Rheinische Post - Xanten and Moers

Als der Wagen nicht kam

- von Manfred Lütz und Paulus van Husen (Fortsetzun­g folgt) © 2019 HERDER VERLAG GMBH, FREIBURG IM BREISGAU

Da die meisten Büros des Wehrmachtf­ührungssta­bes ausgebrann­t waren und wohl weitere Angriffe auf diese Wehrmachth­ochburg befürchtet wurden, übersiedel­te der Stab in die Unteroffiz­ierschule Eiche bei Potsdam, die nicht weit vom Neuen Palais einsam im Grünen lag und dann auch keinerlei Angriff erlitten hat. Dort habe ich den Rest meiner Wehrmachtz­eit verbracht.

In Eiche übernahm an Stelle des an die Front versetzten Oberst Ulrich die Leitung der Standortst­affel des Wehrmachtf­ührungssta­bes der Generalsta­bsoberst Meichsner, mit dem ich eine sehr angenehme Zusammenar­beit hatte. Im Herbst 1943 wurde mir mein bisheriges Arbeitsgeb­iet weggenomme­n und in die Hand zuverlässi­ger Wehrmachtb­eamter gegeben. Das Innenminis­terium hatte gemerkt, dass manche lästige Dinge im Bereich der Zusammenar­beit mit Chef OKW auf mein Konto zu buchen waren. Man hatte daher bei Warlimont unter der Hand Schritte gegen mich getan, die sofort Erfolg hatten, da dieser keine Reibung mit der Partei haben wollte. Ich wurde von da ab auf dem eigentlich­en, politisch harmlosen Gebiet der Standortst­affel beschäftig­t, der Bewirtscha­ftung von Menschen und Material. Hierbei hatte ich Anfang Juli 1944 ein amüsantes Erlebnis. Mussolini hatte nach seiner romantisch­en Befreiung eine neue Regierung für das in deutscher Hand verblieben­e kleine norditalie­nische Restgebiet gebildet. Hitler versprach ihm, dass er aus den in deutsche Gefangenen­lager verbrachte­n Italienern drei neue italienisc­he Divisionen aufstellen dürfe, unter Hergabe des hierfür erforderli­chen

Materials aus deutschen Beständen. Mussolini legte hierauf großen Wert, damit seine Scheinregi­erung ein etwas besseres äußeres Ansehen durch diese eigene italienisc­he Streitmach­t erhielte.

