Rheinische Post - Xanten and Moers
Als der Wagen nicht kam
Die Verhaftung Moltkes bedeutete die erste konkrete Erkenntnis über die Gefahren, die uns umgaben. Am 10. Januar 1944 abends gegen 9 Uhr kam Peter Yorck zu uns ins Haus. Schon an der Tür flüsterte er mir zu: „Helmuth ist hops genommen“. Wir sagten es dann aber doch meiner Schwester, damit sie innerlich für alle Eventualitäten gerüstet war. Zunächst begannen wir, alle verdächtigen Papiere und sogar für die Nazis anrüchigen Bücher zu verbrennen, was mehrere Stunden dauerte. Dies ging allem andern vor, denn es war möglich, dass die Gestapo inzwischen schon bei Yorcks im Hause war oder bei mir auftauchte, obschon sie in der Regel nicht nachts zugriff, sondern in den frühen Morgenstunden. Dann erörterten wir in Ruhe die Lage mit allen dunklen Befürchtungen, die sich daraus ergaben. Wir hatten nicht den geringsten Anhalt dafür, aus welchem Grunde Moltke verhaftet worden war. Es musste ein schwerwiegender Anlass sein, denn sonst hätte man sich nicht an den Chef des Hauses Moltke herangewagt, wegen der Wirkung im Lande und nicht zuletzt im Ausland und bei den Alliierten. Wir nahmen mit hoher Wahrscheinlichkeit an, dass die Gestapo irgendwie auf die Kreisauer Fährte gestoßen war. Eine geringe Möglichkeit bestand, dass es sich um irgendeine heikle Sache aus dem Amt Ausland handelte, da wir wussten, dass das Reichssicherheitshauptamt begierig allen von Canaris unternommenen, oft nicht ungefährlichen Schritten nachspürte. Es blieb also zunächst nichts übrig, als Orientierung der Freunde und doppelte Vorsicht im gegenseitigen Verkehr.
Nach einigen Tagen aber hatten wir herausbekommen, um was es sich handelte. Es ging nicht um Kreisau. Das minderte die Gefahr zwar sowohl für Moltke wie für uns. Es blieb aber trotzdem die jetzt ständig drohende Befürchtung, dass die Gestapo mit ihren Methoden die Kreisauer Zusammenhänge aufdecken könne, nachdem sie des Hauptakteurs habhaft geworden war. Der Anlass für Moltkes Verhaftung war folgender: Frau Solf, die Witwe des bekannten Samoa-Gouverneurs, Außenministers und Botschafters in Tokio, ein liebenswerter Rest der alten Gesellschaft, hielt zusammen mit ihrer Tochter, der Gräfin Ballestrem, auch im Kriege einen geselligen Umgang mit ihren vielen früheren Bekannten aufrecht. In ihren Teestunden traf sich ein Kreis von Gleichgesinnten, d. h. hitlerfeindlichen Leuten, die ohne konspirativen Einschlag sich offen über politische Fragen unterhielten, denen aus alter Gewohnheit Frau Solf leidenschaftlichen Eifer entgegenbrachte. In diesen Kreis erhielt, durch Elisabeth von Thadden eingeführt, ein Arzt Dr. Reckzeh Eingang, der im Grunewald nicht weit von uns entfernt wohnte. Dieser Dr. Reckzeh, der irgendwie unter dem Druck der Gestapo stand und für diese Spitzeldienste leistete, hatte Frau Solf und ihre Gäste wegen hitlerfeindlicher und defaitistischer Äußerungen bei der Gestapo angezeigt. Zu den Gästen gehörte auch Dr. Kiep, früher Botschaftsrat in Washington. Moltke erfuhr nun zeitig über die Canarisverbindungen mit der Gestapo, dass Kiep verhaftet werden sollte. Moltke warnte darauf Kiep vor der drohenden Gefahr, damit er fliehen sollte. Die Gestapo fasste Kiep jedoch, und dieser bekannte, dass Moltke ihn gewarnt habe, sei es infolge von Torturen, sei es, dass Kiep nicht erkannte, wie gefährdend diese Aussage für Moltke war. Moltke war infolgedessen verhaftet und in das später durch die Untersuchungen anlässlich des 20. Juli so berüchtigt gewordene Konzentrationslager Ravensbrück gebracht worden, wo auch Frau Solf und Tochter sowie die andern Beteiligten gefangen gehalten wurden. Allmählich erhielten wir über Ausland/ Abwehr und die Gräfin Freya Moltke, die ihren Mann dann öfter besuchen durfte, Sicherheit, dass es sich nur um die Sache Kiep handelte, und dass die Gestapo hinsichtlich Kreisaus ahnungslos war. Anfang Juli 1944 hatten sich die Dinge so weit beruhigt, dass Moltkes baldige Entlassung in Aussicht stand, die dann aber durch das Unternehmen des 20. Juli vereitelt wurde, in dessen Gesamtzusammenhang er dann sofort schon durch den offenbaren engen Zusammenhang mit dem in flagranti verhafteten Peter Yorck geriet. So konnte Moltke das begonnene Werk nicht weiterführen und seinen leidenschaftlichen Willen zu einer inneren Erneuerung des Volkes und einer entsprechenden politischen Neugestaltung nur noch mit seinem Tode besiegeln.
Aus meiner Kreisauer Zusammenarbeit scheinen mir einige Vorgänge noch besonders erwähnenswert. Im Zuge der Fühlungnahme mit kirchlichen Stellen war ich drei Mal von Februar 1942 bis Anfang Oktober 1943 beim Bischof Graf Galen in Münster. Ich arrangierte mir für diesen Zweck mit irgendwelchen Vorwänden Dienstreisen zum Wehrkreiskommando in Münster und ging dann offen in Uniform in das Bischöfliche Palais, von dem bekannt war, dass es von der Gestapo insgeheim beschattet wurde, nachdem der Bischof Clemens August durch seine Predigten und seine gesamte Haltung zum Staatsfeind Nr. 1 geworden war. Ich hielt das für den sichersten und wenigst auffälligen Weg, weil der Bischof aus seiner zahlreichen Verwandtschaft, die übrigens nicht restlos mit seiner Haltung einverstanden war, öfter Besuch von uniformierten Urlaubern aus der Wehrmacht erhielt. Hätte die Gestapo mich beim Betreten des Palais gestellt, so hatte ich einen guten Vorwand, weil ich mit dem Bruder des Bischofs, dem damals auf Haus Merfeld wohnenden Grafen Strick Galen, vom ersten Krieg her in freundschaftlicher Verbindung stand, und es war wohl nichts Greifbares dagegen einzuwenden, wenn ich gelegentlich im Vorbeigehen mich nach dessen infolge eines Autounfalles wenig gutem Befinden erkundigte. Ich hatte es da besser als Moltke, der z. B. seine Besprechungen mit dem Bischof Rohracher in Salzburg im Dunkeln draußen in den Salzachanlagen abhielt, nachdem das Treffen dort vorher über Pater Rösch vereinbart worden war. Ich kannte den Bischof Clemens August bis dahin nur oberflächlich, aber die Einführung durch Strick Galen öffnete sofort die Möglichkeit offenster Gespräche. Die jeweilige Stunde des Besuchs fixierte unser alter Pastor von St. Mauritz, Dechant Berghaus, der vorher telefonisch feststellte, ob der Bischof Besuch empfangen könne. Der auf Diskretion erzogene Diener an der Tür führte dann ohne weitere Namensangabe in das schöne bischöfliche Arbeitszimmer im Mitteltrakt des ersten Stocks.