Rheinische Post - Xanten and Moers
Stefan Tigler fliegt nicht mehr
Der Gindericher, der zwei Mal Deutscher Jugendmeister im Hochsprung und 2015 bei der U-20-EM mit 2,17 Metern Siebter wurde, hat seine Laufbahn früh beendet. Der Wechsel vom Weseler TV nach Leverkusen war ein Knackpunkt.
Stefan Tigler zählt zu den Familien- und Gefühlsmenschen. Für den 23-Jährigen besitzt das Umfeld oberste Priorität. Er muss sich wohlfühlen, um Top-Leistungen abrufen zu können. In der Leichtathletik-Abteilung des Weseler TV war dies bis zum Ende des Jahres
2015 der Fall. Fünf deutsche Meistertitel im Nachwuchsbereich gewann er, startete einmal bei einer Europameisterschaft. Als 18-Jähriger erzielte er bei der U-20-EM im schwedischen Eskilstuna als Siebter die persönliche Bestmarke von
2,17 Meter im Hochsprung. Im Januar vor vier Jahren wechselte der Gindericher zu Bayer 04 Leverkusen. Es folgte schon fast ein sportlicher Absturz. „Ich habe durch den Druck jede Menge Spaß am Sport verloren“, sagt Stefan Tigler. Leichtathletik betreibt eines der größten Weseler Talente heute nicht mehr.
Dabei schienen rund um den Jahreswechsel 2015/16 alle Wünsche des aufstrebenden Hochspringers in Erfüllung zu gehen. Stefan Tigler zog nach Leverkusen, konnte dort bei Bayer 04 täglich beim heutigen Bundestrainer Hans-Jürgen Thomaskamp trainieren, der Mateusz Przybylko zum Europameister formte. Zudem begann der Gindericher bei Bayer eine speziell auf Sportler zugeschnittene Ausbildung im Büromanagement. Der Weggang vom WTV fielen zwar schwer, doch die Perspektiven wogen den Abschiedsschmerz auf. Die Zukunft versprach einiges.
Doch schon der erste Wettkampf im Bayer-Trikot endete mit einem herben Rückschlag. Bei einem Weitsprung-Start zog Stefan Tigler sich eine Oberschenkelblessur zu. Diese wird als Zerrung diagnostiziert, eine Besserung der Beschwerden blieb trotz Schonung jedoch aus. Es dauerte, ehe ein Arzt die Verletzung als Muskelbündelriss erkannte. Der 1,95 Meter große Athlet laborierte rund ein halbes Jahres an der vermeintlichen Zerrung herum.
Die verlockende Aussicht auf ein tägliches Training erwies sich für Stefan Tigler danach auch eher als Trugschluss. „Ich habe unterschätzt, was es heißt, nach neun Stunden Arbeit noch zum Training zu gehen.“Die Freude auf die Einheiten, wie es grundsätzlich beim Weseler TV noch der Fall war, war nicht mehr vorhanden. „Es war einfach nicht das, was ich mir unter einem Hobby vorgestellt habe.“Während seiner Zeit in Leverkusen kam der heute 23-Jährige nicht über eine Höhe von 2,06 Metern hinaus.
Doch es war nicht nur die sportliche Unzufriedenheit, die ihm fern der Heimat zu schaffen machte. „Die Ausbildung war auch nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte“, sagt Tigler. Privat lief es ebenfalls nicht richtig rund, ihm fehlte die Freunde – der Anschluss in Leverkusen klappte längst nicht so wie in Wesel. „Ich wurde zunehmend unzufriedener und habe mich fast nur noch auf das Wochenende gefreut“, sagt der Ex-Leichtathlet über seine damalige Gemütslage. Teilweise riss er die knapp 100 Kilometer nach Wesel sogar unter der Woche ab, um in Ginderich ein bisschen persönliches Glück aufzutanken.
Die Höhepunkte bei Bayer, die Trainingslager in Südafrika oder auf Lanzarote, konnten das sonstige Unwohlsein von Stefan Tigler nicht kompensieren. Der Hochsprung wurde eher zur Qual, die Freude am Sport kam nicht zurück. Es klappte wenig. „Irgendwie war der Wurm drin, ich bin daran fast verzweifelt. Als ob ich den Hochsprung komplett verlernt hätte“, beschreibt der Gindericher die für ihn frustrierende Zeit. Im Sommer 2017 zog er die Reißleine und beendete die Zeit in Leverkusen.
Roman Buhl, sein ehemaliger Trainer beim Weseler TV, war mittlerweile als Coach beim LAZ Rhede beschäftigt. Stefan Tigler nahm zu ihm Kontakt auf. Buhl vermittelte ihm eine Stelle in Bocholt, wo der Weseler die Ausbildung beenden konnte. Zugleich begab sich Tigler wieder unter Buhls sportliche Fittiche. Die Erinnerungen an die Jahre in Wesel unter Roman Buhl beflügelten den Schritt. „Beim WTV hatte ich meine schönste Zeit“, sagt Tigler. Dies habe an den Freunden im Verein, dem familiären Umfeld und der Beziehung zum Coach gelegen. „Ihm konnte ich nichts vormachen. Er wusste immer, was mit mir los war.“
Doch Rhede wurde nicht zu einem Abziehbild Wesels. Stefan Tigler kannte zwar die Trainingskollegen, mit einigen ist er auch befreundet. „Das ist für mich sehr wichtig, ich pushe mich super gerne für andere.“Aber er konnte die Zeit nicht zurückdrehen.
Der Spaß an der sportlichen Betätigung kehrte zwar schnell zurück. „Allerdings war es irgendwie weiter nur ein Kämpfen“, sagt Tigler. Er versuchte sich in Rhede einmal über die 400 Meter Hürden, dies brachte jedoch nicht die notwendige Lockerheit für den Hochsprung zurück.
Stefan Tigler schwenkte mit dem Ende der Ausbildung im kaufmännischen Bereich auch beruflich um. Er wollte handwerklich tätig sein, im August 2018 begann er eine Lehre als Elektriker. „Das ist ein super Job, der mir total gefällt“, sagt Tigler. Parallel beendete er seine Leichtathletik-Karriere. Allein schon aus zeitlichen Gründen – Tigler lebt wieder in Ginderich, die Arbeitsstelle ist in Uedem, das Training in Rhede. „Die Entscheidung war überhaupt nicht leicht. Da sind viele Tränen geflossen, schließlich war es auch eine sehr schöne und erfolgreiche Zeit als Leichtathlet.“
So ganz ohne Sport geht es für ihn aber nicht. Ein bisschen kickt er noch beim SV Ginderich in der Fußball-Kreisliga C. Den Hochleistungssport hat er abgehakt, ein Comeback ist unwahrscheinlich. „Ich bin total glücklich, wie es im Moment läuft.“Sogar als König von Ginderich kann er sich bezeichnen. Im vergangenen Jahr wurde er Schützenkönig der St.-Antonius-Junggesellen Ginderich. So kam eine weitere Auszeichnung zu den drei DM-Titeln mit 4 x -100-Meter-Staffeln und den zwei deutschen Meisterschaften im Hochsprung hinzu.
Im Rückblick werden das Jahr 2015 und der Wechsel nach Leverkusen zum Wendepunkt von Stefan Tiglers sportlicher Laufbahn. „Ich würde dies vielleicht nicht noch mal machen. Aber ich bereue es auch nicht, es war kein Fehler“, sagt Tigler. Jetzt hat der Gefühlsmensch scheinbar seine idealen Lebensumstände gefunden – fernab jeglichen Leistungssport-Gedankens.