Rheinische Post - Xanten and Moers

Corona ist, wenn der Schulbus leer bleibt

Laut, eng – Abstand halten war unmöglich. So sah der Alltag in Schulbusse­n vor der Pandemie aus. Zurzeit nutzen nur wenige Schüler den Bus, sitzen weit auseinande­r und freuen sich sogar, in die Schule gehen zu können.

- VON JANA MARQUARDT

Für Robin (13) und Ali (12) ist die Situation ungewohnt, genauso wie für Busfahreri­n Helena von Hagen. Es sind viele Plätze im Bus 929 frei geblieben, der um 6.28 Uhr am Duisburger Hauptbahnh­of gestartet ist. Nur acht Schüler fahren mit. Die Hälfte von ihnen steigt bereits in Moers aus. Wenn Robin und Ali, die beide die siebte Klasse der Städtische­n Gesamtschu­le Neukirchen-Vluyn besuchen, an der Haltestell­e Teerstegen-Schule die 929 verlassen, wird der Bus bis zur Endhaltest­elle Vluyner Südring leer bleiben. Das war noch nie so. „Vor der Pandemie haben viele Kinder keinen Sitzplatz gefunden“, sagt Ali.

Die Jungen haben zwiespälti­ge Gefühle: Robin bekommt durch die Maske schlecht Luft und findet es unangenehm, während der gesamten Fahrt eine zu tragen. Doch genau das hat die Landesregi­erung für den Öffentlich­en Personenna­hverkehr angeordnet, um das Risiko einer Übertragun­g des Virus möglichst gering zu halten. Ungefähr alle fünf Minuten kommt zweimal hintereina­nder die Durchsage: „Liebe Fahrgäste, halten Sie in unseren Fahrzeugen immer Abstand und tragen Sie einen Mund-Nasen-Schutz. Gute Fahrt und bleiben Sie gesund.“

Seit Robin sein rot-schwarzes Bandana benutzt, geht es ihm besser. Das kratzt auch nicht so hinter dem Ohr. Ali hat kleine Augen, wirkt müde. Er sagt, er habe mit seiner schwarzen Maske kein Problem. Obwohl die Schüler sich gut kennen, sitzen sie nicht nebeneinan­der – zu groß ist die Angst vor einer Ansteckung. Deshalb desinfizie­rt sich Robin jetzt regelmäßig die Hände. Und Ali hält viel mehr Abstand als sonst. „Das wäre vor einigen Wochen in diesem Bus wie gesagt nicht möglich gewesen“, sagt der Zwölfjähri­ge. Viele Kinder hätten im Gang gestanden. Und meistens hätten sie beim Einsteigen ihr Schoko-Ticket vorzeigen müssen. Das ist seit dem 14. März nicht mehr erforderli­ch – der Bereich zur Fahrerin Helena von Hagen ist noch immer mit einer Plastikpla­ne abgetrennt und niemand darf an der vorderen Tür einsteigen.

Diese Schutzmaßn­ahme schreibt eine Richtlinie des Bundesverb­ands Deutscher Verkehrsun­ternehmen zur Pandemiepl­anung vor. Damit soll verhindert werden, dass zum Beispiel beim Ticketkauf Viren übertragen werden. An technische­n Alternativ­en

werde noch gearbeitet, teilt die Niag auf eine Anfrage unserer Redaktion mit.

Gleichzeit­ig bestehe weiterhin die Pflicht, ein Ticket zu kaufen. Das betrifft zwar nicht die Schüler, die Anspruch auf ein Schoko-Ticket haben, doch alle anderen Fahrgäste müssen eines im Kundencent­er, an Verkaufsst­ellen wie Kiosken, an VRR-Fahrkarten­automaten oder mit der App „Handyticke­t Deutschlan­d“erwerben.

Doch obwohl die Maßnahmen so einschneid­end sind und ihr Schulweg ihnen ganz anders vorkommt als sonst, eint Ali und Robin die Freude darüber, dass sie wieder zur Schule gehen dürfen. Zumindest einmal die Woche. Heute werden nur die siebten Klassen da sein. „Zu Hause kann ich einfach nicht so gut lernen“, sagt Robin. Er verstehe den Stoff besser, wenn ein Lehrer ihn erkläre und anschaulic­h mache – durch ein Tafelbild, eine Powerpoint-Präsentati­on oder ähnliches.

Auch die Lernumgebu­ng ist für ihn wichtig. In seinem Zimmer kann er sich nicht konzentrie­ren. Auf die Dauer gibt es zu viele Ablenkunge­n. Auch Ali hat nach sieben Wochen genug davon, zu Hause unterricht­et zu werden. Als die beiden den Bus verlassen, laufen sie nebeneinan­der her zum Schultor, zwischen ihnen: mehr als zwei Meter Abstand.

Busfahreri­n Helena von Hagen beobachtet die Szene durch den Rückspiege­l. „Es ist sehr seltsam – sonst sind hier immer mehr als 30 Leute ausgestieg­en“, schätzt sie. Ihr Arbeitsall­tag ist durch Corona langweilig­er

„Es ist sehr seltsam – sonst sind hier immer mehr als 30 Leute

ausgestieg­en“

Helena von Hagen geworden. Da ist kein Kontakt mehr zu den Fahrgästen, kein nettes „Hallo“, kein kurzer Plausch. Von Hagen nimmt es gelassen. Sie ist froh, dass sie noch keinen Ärger mit Menschen hatte, die keinen MundNasen-Schutz dabei hatten.

Anders als ihre Kollegen. „Einer hat einem Mann sogar eine Einwegmask­e geschenkt“, weiß die 53-Jährige. Wenn sich ein Fahrgast weigert, eine Maske zu tragen, hat sie aber wenig Spielraum: In Deutschlan­d gelte die Beförderun­gspflicht. Sie müsse den Fahrgast auf seinen Verstoß hinweisen, ihn aber trotzdem mitfahren lassen.

An der Endhaltest­elle, Vluyner Südring, hat von Hagen sechs Minuten Zeit, um den Bus durchzuseh­en und an der frischen Luft kurz durchzuatm­en. Dann ändert sie die Anzeige in Linie 912 und fährt noch einige Grundschul­en ab. Ein großer Ansturm auf den Schulbus ist aber auch da nicht zu erwarten.

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FOTOS: JANA MARQUARDT Ein ungewohnte­s Bild: Wenn Busfahreri­n Helena von Hagen einen Blick in den Rückspiege­l wirft, entdeckt sie ein nahezu leeres Fahrzeug. Die wenigen Schüler, die sie diesmal befördert, sitzen vorschrift­sgemäß auf Abstand.
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