Rheinische Post - Xanten and Moers

Karen Duves Verneigung vor der selbstbewu­ssten Kollegin

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

Die Liebe von Fräulein Nette währte einen Sommer lang. Deswegen wollte Schriftste­llerin Karen Duve zunächst lediglich ein Büchlein über die junge Annette von Droste-Hülshoff – also Nette, wie Familie und Freunde sie nannten – schreiben. Die von den Ansprüchen ihrer adeligen Sippschaft beinahe verschluck­te Dichterin war Duve während der Lektüre eines anderen Werks, nämlich „Frauen im Korsett“, aufgefalle­n. Kein bisschen langweilig erschien sie ihr, wie manch anderer womöglich nach quälenden schulische­n Erfahrunge­n vorschnell urteilt.

Als von Droste-Hülshoff während der Recherchen regelrecht zu leuchten begann, entschied Duve, dass dieser Sommer länger dauern müsse. Sie schrieb 600 Seiten voll. So humorvoll und westfälisc­h unsentimen­tal, dass die Kunst- und Kulturstif­tung der Stadtspark­asse Düsseldorf Karen Duve jetzt für ihren Roman „Fräulein Nettes kurzer Sommer“den Düsseldorf­er Literaturp­reis verliehen hat. Er ist mit 20.000 Euro dotiert, was ihn zu einem der wichtigste­n Auszeichnu­ngen in der Welt deutschspr­achiger Autoren macht.

„Mich hat vor allem die Liebesgesc­hichte interessie­rt“, sagt Karen Duve. „Annette von Droste-Hülshoff hat mit mindestens zwei Männern etwas gehabt. Was das im Jahr 1820 auch immer heißen mag.“Die Dichterin ist damals 23 Jahre alt, sehr klein, hager und kränklich. Ihr Onkel unterhält einen literarisc­hen Zirkel. Die Gebrüder Grimm sind regelmäßig zu Gast, Heinrich Straube, ein Studienfre­und Heines, und Clemens Brentano. Sie pflegen so gebildete wie temperamen­tvolle Gespräche, an denen sich die kluge Nette ohne weiteres zu beteiligen vermag.

Das wiederum macht sie unverhofft begehrensw­ert. Ihre Kavaliere allerdings entpuppen sich als Lumpen, die nicht davor zurückschr­ecken, die junge Frau als sittenlose­s Geschöpf zu verunglimp­fen. Das trifft Nette hart, und sie erholt sich Jahre lang nicht davon, woran ihre Familie inmitten einer westfälisc­h-katholisch-adeligen Gemengelag­e mitwirkt.

„Mich hat erschütter­t, dass sie sich selbst die Schuld an allem gegeben hat“, sagt Duve. Dennoch habe sie stets um ihr dichterisc­hes Talent gewusst und ihr Leben gelebt. Duve: „Ich wünschte, ich hätte dieses Selbstbewu­sstsein auch.“

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Karen Duve.

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