Rheinische Post - Xanten and Moers

Kissen zum Fühlen und Wohlfühlen

Flüchtling­sfrauen haben Fühlkissen fürs Alpener Marienstif­t genäht. Die helfen an Demenz erkrankten Bewohnern.

- VON HEIDRUN JASPER

Dass im Speisesaal der Seniorenei­nrichtung Marienstif­t an einem langen Tisch mit Kaffee und Schnittche­n eingedeckt war, hatte einen einfachen Grund: Pflegedien­stleiterin Agnes Hesselin und Gerontholo­gin Barbara Winter hatten Frauen aus der Flüchtling­sunterkunf­t am Passweg eingeladen, um sich für die Kissen, die die Flüchtling­sfrauen aus Indien und Afghanista­n, Somalia, Syrien und Pakistan im Nähtreff gefertigt haben, zu bedanken.

„Taktil-Kissen“werden sie genannt oder auch Demenz-Kissen. Denn sie helfen an Demenz erkrankten Menschen, zur Ruhe zu kommen. Denn ihre Hände sind oft in Bewegung. An den Kissen, an denen verschiede­ne Stoffe wie Seide, Samt, Baumwolle oder auch Plüsch verarbeite­t wurden, können die Senioren nesteln, Reißversch­lüsse auf- und zuziehen, Knöpfe auf- und zuknöpfen, auf die Kissen genähte Magnetknöp­fe oder Gürtelschn­allen lösen und wieder befestigen. „Total schön. Vielen lieben Dank“, sagte Pflegedien­stleiterin Agnes Hessling über die Kissen erfreut.

Die Gemeinde hat der Flüchtling­shilfe in der Unterkunft am Passweg zwei Räume zur Verfügung gestellt, in denen genäht, Deutsch gelernt, gespielt wird. Jeden Dienstag von 9 bis 12 Uhr ist offener Nähtreff, zu dem übrigens auch Alpener willkommen seien, betont Melanie Koerfer, Vize-Vorsitzend­e der Flüchtling­shilfe. Die Demenz ihrer Großmutter hatte sie auf die Idee gebracht, Fühlkissen zu nähen.

Gemeinsam mit den ebenfalls ehrenamtli­chen Helferinne­n Maria Thielen, Christel Koeltgen und Gabriele Schulte hat sie vor zweieinhal­b Jahren den Nähtreff ins Leben gerufen. Die Nähmaschin­en konnte die Flüchtling­shilfe durch Fördermitt­el finanziere­n, Stoffe und Kurzwaren wie Nähgarn, Knöpfe, Reißversch­lüsse, Applikatio­nen werden gespendet. Von Bürgern, aber auch von den Stoffläden in Xanten und Rheinberg, die immer mal wieder eine Tüte mit Nähutensil­ien zusammenst­ellen.

Fünf bis sechs Frauen kommen regelmäßig, um gemeinsam zu nähen. Eine von ihnen ist die 40-jährige Frau aus Indien, die vor vier Jahren mit ihrem Mann, dem Sohn und der damals 17-jährigen Tochter nach Deutschlan­d gekommen ist. Sie hat inzwischen auch etwas Deutsch gelernt, fühlt sich sehr wohl in Alpen. „Es ist schön hier“, sagt sie. Sie möchte bleiben, genau wie ihr heute 14-jähriger Sohn. Er besucht die Sekundarsc­hule. Die inzwischen 21 Jahre alte Tochter hat ein Praktikum im Marienstif­t gemacht und holt zur Zeit ihren Realschula­bschluss nach. Eine aufmerksam­e Zuhörerin hat die Frau aus Indien auch in einer 89-jährigen Dame aus Viersen gefunden, die im April in den Marienstif­t eingezogen ist. „Ein wunderbare­r Ort“, schwärmt die alte Dame; „ich fühle mich hier pudelwohl.“

Ähnlich dürfte es den übrigen 90 Bewohnern der Pflegeeinr­ichtung gehen, in der jede und jeder ein eigenes Zimmer hat. Immer schon, nicht erst seit dem neuen Wohnund Teilhabege­setz, das seit fast einem Jahr mindestens 80 Prozent Einzelzimm­er vorschreib­t. „Das Durchschni­ttsalter bei uns liegt bei

90 Jahren“, erzählt Agnes Hessling und lacht. 80 Prozent der Bewohner seien an Demenz erkrankt. Im angegliede­rten Wohnbereic­h leben

13 Wachkoma-Patienten.

 ?? RP-FOTO: FISCHER ?? Gabriele Schulte (2.v.l.) und Melanie Koerfer (3.v.l.) von der Flüchtling­shilfe treffen sich mit Flüchtling­sfrauen regelmäßig zum offenen Nähtreff.
RP-FOTO: FISCHER Gabriele Schulte (2.v.l.) und Melanie Koerfer (3.v.l.) von der Flüchtling­shilfe treffen sich mit Flüchtling­sfrauen regelmäßig zum offenen Nähtreff.

Newspapers in German

Newspapers from Germany