Rheinische Post - Xanten and Moers
Wiener Polizei unter Verdacht
Bei einer Klimademo sollen Polizisten gewalttätig gegen Aktivisten vorgegangen sein. Im Internet kursieren Videos davon.
Die „Fridays for Future“-Veranstaltung, zu der auch die jugendliche Aktivistin Greta Thunberg aus Schweden sowie der in Klimaschutz-Fragen engagierte Arnold Schwarzenegger nach Wien gekommen waren, war kaum vorüber. Da tauchten im Netz zwei Videos auf, die die Wiener Polizei nicht gut aussehen lassen. Die Polizisten verfolgten am Rande der Großveranstaltung in Wien mehrere Aktivisten einer unangemeldeten Protestaktion – sie hatten eine Straße blockiert –, wobei es zu übertriebener Gewaltanwendung kam.
Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen vier Polizisten wegen Verdachts auf Körperverletzung, schwerer Körperverletzung unter Ausnützung einer Amtsstellung sowie Gefährdung der körperlichen Sicherheit, wie es heißt. Bislang wurden fünf Zeugen einvernommen, nach weiteren werde in den nächsten Tagen noch gesucht.
Ein erstes Video zeigt, wie ein Polizist einem am Boden liegenden Mann mehrere Faustschläge in die Nieren verabreicht. Augenzeugen behaupten, einer Aktivistin sei eine Platzwunde am Kopf zugefügt worden. Bei einer Zeitung meldete sich ein 35-jähriger Mann, der behauptete, ein Polizist habe ihm die Hand gebrochen; ob absichtlich, konnte er nicht sagen.
Die größte Empörung löste der Fall eines Aktivisten aus, der am Boden liegt und von mehreren Beamten „fixiert“wird. Zu erkennen ist, wie ein Polizist den Kopf des Aktivisten nahe an einen der Hinterreifen eines Polizeibusses platziert. Als der Fahrer Gas gab, zogen die Polizisten den Mann im letzten Moment unter dem Fahrzeug heraus. Laut Medienberichten soll es sich um einen deutschen Staatsbürger handeln, der lediglich an der Klimaschutz-Demonstration in Wien teilgenommen habe und durch Zufall in die Fänge der Polizei geraten sei. Eine Bestätigung dafür gibt es bislang nicht.
In einer ersten Reaktion der Wiener Polizei waltete noch der in solchen Fällen übliche Korpsgeist: Nichts zugeben, verharmlosende Rechtfertigungen. Gezielte Stöße und Faustschläge seien „durchaus übliche Methode“, sagte Vizepolizeipräsident Michael Lepuschitz und sprach von „teils absurden Anschuldigungen“. Er bestritt, dass sich der Kopf des Mannes unter dem Auto befand.
Gestern widersprach der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl gezwungenermaßen der Darstellung seines Stellvertreters. Denn die Perspektive, die auf dem zweiten Video zu sehen ist, zeige „tatsächlich eine gefährliche Situation“. Aktivisten werfen der Polizei Folterabsicht vor, der österreichische Vertreter von Amnesty International, Heinz Patzelt, spricht von unnötiger „exzessiver Gewalt“, da niemand von dem Aktivisten bedroht gewesen sei.
Die Ermittlungen werden diese Vorwürfe bestätigen oder widerlegen. Die Staatsanwaltschaft versprach „rasche und objektive Aufklärung“. Dass sie in der schriftlichen Stellungnahme ausdrücklich betont, die Untersuchungen zu leiten, hat einen triftigen Grund: Vorwürfe gegen Polizisten werden in Österreich gewöhnlich von den Polizeibehörden selbst behandelt, wobei es selten ein Ermittlungsergebnis gibt, das zu einer Anklage führt. Allenfalls werden Disziplinarstrafen verhängt oder die betroffenen Beamten versetzt. Zivile Kläger werden oft mit der Gegenklage wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt abgeschreckt.
Nach seiner Studie des Austria Center for Law Enforcement Sciences vom November vergangenen Jahres wurden 1500 Fälle von Misshandlungen durch Polizeibeamte untersucht. In nur sieben Fällen kam es zu einer Anklage, in keinem Fall zu einer Verurteilung.
Die Situation ist unter der vor zwei Wochen geplatzten rechtskonservativen Koalition unter Kanzler Sebastian Kurz eher schlechter geworden. Der zuständige Polizeiminister Herbst Kickl, ein Mann der rechten FPÖ mit völkischem Einschlag, war in Polizeikreisen sehr populär. Wahlanalysen ergeben seit Jahren, dass die überwiegende Mehrheit der österreichischen Polizisten FPÖ wählt.
Kickls Law-and-Order-Botschaften fassten manche Polizisten als Ermunterung auf, gegen „linkslinke Chaoten“, wie in der FPÖ Demonstranten pauschal beschimpft werden, einzudreschen. Gewaltexzesse kamen tatsächlich häufiger vor als in früheren Jahren. Kickl schaltete in ausgewiesenen Rechtsmedien Inserate auf Staatskosten, um für Polizeinachwuchs zu werben. Zwar sagte der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl einer Zeitung, für die jüngsten Gewaltexzesse der Wiener Polizei könne nicht Kickls Anwerbemethode ursächlich verantwortlich gemacht werden. Doch stelle sich die Frage, so Amnesty-Sprecher Patzelt, „warum man sich in Wien nicht gerne bei der Polizei bewirbt“. Während Kickls Amtszeit war sogar davon die Rede, die Aufnahmebedingungen zu lockern, weil zu viele Bewerber ausschieden, die nicht einmal der Rechtschreibung mächtig waren.