Rheinische Post - Xanten and Moers
Dachziegel flogen wie Diskusscheiben
Ein Straßenzug im münsterländischen Bocholt ist von einem Tornado getroffen worden. Laut Experten erreichte die Windhose 181 bis 253 Stundenkilometer. Die Anwohner sind geschockt – und erleichtert, weil es keine Verletzten gab.
Elke Kaiser lag schon im Bett, als es draußen stark windete und blitzte. „Deshalb wollte ich gerade das Fenster schließen“, erzählt die Bocholterin. „Und da flog auch schon direkt das Dach weg.“Sie weckte ihren Sohn, der im Dachgeschoss schlief, gemeinsam liefen sie auf die Straße. Kaum 30 bis 45 Sekunden kann der Luftwirbel am Dienstagabend bestanden haben, schätzte die Feuerwehr. „Wir haben sehr viel Glück gehabt“, sagte Anwohner Ludger Kampmann. „Vor allem, dass keiner zu dem Zeitpunkt draußen gewesen ist.“Immerhin seien Dachziegel wie Diskusscheiben durch die Luft geflogen. „Dass niemand verletzt wurde, war ein Wunder.“
Schon in der Nacht zum Mittwoch wurden die Schäden sichtbar. Auf einer kurzen Strecke von vielleicht 50 bis 60 Metern an der Heroldstraße hatte der Tornado großen Schaden hinterlassen. Ein Auto wurde von seinem Parkplatz gehoben und auf ein anderes Auto geschleudert. Ein Wohnanhänger landete auf der anderen Straßenseite. Sechs Häuser sind schwer beschädigt – auch das von Elke Kaiser. „Das komplette Dach ist weg“, sagt sie. Auch bei anderen Häusern wurden nicht nur die Dachpfannen heruntergerissen, sondern gleich ganze Dachsparren und eine Gaube. Drei weitere Häuser haben leichte Schäden. Von den herumfliegenden Autos, dem Wohnanhänger, den Dachteilen, Betonblumentöpfen und Zaunelementen wurden weitere Autos beschädigt.
Es sind diese Bilder und Berichte, die auch die Wetterexperten aufhorchen lassen. Andreas Friedrich, Tornadobeauftragter des Deutschen Wetterdienstes (DWD), bestätigt: „Die Schäden, die wir da gesehen haben, können nur durch einen Tornado verursacht worden sein.“In Zusammenarbeit mit Experten der europaweiten Datenbank für solche Wetterphänomene ESWD (European Severe Weather Database) seien Schadensbilder analysiert und mit Augenzeugenberichten abgeglichen worden. Es handele sich um einen Tornado der Stufe F2 – „mittelstark“, ordnet Friedrich ein. Experten zufolge erreichte die Windhose ein Tempo von 181 bis 253 Stundenkilometer – und damit eine zerstörerische Kraft.
Einigermaßen gefasst standen die Anwohner der Heroldstraße am Tag nach dem Tornado auf der Straße oder vor den Türen. Die Feuerwehrleute gngen von Haus zu Haus und warnten, dass noch weiterhin Dachpfannen von den Dächern fallen könnten. „Es sind nur Dinge, zum Glück gibt es keine Verletzten“, sagte Gudrun Tietze, deren Wohnanhänger nicht mehr vor dem Haus, sondern auf der anderen Straßenseite stand und sicherlich ein Totalschaden ist.
Anwohner Markus Körner berichtete frustriert, dass er die vergangenen Wochen jeden Abend im Garten gearbeitet habe. Neue Zäune habe er gesetzt. „Alles Schrott“, lautete sein kurzes Fazit. Erst am frühen Abend hatte er die letzten Bretter von seiner Seite aus gestrichen, sein Gartennachbar hatte die andere Seite übernommen. Jetzt liegen große Bäume aus der angrenzenden Wohnanlage flach in seinem Garten. Körners Jeep könnte ein Totalschaden sein, denn der stand vor dem Haus, dessen Dach samt Dachgaube abgerissen wurde. Die Fensterscheiben des Jeeps sind zerschlagen, das Verdeck eingedrückt.
„Als wir eintrafen, hatte ich das Gefühl, das sind kriegsähnliche Zustände“,
schilderte Feuerwehr-Einsatzleiter Dirk Vriesen den Anblick. Fenster seien allein durch den Luftdruck aus den Rahmen gesprungen. Als klar war, dass es allen Anwohnern gut geht und nirgendwo akute Gefahr besteht, habe die Feuerwehr mit den Aufräumarbeiten begonnen. Die Kettensägen wurden angesetzt, die zerschlagenen Dachpfannen mit Besen zur Seite geschoben. Alle Anwohner sind voll des Lobes für die Feuerwehr. „Sie war auch direkt vor Ort, hat Anweisungen gegeben und einen Plan gemacht. Erst die lockeren Dachziegel entfernt, danach unser Dach provisorisch mit einer Plane abgedeckt“, sagte Elke Kaiser. „Wir sind sehr dankbar über den Einsatz der Feuerwehr. Wirklich ein dickes Lob, dass die so schnell und so super gearbeitet haben.“