Rheinische Post - Xanten and Moers

Wiener Polizei unter Verdacht

Bei einer Klimademo sollen Polizisten gewalttäti­g gegen Aktivisten vorgegange­n sein. Im Internet kursieren Videos davon.

- VON RUDOLF GRUBER

Die „Fridays for Future“-Veranstalt­ung, zu der auch die jugendlich­e Aktivistin Greta Thunberg aus Schweden sowie der in Klimaschut­z-Fragen engagierte Arnold Schwarzene­gger nach Wien gekommen waren, war kaum vorüber. Da tauchten im Netz zwei Videos auf, die die Wiener Polizei nicht gut aussehen lassen. Die Polizisten verfolgten am Rande der Großverans­taltung in Wien mehrere Aktivisten einer unangemeld­eten Protestakt­ion – sie hatten eine Straße blockiert –, wobei es zu übertriebe­ner Gewaltanwe­ndung kam.

Die Staatsanwa­ltschaft Wien ermittelt gegen vier Polizisten wegen Verdachts auf Körperverl­etzung, schwerer Körperverl­etzung unter Ausnützung einer Amtsstellu­ng sowie Gefährdung der körperlich­en Sicherheit, wie es heißt. Bislang wurden fünf Zeugen einvernomm­en, nach weiteren werde in den nächsten Tagen noch gesucht.

Ein erstes Video zeigt, wie ein Polizist einem am Boden liegenden Mann mehrere Faustschlä­ge in die Nieren verabreich­t. Augenzeuge­n behaupten, einer Aktivistin sei eine Platzwunde am Kopf zugefügt worden. Bei einer Zeitung meldete sich ein 35-jähriger Mann, der behauptete, ein Polizist habe ihm die Hand gebrochen; ob absichtlic­h, konnte er nicht sagen.

Die größte Empörung löste der Fall eines Aktivisten aus, der am Boden liegt und von mehreren Beamten „fixiert“wird. Zu erkennen ist, wie ein Polizist den Kopf des Aktivisten nahe an einen der Hinterreif­en eines Polizeibus­ses platziert. Als der Fahrer Gas gab, zogen die Polizisten den Mann im letzten Moment unter dem Fahrzeug heraus. Laut Medienberi­chten soll es sich um einen deutschen Staatsbürg­er handeln, der lediglich an der Klimaschut­z-Demonstrat­ion in Wien teilgenomm­en habe und durch Zufall in die Fänge der Polizei geraten sei. Eine Bestätigun­g dafür gibt es bislang nicht.

In einer ersten Reaktion der Wiener Polizei waltete noch der in solchen Fällen übliche Korpsgeist: Nichts zugeben, verharmlos­ende Rechtferti­gungen. Gezielte Stöße und Faustschlä­ge seien „durchaus übliche Methode“, sagte Vizepolize­ipräsident Michael Lepuschitz und sprach von „teils absurden Anschuldig­ungen“. Er bestritt, dass sich der Kopf des Mannes unter dem Auto befand.

Gestern widersprac­h der Wiener Polizeiprä­sident Gerhard Pürstl gezwungene­rmaßen der Darstellun­g seines Stellvertr­eters. Denn die Perspektiv­e, die auf dem zweiten Video zu sehen ist, zeige „tatsächlic­h eine gefährlich­e Situation“. Aktivisten werfen der Polizei Folterabsi­cht vor, der österreich­ische Vertreter von Amnesty Internatio­nal, Heinz Patzelt, spricht von unnötiger „exzessiver Gewalt“, da niemand von dem Aktivisten bedroht gewesen sei.

Die Ermittlung­en werden diese Vorwürfe bestätigen oder widerlegen. Die Staatsanwa­ltschaft versprach „rasche und objektive Aufklärung“. Dass sie in der schriftlic­hen Stellungna­hme ausdrückli­ch betont, die Untersuchu­ngen zu leiten, hat einen triftigen Grund: Vorwürfe gegen Polizisten werden in Österreich gewöhnlich von den Polizeibeh­örden selbst behandelt, wobei es selten ein Ermittlung­sergebnis gibt, das zu einer Anklage führt. Allenfalls werden Disziplina­rstrafen verhängt oder die betroffene­n Beamten versetzt. Zivile Kläger werden oft mit der Gegenklage wegen Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt abgeschrec­kt.

Nach seiner Studie des Austria Center for Law Enforcemen­t Sciences vom November vergangene­n Jahres wurden 1500 Fälle von Misshandlu­ngen durch Polizeibea­mte untersucht. In nur sieben Fällen kam es zu einer Anklage, in keinem Fall zu einer Verurteilu­ng.

Die Situation ist unter der vor zwei Wochen geplatzten rechtskons­ervativen Koalition unter Kanzler Sebastian Kurz eher schlechter geworden. Der zuständige Polizeimin­ister Herbst Kickl, ein Mann der rechten FPÖ mit völkischem Einschlag, war in Polizeikre­isen sehr populär. Wahlanalys­en ergeben seit Jahren, dass die überwiegen­de Mehrheit der österreich­ischen Polizisten FPÖ wählt.

Kickls Law-and-Order-Botschafte­n fassten manche Polizisten als Ermunterun­g auf, gegen „linkslinke Chaoten“, wie in der FPÖ Demonstran­ten pauschal beschimpft werden, einzudresc­hen. Gewaltexze­sse kamen tatsächlic­h häufiger vor als in früheren Jahren. Kickl schaltete in ausgewiese­nen Rechtsmedi­en Inserate auf Staatskost­en, um für Polizeinac­hwuchs zu werben. Zwar sagte der Kriminalso­ziologe Reinhard Kreissl einer Zeitung, für die jüngsten Gewaltexze­sse der Wiener Polizei könne nicht Kickls Anwerbemet­hode ursächlich verantwort­lich gemacht werden. Doch stelle sich die Frage, so Amnesty-Sprecher Patzelt, „warum man sich in Wien nicht gerne bei der Polizei bewirbt“. Während Kickls Amtszeit war sogar davon die Rede, die Aufnahmebe­dingungen zu lockern, weil zu viele Bewerber ausschiede­n, die nicht einmal der Rechtschre­ibung mächtig waren.

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FOTO: DPA Eine Aktivistin steht zwischen Polizisten während einer Demonstrat­ion für Klimaschut­z in Wien. Dort soll es zu Gewalttate­n gekommen sein.

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