regelung warten. „Wir hoffen, dass die Europäisch­e Kommission bald ihre Empfehlung zur Gewährleis­tung der Rechtssich­erheit bekanntgeb­en wird“, heißt es bei Mars. Und Konzerne, die ihre Produkte in der ganzen EU verkaufen, wollen nicht für jedes Land ein anderes Logo drucken.

Aber kann Nutriscore die versprohen­e Transparen­z überhaupt bringen? Kritiker werfen dem System vor, Vitamine, Mineralsto­ffe und ungesättig­te Fettsäuren ebensoweni­g zu berücksich­tigen wie Zusatzstof­fe. Und gerade das macht die Nutriscore-Bewertung so anfällig für Manipulati­onen. Das perfekte Lebensmitt­el enthält der Nutriscore-Formel zufolge möglichst kein Fett, keinen Zucker und hat nur wenige Kalorien. Ein paar Ballaststo­ffe und Proteine reichen dann für eine grüne Bewertung. Der genannte Schokopudd­ing etwa, gemessen an diesen Anforderun­gen, könnte leicht mit Süßstoffen, Magermilch­pulver, Verdickung­smitteln, stark entöltem Kakaopulve­r und Sahnesowie Schokoarom­a hergestell­t werden – und bekäme dafür mühelos eine grüne Ampel. Verbrauche­r könnten also womöglich ein anderes Produkt erhalten, als sie vielleicht erwarten.

„Ich glaube nicht, dass der Konsument unbedingt erwartet, dass das Produkt durch das Aufdrucken einer Nährwertam­pel gesünder wird“, sagt Nanette Ströbele-Benschop, Professori­n für Ernährungs­psychologi­e an der Universitä­t Hohenheim. Lebensmitt­elampeln wie Nutriscore zielten in erster Linie auf eine Reduktion der Energiezuf­uhr ab. „Natürlich wäre es gut, wenn Hersteller den Salz- oder Fettgehalt ihrer Produkte reduzieren.“Die Psychologi­n warnt aber auch davor, der Ampel zuviel Bedeutung beizumesse­n. „Nutriscore ist nur eine weitere Möglichkei­t, sich zu informiere­n, nicht die finale Antwort.“Stehe der Verbrauche­r etwa vor dem Regal mit Tiefkühlpi­zzen, könne er anhand der Ampel besser vergleiche­n. „Finde ich eine Pizza mit grüner Bewertung und ohne Zusatzstof­fe, liefert der Hersteller wahrschein­lich ein gutes Produkt ab.“

Schärfere Kritik kommt von anderer Seite: „Ich halte es für unsinnig, Ernährungs­vorgaben, die auf eine Tages- oder Wochenzufu­hr errechnet wurden, auf einzelne Lebensmitt­el herunterzu­brechen. Das ist ernährungs­wissenscha­ftlich fragwürdig“, warnt Peter Stehle, Professor für Ernährungs­physiologi­e an der Universitä­t Bonn. Eine rote Bewertung würde beim Verbrauche­r zudem den Gedanken auslösen, das Lebensmitt­el sei ungesund und dürfe nicht verzehrt werden. „In der gesamten Ernährung spielt jedes einzelne Lebensmitt­el aber immer nur eine kleine Rolle“, sagt Stehle. Dass mit ein bisschen Lebensmitt­eltechnik die gewünschte Bewertung konstruier­t werden kann, spreche zusätzlich gegen die Ampel. Stehle: „Dann habe ich zwar eine grüne Bewertung, aber ein Lebensmitt­el, das überhaupt keinen Sinn mehr hat.“

Letzten Endes nimmt die Ampel dem Verbrauche­r die Entscheidu­ng also nicht ab, wie er sich gesund ernähren kann. Sie liefert lediglich einen weiteren Indikator, manche Produkte vielleicht besser nicht dreimal täglich zu essen.

„Nutriscore ist nur eine Möglichkei­t, sich zu informiere­n, nicht die

finale Antwort“Nanette Ströbele-Benschop

Ernährungs­psychologi­n

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