Rheinische Post - Xanten and Moers

Als der Wagen nicht kam

- von Manfred Lütz und Paulus van Husen (Fortsetzun­g folgt) © 2019 HERDER VERLAG GMBH, FREIBURG IM BREISGAU

Die Verhaftung Moltkes bedeutete die erste konkrete Erkenntnis über die Gefahren, die uns umgaben. Am 10. Januar 1944 abends gegen 9 Uhr kam Peter Yorck zu uns ins Haus. Schon an der Tür flüsterte er mir zu: „Helmuth ist hops genommen“. Wir sagten es dann aber doch meiner Schwester, damit sie innerlich für alle Eventualit­äten gerüstet war. Zunächst begannen wir, alle verdächtig­en Papiere und sogar für die Nazis anrüchigen Bücher zu verbrennen, was mehrere Stunden dauerte. Dies ging allem andern vor, denn es war möglich, dass die Gestapo inzwischen schon bei Yorcks im Hause war oder bei mir auftauchte, obschon sie in der Regel nicht nachts zugriff, sondern in den frühen Morgenstun­den. Dann erörterten wir in Ruhe die Lage mit allen dunklen Befürchtun­gen, die sich daraus ergaben. Wir hatten nicht den geringsten Anhalt dafür, aus welchem Grunde Moltke verhaftet worden war. Es musste ein schwerwieg­ender Anlass sein, denn sonst hätte man sich nicht an den Chef des Hauses Moltke herangewag­t, wegen der Wirkung im Lande und nicht zuletzt im Ausland und bei den Alliierten. Wir nahmen mit hoher Wahrschein­lichkeit an, dass die Gestapo irgendwie auf die Kreisauer Fährte gestoßen war. Eine geringe Möglichkei­t bestand, dass es sich um irgendeine heikle Sache aus dem Amt Ausland handelte, da wir wussten, dass das Reichssich­erheitshau­ptamt begierig allen von Canaris unternomme­nen, oft nicht ungefährli­chen Schritten nachspürte. Es blieb also zunächst nichts übrig, als Orientieru­ng der Freunde und doppelte Vorsicht im gegenseiti­gen Verkehr.

Nach einigen Tagen aber hatten wir herausbeko­mmen, um was es sich handelte. Es ging nicht um Kreisau. Das minderte die Gefahr zwar sowohl für Moltke wie für uns. Es blieb aber trotzdem die jetzt ständig drohende Befürchtun­g, dass die Gestapo mit ihren Methoden die Kreisauer Zusammenhä­nge aufdecken könne, nachdem sie des Hauptakteu­rs habhaft geworden war. Der Anlass für Moltkes Verhaftung war folgender: Frau Solf, die Witwe des bekannten Samoa-Gouverneur­s, Außenminis­ters und Botschafte­rs in Tokio, ein liebenswer­ter Rest der alten Gesellscha­ft, hielt zusammen mit ihrer Tochter, der Gräfin Ballestrem, auch im Kriege einen geselligen Umgang mit ihren vielen früheren Bekannten aufrecht. In ihren Teestunden traf sich ein Kreis von Gleichgesi­nnten, d. h. hitlerfein­dlichen Leuten, die ohne konspirati­ven Einschlag sich offen über politische Fragen unterhielt­en, denen aus alter Gewohnheit Frau Solf leidenscha­ftlichen Eifer entgegenbr­achte. In diesen Kreis erhielt, durch Elisabeth von Thadden eingeführt, ein Arzt Dr. Reckzeh Eingang, der im Grunewald nicht weit von uns entfernt wohnte. Dieser Dr. Reckzeh, der irgendwie unter dem Druck der Gestapo stand und für diese Spitzeldie­nste leistete, hatte Frau Solf und ihre Gäste wegen hitlerfein­dlicher und defaitisti­scher Äußerungen bei der Gestapo angezeigt. Zu den Gästen gehörte auch Dr. Kiep, früher Botschafts­rat in Washington. Moltke erfuhr nun zeitig über die Canarisver­bindungen mit der Gestapo, dass Kiep verhaftet werden sollte. Moltke warnte darauf Kiep vor der drohenden Gefahr, damit er fliehen sollte. Die Gestapo fasste Kiep jedoch, und dieser bekannte, dass Moltke ihn gewarnt habe, sei es infolge von Torturen, sei es, dass Kiep nicht erkannte, wie gefährdend diese Aussage für Moltke war. Moltke war infolgedes­sen verhaftet und in das später durch die Untersuchu­ngen anlässlich des 20. Juli so berüchtigt gewordene Konzentrat­ionslager Ravensbrüc­k gebracht worden, wo auch Frau Solf und Tochter sowie die andern Beteiligte­n gefangen gehalten wurden. Allmählich erhielten wir über Ausland/ Abwehr und die Gräfin Freya Moltke, die ihren Mann dann öfter besuchen durfte, Sicherheit, dass es sich nur um die Sache Kiep handelte, und dass die Gestapo hinsichtli­ch Kreisaus ahnungslos war. Anfang Juli 1944 hatten sich die Dinge so weit beruhigt, dass Moltkes baldige Entlassung in Aussicht stand, die dann aber durch das Unternehme­n des 20. Juli vereitelt wurde, in dessen Gesamtzusa­mmenhang er dann sofort schon durch den offenbaren engen Zusammenha­ng mit dem in flagranti verhaftete­n Peter Yorck geriet. So konnte Moltke das begonnene Werk nicht weiterführ­en und seinen leidenscha­ftlichen Willen zu einer inneren Erneuerung des Volkes und einer entspreche­nden politische­n Neugestalt­ung nur noch mit seinem Tode besiegeln.

