Rheinische Post - Xanten and Moers
Aus dem Bergischen nach Shanghai
Dank Internetvideos ist Thomas Derksen aus Marienheide in China berühmter als Lothar Matthäus.
MARIENHEIDE Eigentlich wollte Thomas Derksen aus Marienheide im Bergischen Land 2012 nur einen Sprachkurs in Shanghai machen – sieben Jahre später hat er eine chinesische Frau gefunden, ein Buch geschrieben und ist in China ein Internetstar geworden. Wie hat er das gemacht?
Können Sie mir einen Eindruck davon geben, wie berühmt Sie in China sind?
THOMAS DERKSEN Im vergangenen Jahr haben wir hier in Shanghai ein Video mit Lothar Matthäus gemacht, und als wir auf die Straße gegangen sind, haben die Leute mich erkannt und ihn nicht. Das ist ihm sauer aufgestoßen.
Berühmt geworden sind Sie durch Internetvideos, in denen Sie zusammen mit Ihrer Frau Ihren Alltag in China schildern. Würden Sie mir zustimmen, dass Sie einer der unwahrscheinlichsten Kandidaten für diese Karriere waren?
DERKSEN Wenn ich mit meiner Frau über die Zukunft rede, die nächsten fünf Jahre, sage ich: Lassen wir uns überraschen. Heute vor fünf Jahren hätte ich auch nicht gedacht, dass ich ein Buch herausbringen werde, den Bundespräsidenten in China begleite und die Leute mich auf der Straße erkennen.
Zum ersten Mal waren Sie 2007 in China, mit der Schule. Haben Sie da schon den Plan gefasst, nochmal zurückzukehren?
DERKSEN Das war in meinem Hinterkopf, aber erstmal musste ich für die Zukunft vorsorgen, einen guten Beruf erlernen. Das habe ich bei der Sparkasse gemacht. Aber nach dreieinhalb Jahren war mir klar, dass ich nicht mein ganzes Leben lang Bausparverträge an Omas verkaufen möchte. Also habe ich gekündigt und in Bochum das Fach „Wirtschaft und Politik Ostasiens“studiert.
2012 haben Sie den Sprachkursus in Shanghai gemacht, wo Sie Ihre heutige Frau kennenlernten. Im Buch schildern Sie es so, als sei alles danach recht schnell gegangen. Hat die Liebe alle Herausforderungen kleiner werden lassen?
DERKSEN Leute mögen das naiv nennen, aber ich dachte, das wird sich schon alles irgendwie ergeben. Ohne meine Frau wäre ich zwar für ein Auslandssemester nach China gegangen, wäre dann aber vermutlich nach Deutschland zurückgekehrt.
Stattdessen haben Sie kurze Zeit später sogar geheiratet.
DERKSEN Anderthalb Jahre, nachdem wir uns kennengelernt haben. Meine Eltern haben ihre Schwiegertochter erst nach der standesamtlichen Hochzeit kennengelernt.
Die größte Schwierigkeit war nicht China, sondern der zukünftige Schwiegervater. Wie ernst war die Angelegenheit?
DERKSEN Für mich war das ganz, ganz schwierig. Sein Verhalten war für mich, aber auch für meine Frau, schwierig zu begreifen. Im Nachhinein kann ich vieles verstehen. Er hat ein einziges Kind, seine Tochter, und dann kommt dieser Ausländer. Er fürchtet, dass ich sie ihm wegnehme, vielleicht noch mit ihr ins Ausland ziehe, sie nie wieder was mit ihm zu tun haben will und er mutterseelenallein in China verkümmert und seine Enkel nicht sieht.
Ihre Schwiegermutter hingegen hat Sie schneller akzeptiert. Ist das Verhalten des Schwiegervaters typisch für China oder eine Ausnahme?
DERKSEN In China heiratet man nicht nur eine Frau, sondern gleich die ganze Familie. Nach der Hochzeit kapselt man sich im Gegensatz zu Deutschland auch nicht ab. Wenn die Kinder kommen, zieht das Paar sogar eher zu den Schwiegereltern oder umgekehrt, weil beide Eheleute arbeiten gehen.
Der Kulturschock wäre aber sicher auch ohne Schwiegervater groß gewesen. An was mussten Sie sich in Shanghai erst gewöhnen?
DERKSEN Es war ja nicht nur der Unterschied zwischen China und Deutschland, sondern auch der zwischen Stadt und Land. Shanghai ist eine Metropole mit 25 Millionen Einwohnern. Im August, als ich ankam, waren es 40 Grad. In der U-Bahn nur 20. Und zum Frühstück gab es keinen Kaffee und keine Brötchen. Bis heute ist es so, dass mein Magen erst ab zwölf chinesisch wird. Zum Glück gibt es hier deutsche Bäckereien.
Ich stelle es mir wahnsinnig riskant vor, in Shanghai auch nur Auto zu fahren.
Da herrscht das Motto: Wie schaffe ich es, dem anderen so schnell wie möglich die Vorfahrt zu nehmen? Man braucht schon einen anderen Fahrstil als in Deutschland, muss die kleinen Lücken nutzen.
Im Buch berichten Sie, dass in den Urinalen der vornehmen Restaurants Eiswürfel liegen, um Geruchsbildung zu verhindern. Was sonst erscheint Deutschen seltsam?
DERKSEN Die Leute singen wahnsinnig gerne auf der Straße. Das stört niemanden. Wenn ich in Deutschland auf dem Rad Helene Fischer singe, würden die Leute mich komisch ansehen.
Die problematischen Seiten an China, die Menschenrechtssituation, der Versuch, ein fragwürdiges soziales Bewertungssystem aufzubauen, spielen in Ihren Videos keine Rolle. Beschäftigt Sie das nicht?
DERKSEN Ich lese ja auch deutsche und chinesische Presse, kenne also diese Probleme. Aber es ist nicht meine Aufgabe, so etwas in den Videos aufzugreifen. Bei mir geht es um Völkerverständigung. Eine chinesische und eine deutsche Mittelstandsfamilie unterscheiden sich gar nicht so sehr. Schlechte Laune zu verbreiten, das ist Aufgabe der Presse.
Machen Sie sich denn privat Gedanken dazu?
DERKSEN Ich denke nicht, dass ich mir darüber Gedanken machen muss und auch die deutschen Journalisten nicht – sondern die Chinesen. Denn die betrifft es. Als ich bei Steinmeier in der Delegation war, ging es auch viel um dieses neue Bewertungssystem. Da wurde aber klar, dass das alles noch in den Kinderschuhen steckt. Momentan ist das eher ein System wie die deutsche Schufa. Mit einem schlechten Schufa-Eintrag bekommt man auch keine Wohnung.
Bitte entschuldigen Sie die letzte Frage. Essen die Leute in China Hunde?
DERKSEN In Shanghai lieben die Leute Hunde so wie in Deutschland. Aber es gibt einen kleinen Ort in China, wo es gang und gäbe ist, Hunde zu essen. Dagegen protestiert aber ein Großteil der Chinesen. Und: In Teilen der Schweiz – das können Sie googeln – werden auch Hunde und Katzen gegessen.