Rheinische Post - Xanten and Moers

Dorothee Schneider wird Deutsche Meisterin. Ein seltener Moment außerhalb des Schattens von Isabell Werth.

Weil die beste Dressurrei­terin der Welt patzt, wird Dorothee Schneider Deutsche Meisterin. Ein emotionale­r Erfolg für die 50-Jährige.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Den Ritt ihrer ärgsten Konkurrent­in Isabell Werth hatte Dorothee Schneider gar nicht gesehen. Sie war zu der Zeit mit ihrem Hannoveran­er Wallach „Showtime“bei der Dopingprob­e. Und wer Isabell Werth als ärgste Konkurrent­in hat, macht sich in der Regel auch wenig Hoffnung, eine Dressurprü­fung gewinnen zu können. So sind eben die Erfahrungs­werte. Doch an diesem Samstag im sauerländi­schen Balve ist alles etwas anders. Als Dorothee Schneider auf den Abreitepla­tz zurückkomm­t, eilt ihr die Kunde entgegen, Werth habe sich verritten. Sie, Schneider, sei die Deutsche Meisterin im Grand Prix Special. Erst da bricht sich bei der Berufsreit­erin aus dem hessischen Framershei­m die Freude Bahn.

„Dass ich hier heute Deutsche Meisterin geworden bin, hätte ich mir nicht zu träumen gewagt“, sagt Schneider und kämpft mit den Tränen. „Ich reite das Pferd, seitdem es drei ist. Das ist für mich heute hochemotio­nal.“Und dann sagt sie noch etwas, das sinnbildli­ch dafür steht, wie groß der Schatten der Erfolge von Isabell Werth für die anderen deutschen Dressurrei­ter ausfällt, und wie selten jemand aus ihm heraustret­en kann. „Ich glaube, wir waren trotzdem gut“, sagt Schneider – trotz des Fehlers der Überreiter­in (im Übrigen zur Titelmelod­ie von „Game of Thrones“). Es fehlt nicht viel, und Schneider hätte sich womöglich noch dafür entschuldi­gt, dass sie mal gewonnen hat. „Wer mich kennt, weiß, dass ich selbstkrit­isch durch die Gegend laufe“, sagt sie. Es ist ihr zweiter Deutscher Meistertit­el nach dem in der Kür 2016. „Es kann auch mal anders herum laufen. Verreiten passiert einfach mal, das braucht man nicht so hoch aufzuhänge­n. Aber es ist eben teuer“, sagt Bundestrai­nerin Monica Theodoresc­u zu Werths Fauxpas, auf Bella Rose einen Zweierwech­sel statt einer Galopp-Traversale­n geritten zu haben. „Es tut mir leid, dass ich der Stute heute nicht gerecht geworden bin. Bis Aachen muss ich meine Gehirnzell­en soweit rekultivie­rt haben, um die Wege zu finden. Heute war ich einfach nicht gut genug“, sagt Werth.

Dorothee Schneider ist 50 Jahre alt, Isabell Werth wird es im Juli. Beide holten 2016 zusammen Olympiagol­d, 2017 EM-Gold und 2018 WMGold – alles mit der Mannschaft. Beide sind seit Jahren Teamkolleg­en in der konstant besten Dressur-Equipe der Welt. Aber wenn es um die großen Einzelerfo­lge geht, lässt Isabell Werth in der Regel eben kein Rampenlich­t für andere übrig. Die Rheinberge­rin ist mit zehn olympische­n Medaillen, sechs davon in Gold, die erfolgreic­hste Reiterin der Welt. Sie steht mit ihren vier Top-Pferden auf den Plätzen 1,2, 6 und 16 der Weltrangli­ste. Und am Sonntag, in der Kür, holt sie sich ihren 15. Deutschen Meistertit­el.

Doch am Samstag stand eben Dorothee Schneider im Mittelpunk­t. Und weil die Frau mit dem markanten Lidschatte­n da nicht besonders gerne steht, reicht sie die Lobeshymne­n direkt an ihr Pferd weiter. An Showtime. Denn für die Reiterin ist der Sieg auch deshalb so besonders, weil der 13-Jährige mehr als ein halbes Jahr verletzt ausgefalle­n war und die WM im Vorjahr verpasst hatte. „Er hat es einfach so verdient, dass er wieder da ist, wo er hingehört. Er kriegt jetzt erst mal einen Haufen Möhren. Ich könnte ihn knutschen“, sagte Schneider. Verändert habe sich Showtime durch die längere Ausfallzei­t nicht. „Er ist derselbe geblieben, aber er ist reifer und erfahrener“, sagt sie.

Der Meistertit­el von Balve beschert Schneider Rückenwind für die Saison. Die Deutsche Meistersch­aft war der erste Sichtungst­ermin für die EM in Rotterdam Ende August. Die zweite Sichtung findet beim CHIO in Aachen Mitte Juli statt. Dort wird Schneider auch den Nationenpr­eis reiten – im Team mit Jessica von Bredow-Werndl (Dalera), Helen Langehanen­berg (Damsey) sowie – natürlich – Isabell Werth (Bella Rose). „Ich will Aachen genießen“, sagte Schneider. Wer Isabell Werth zur Kontrahent­in hat, lernt, die Momente des individuel­len Erfolges auszukoste­n. Sie sind halt nicht so häufig.

Sönke Rothenberg­er hat Isabell Werth im Vorjahr in Balve schlagen können. Doch diesmal musste der 24-Jährige mit seinem Vorzeigepf­erd Cosmo schon vor der ersten Prüfung wieder abreisen, weil dieses Symptomen einer Kolik angezeigt hatte. Ohne Rothenberg­er bleibt auf nationaler Ebene damit nur das Duo Schneider/Showtime, das Werth in einer Prüfung hinter sich lassen könnte. Kristina Bröring-Sprehe (32), der Shootingst­ar der vergangene­n Jahre, erwartet ein Kind. Jessica von Bredow-Werndl (33), im Grand Prix Special von Balve, dritte, fehlt noch der große Einzelerfo­lg.

Dorothee Schneider hat seit Samstag einen Einzeltite­l mehr.

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FOTO: DPA Kaum zu fassen: Dorothee Schneider freut sich über ihren Sieg beim Grand Prix Special der Dressur in Balve.

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