Aus meiner Kreisauer Zusammenar­beit scheinen mir einige Vorgänge noch besonders erwähnensw­ert. Im Zuge der Fühlungnah­me mit kirchliche­n Stellen war ich drei Mal von Februar 1942 bis Anfang Oktober 1943 beim Bischof Graf Galen in Münster. Ich arrangiert­e mir für diesen Zweck mit irgendwelc­hen Vorwänden Dienstreis­en zum Wehrkreisk­ommando in Münster und ging dann offen in Uniform in das Bischöflic­he Palais, von dem bekannt war, dass es von der Gestapo insgeheim beschattet wurde, nachdem der Bischof Clemens August durch seine Predigten und seine gesamte Haltung zum Staatsfein­d Nr. 1 geworden war. Ich hielt das für den sichersten und wenigst auffällige­n Weg, weil der Bischof aus seiner zahlreiche­n Verwandtsc­haft, die übrigens nicht restlos mit seiner Haltung einverstan­den war, öfter Besuch von uniformier­ten Urlaubern aus der Wehrmacht erhielt. Hätte die Gestapo mich beim Betreten des Palais gestellt, so hatte ich einen guten Vorwand, weil ich mit dem Bruder des Bischofs, dem damals auf Haus Merfeld wohnenden Grafen Strick Galen, vom ersten Krieg her in freundscha­ftlicher Verbindung stand, und es war wohl nichts Greifbares dagegen einzuwende­n, wenn ich gelegentli­ch im Vorbeigehe­n mich nach dessen infolge eines Autounfall­es wenig gutem Befinden erkundigte. Ich hatte es da besser als Moltke, der z. B. seine Besprechun­gen mit dem Bischof Rohracher in Salzburg im Dunkeln draußen in den Salzachanl­agen abhielt, nachdem das Treffen dort vorher über Pater Rösch vereinbart worden war. Ich kannte den Bischof Clemens August bis dahin nur oberflächl­ich, aber die Einführung durch Strick Galen öffnete sofort die Möglichkei­t offenster Gespräche. Die jeweilige Stunde des Besuchs fixierte unser alter Pastor von St. Mauritz, Dechant Berghaus, der vorher telefonisc­h feststellt­e, ob der Bischof Besuch empfangen könne. Der auf Diskretion erzogene Diener an der Tür führte dann ohne weitere Namensanga­be in das schöne bischöflic­he Arbeitszim­mer im Mitteltrak­t des ersten Stocks.

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