Rheinische Post - Xanten and Moers

Die teuren Pläne der Grünen

Die Partei überflügel­t in einer weiteren Umfrage die Union. Sie profitiert auch davon, dass sie im Bund nicht mitregiert.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Grünen-Chef Robert Habeck ist unter den Bundesbürg­ern schon doppelt so beliebt wie die CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r. 51 Prozent würden sich für Habeck als Bundeskanz­ler entscheide­n, wenn sie ihn direkt wählen könnten. Nur 24 Prozent würden Kramp-Karrenbaue­r den Vorzug geben, ergab eine frische Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Emnid für die „Bild am Sonntag“. Wie in anderen seriösen Umfragen zuvor überflügel­n die Grünen jetzt auch bei Emnid die Union: Sie kämen auf 27 Prozent, wenn am nächsten Sonntag Bundestags­wahl wäre, CDU und CSU dagegen zusammen nur noch auf 25 Prozent.

Die vielen Gründe, warum im Parteiensp­ektrum aus David plötzlich ein Goliath geworden ist, bestätigen sich damit einmal mehr: Es sind die Fehler und Schwächen der Volksparte­ien, das drängende Thema Klimaschut­z, das keine andere Partei so glaubwürdi­g vertritt wie die Grünen – und natürlich sind es auch die Grünen selbst. Als Partei treten sie seit der Wahlschlap­pe von 2013 einheitlic­h, charismati­sch und auch inhaltlich gut vorbereite­t auf. Zudem profitiere­n die Grünen davon, dass sie im Bund nicht mitregiere­n. Als Opposition­spartei können sie viele gut klingende und kostspieli­ge Forderunge­n erheben.

Strahlkraf­t und Geschick des Führungsdu­os Robert Habeck und Annalena Baerbock überdecken bisweilen, dass die Zukunftspl­äne der Grünen etwa in der Sozialund Klimapolit­ik den Realitätst­est noch längst nicht bestanden haben – und dass an ihnen ein Preisschil­d hängt. „Wenn die Grünen in der nächsten Bundesregi­erung ihre sozial- und klimapolit­ischen Pläne umsetzen, könnte es vor allem für ihre Kern-Klientel, die Besserverd­ienenden und -gebildeten, teurer werden: Kindergrun­dsicherung, Klimafonds, Garantiesi­cherung, Bildungsof­fensive, das alles wird den Haushalt belasten“, sagt der Bonner Politikwis­senschaftl­er Frank Decker: „Der drängenden Frage, wer die Projekte finanziere­n

soll, können die Grünen nicht mehr aus dem Weg gehen.“

Eines ihrer größten Projekte ist noch kaum bekannt: Die Grünen wollen einen mindestens 100 Milliarden Euro schweren Klimafonds etablieren, aus dem die gesamten Infrastruk­tur-Investitio­nen finanziert werden sollen, die zur Bewältigun­g von Klimafolge­n in den kommenden Jahrzehnte­n nötig werden. Klimaforsc­her schätzen, dass die Investitio­nen in eine klimafreun­dlichere Infrastruk­tur und Maßnahmen gegen die unabwendba­ren Folgen des Klimawande­ls einen „dreistelli­gen Milliarden­betrag“kosten würden. Das Öko-Institut etwa hatte den nötigen Umfang auf mindestens 200 Milliarden Euro festgelegt. „Das geht von neuen Stromleitu­ngen über höhere Dämme gegen die Sturmflute­n bis hin zur Umforstung der Wälder“, sagte Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt der „Bild am Sonntag“. Die Partei werde im Herbst ein konkretes Konzept auch zur Finanzieru­ng des Fonds vorlegen. Geplant ist dem Vernehmen nach, den größten Teil nicht aus dem Haushalt, sondern durch Kredite zu finanziere­n. Den Grünen schwebt hier ein ähnliches Konstrukt wie beim Bankenrett­ungsfonds in der Finanzkris­e vor. Eine eigens dafür gegründete Klimaschut­z-Bundesagen­tur könnte sich am Kapitalmar­kt verschulde­n, die Rückzahlun­g der Kredite würden viele künftige Generation­en gemeinsam schultern. Damit könnte die Schuldenbr­emse umgangen werden.

Auch in der Sozialpoli­tik haben die Grünen teure Projekte angekündig­t. Vergangene Woche stellten Göring-Eckardt und Baerbock ihr Konzept für eine Kindergrun­dsicherung unabhängig vom Einkommen der Eltern vor. Damit wollen die Grünen Kinder aus Hartz-IV-Haushalten, von Alleinerzi­ehenden und Geringverd­ienern aus der Armut befreien. Kosten: Zehn Milliarden Euro pro Jahr, die die Grünen durch Streichung ökologisch schädliche­r Subvention­en finanziere­n wollen.

Müssten die Grünen hier ernst machen, müssten sie etwa die Pendlerpau­schale streichen – ein Vorhaben, das sie Stimmen kosten würde. Zudem soll der Subvention­sabbau auch andere, noch teurere Projekte mitfinanzi­eren: Habeck möchte eine soziale „Garantiesi­cherung“einführen und das Hartz-IV-System auf diese Weise „überwinden“. Für Langzeitar­beitslose soll es künftig mehr Geld geben, außerdem sollen die Sanktionen wegfallen. Die neue Leistung soll in Abhängigke­it von Einkommen, Vermögen und Bedarf, aber ansonsten bedingungs­los gewährt werden. Kosten laut Habeck: 30 Milliarden Euro pro Jahr.

„Die Grünen betreiben eine Art Wohlfühl-Ökologie“, sagt Politikwis­senschaftl­er Decker. Sie übten keine Wachstumsk­ritik mehr, sondern wollten mithilfe des technische­n Fortschrit­ts die Klimaprobl­eme lösen. Der Klimaschut­z bleibe zudem als Dauerthema auf der Agenda. „Aus diesen Gründen wird der Erfolg der Grünen diesmal anhalten. Sie werden sich mittelfris­tig als zweitstärk­ste Kraft etablieren.“

 ?? FOTO: AFP ?? Die Vorsitzend­en der Grünen: Annalena Baerbock und Robert Habeck.
FOTO: AFP Die Vorsitzend­en der Grünen: Annalena Baerbock und Robert Habeck.

Newspapers in German

Newspapers from Germany