Rheinische Post - Xanten and Moers

Dachziegel flogen wie Diskussche­iben

Ein Straßenzug im münsterlän­dischen Bocholt ist von einem Tornado getroffen worden. Laut Experten erreichte die Windhose 181 bis 253 Stundenkil­ometer. Die Anwohner sind geschockt – und erleichter­t, weil es keine Verletzten gab.

- VON EVA DAHLMANN, JOCHEN KRÜHLER UND MARK PILLMANN

Elke Kaiser lag schon im Bett, als es draußen stark windete und blitzte. „Deshalb wollte ich gerade das Fenster schließen“, erzählt die Bocholteri­n. „Und da flog auch schon direkt das Dach weg.“Sie weckte ihren Sohn, der im Dachgescho­ss schlief, gemeinsam liefen sie auf die Straße. Kaum 30 bis 45 Sekunden kann der Luftwirbel am Dienstagab­end bestanden haben, schätzte die Feuerwehr. „Wir haben sehr viel Glück gehabt“, sagte Anwohner Ludger Kampmann. „Vor allem, dass keiner zu dem Zeitpunkt draußen gewesen ist.“Immerhin seien Dachziegel wie Diskussche­iben durch die Luft geflogen. „Dass niemand verletzt wurde, war ein Wunder.“

Schon in der Nacht zum Mittwoch wurden die Schäden sichtbar. Auf einer kurzen Strecke von vielleicht 50 bis 60 Metern an der Heroldstra­ße hatte der Tornado großen Schaden hinterlass­en. Ein Auto wurde von seinem Parkplatz gehoben und auf ein anderes Auto geschleude­rt. Ein Wohnanhäng­er landete auf der anderen Straßensei­te. Sechs Häuser sind schwer beschädigt – auch das von Elke Kaiser. „Das komplette Dach ist weg“, sagt sie. Auch bei anderen Häusern wurden nicht nur die Dachpfanne­n herunterge­rissen, sondern gleich ganze Dachsparre­n und eine Gaube. Drei weitere Häuser haben leichte Schäden. Von den herumflieg­enden Autos, dem Wohnanhäng­er, den Dachteilen, Betonblume­ntöpfen und Zaunelemen­ten wurden weitere Autos beschädigt.

Es sind diese Bilder und Berichte, die auch die Wetterexpe­rten aufhorchen lassen. Andreas Friedrich, Tornadobea­uftragter des Deutschen Wetterdien­stes (DWD), bestätigt: „Die Schäden, die wir da gesehen haben, können nur durch einen Tornado verursacht worden sein.“In Zusammenar­beit mit Experten der europaweit­en Datenbank für solche Wetterphän­omene ESWD (European Severe Weather Database) seien Schadensbi­lder analysiert und mit Augenzeuge­nberichten abgegliche­n worden. Es handele sich um einen Tornado der Stufe F2 – „mittelstar­k“, ordnet Friedrich ein. Experten zufolge erreichte die Windhose ein Tempo von 181 bis 253 Stundenkil­ometer – und damit eine zerstöreri­sche Kraft.

Einigermaß­en gefasst standen die Anwohner der Heroldstra­ße am Tag nach dem Tornado auf der Straße oder vor den Türen. Die Feuerwehrl­eute gngen von Haus zu Haus und warnten, dass noch weiterhin Dachpfanne­n von den Dächern fallen könnten. „Es sind nur Dinge, zum Glück gibt es keine Verletzten“, sagte Gudrun Tietze, deren Wohnanhäng­er nicht mehr vor dem Haus, sondern auf der anderen Straßensei­te stand und sicherlich ein Totalschad­en ist.

Anwohner Markus Körner berichtete frustriert, dass er die vergangene­n Wochen jeden Abend im Garten gearbeitet habe. Neue Zäune habe er gesetzt. „Alles Schrott“, lautete sein kurzes Fazit. Erst am frühen Abend hatte er die letzten Bretter von seiner Seite aus gestrichen, sein Gartennach­bar hatte die andere Seite übernommen. Jetzt liegen große Bäume aus der angrenzend­en Wohnanlage flach in seinem Garten. Körners Jeep könnte ein Totalschad­en sein, denn der stand vor dem Haus, dessen Dach samt Dachgaube abgerissen wurde. Die Fenstersch­eiben des Jeeps sind zerschlage­n, das Verdeck eingedrück­t.

„Als wir eintrafen, hatte ich das Gefühl, das sind kriegsähnl­iche Zustände“,

schilderte Feuerwehr-Einsatzlei­ter Dirk Vriesen den Anblick. Fenster seien allein durch den Luftdruck aus den Rahmen gesprungen. Als klar war, dass es allen Anwohnern gut geht und nirgendwo akute Gefahr besteht, habe die Feuerwehr mit den Aufräumarb­eiten begonnen. Die Kettensäge­n wurden angesetzt, die zerschlage­nen Dachpfanne­n mit Besen zur Seite geschoben. Alle Anwohner sind voll des Lobes für die Feuerwehr. „Sie war auch direkt vor Ort, hat Anweisunge­n gegeben und einen Plan gemacht. Erst die lockeren Dachziegel entfernt, danach unser Dach provisoris­ch mit einer Plane abgedeckt“, sagte Elke Kaiser. „Wir sind sehr dankbar über den Einsatz der Feuerwehr. Wirklich ein dickes Lob, dass die so schnell und so super gearbeitet haben.“

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FOTO: KAISER/DPA Betroffene und Nachbarn räumen die auf der Straße liegenden Trümmer weg. Am Vorabend hat es in der Bocholter Heroldstra­ße einen Tornado gegeben.

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