In Wirklichke­it wollte Hitler sein Verspreche­n nicht erfüllen wegen der eigenen unsagbar großen Materialve­rknappung und weil niemand wissen konnte, ob diese neuen, zwar sorgfältig unter faschistis­chen Gesichtspu­nkten ausgesucht­en Truppen nicht doch auf die Seite des Königs überwechse­ln würden. Aus denselben Gründen war der Plan bei der Wehrmacht nicht beliebt. Unter allen erdenklich­en Vorwänden und Machenscha­ften wurde daher die Vollziehun­g des Verspreche­ns hinausgezö­gert. Der italienisc­he Militärbev­ollmächtig­te in Berlin mahnte immer wieder vergebens und verlangte schließlic­h eine mündliche Erörterung der Fragen. Meichsner konnte sich dem ohne Verlust des Gesichts nicht entziehen und vereinbart­e eine Besprechun­g in Eiche. Die Sache war ihm höchst zuwider, da er als anständige­r Soldat die italienisc­hen Bundesgeno­ssen in ihrer Not nicht anlügen wollte, anderseits aber ihre Forderunge­n nicht erfüllen konnte. Am Abend vor der vereinbart­en Besprechun­g fuhr er daher unter dem Vorwand einer plötzliche­n Abberufung in das Führerhaup­tquartier und beauftragt­e mich, den italienisc­hen Militärbev­ollmächtig­ten General Morera zu empfangen und hinhaltend mit ihm zu verhandeln. Als der General mit zwei Begleitern in mein Zimmer geführt wurde, waren wir beide gleicherwe­ise verdutzt. Vor mir stand der Mann, der gut zwanzig Jahre vorher in Rybnik während meiner Landratsze­it als Leutnant Adjutant des Kreiskontr­olleurs Marchese Bernezzo gewesen und inzwischen zum Generalleu­tnant aufgerückt war. Seine schwarzen italienisc­hen Locken waren leicht angegraut, das Gesicht etwas verfältelt, aber sonst war es derselbe nette „tenente“von früher, der auch mich trotz der entspreche­nden Veränderun­gen sofort erkannte. Wir sprachen, wie von früher gewohnt, französisc­h, und er machte mich mit seinen Begleitern bekannt. Der eine, ein großer korpulente­r Mann, war ein Sohn Mussolinis, der diesem weder äußerlich noch hinsichtli­ch der persönlich­en Wirkung glich. Anscheinen­d war er mitgekomme­n, um den italienisc­hen Wünschen durch seinen Namen Nachdruck zu verleihen. Es ergab sich also eine doppelt peinliche Lage für mich, als ich den Besuchern eröffnen musste, dass der Oberst Meichsner plötzlich dringendst in das Führerhaup­tquartier bestellt worden sei und sie daher zunächst mit mir vorlieb nehmen müssten. Morera hatte auf Grund seiner Klugheit, seines italienisc­hen Einfühlung­svermögens und seiner früheren Kenntnis meiner Person sofort herausgesp­ürt, dass ich kein Hitleranhä­nger sei. Er flüsterte mir also zu: „Zunächst werden wir uns jetzt formell über die Geschichte unterhalte­n und nachher sprechen wir uns unter vier Augen.“Die italienisc­hen Beschwerde­n wurden dann eingehend erörtert, und ich versprach entspreche­nd den Weisungen Meichsners bestmöglic­he Erfüllung der Wünsche, tunliche Beseitigun­g der Schwierigk­eiten und einen baldigen Gegenbesuc­h Meichsners bei Morera. Dann entließ Morera seine beiden Begleiter mit dem Hinweis, er wolle mit mir alte Erinnerung­en austausche­n.

Als sie gegangen waren, sprach er offen ohne jede Hemmung. Er wisse natürlich auch ohne die vorgeschob­ene Reise Meichsners, dass die italienisc­hen Forderunge­n nicht erfüllt werden würden. Aus Pflichtgef­ühl und Anstand Mussolini gegenüber müsse er aber die Erfüllung der Versprechu­ngen fordern, und er habe den Sohn Mussolinis mitgebrach­t, damit dieser wisse, dass er sich bestens um die Erfüllung bemühe. Im Übrigen sei es ja völlig belanglos, ob die italienisc­hen Divisionen aufgestell­t würden oder nicht, denn das Spiel sei für Mussolini wie für Hitler gleicherwe­ise verloren. Das gelte auch für sein persönlich­es Geschick. Die Lage der Monza-Regierung in Norditalie­n sei so unsicher, dass er seine Familie nach Deutschlan­d geholt und in dem Hotel am Müggelsee untergebra­cht habe. Als ich ihn fragte, weshalb er denn bei Mussolini geblieben und nicht auf die Seite des Königs getreten sei, begründete er das damit, dass er an Mussolini und seine Aufgabe geglaubt habe und ihm, der ihn zum General gemacht, jetzt im Unglück treu bleiben müsse. Dasselbe Lied, dasselbe Leid wie bei so vielen deutschen Offizieren. Ich schilderte ihm dann meine Ansichten über Hitler und die Lage. Er erwiderte, das habe er bei mir nicht anders erwartet, und er sei ganz sicher darüber geworden, als er die Statue der Muttergott­es mit einem Blumenstra­uß davor in meinem Zimmer gesehen habe, die ich der Bomben halber nach Eiche geborgen hatte. Die Katholizit­ät hat eben ihr eigenes Vokabular.

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