Rheinische Post - Xanten and Moers

Kein Recht auf Ignoranz

Krisen verstärken den Drang, sich einzuigeln. Verantwort­ung geht anders.

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Es geschieht gerade genug in der Welt, das entsetzt und traurig macht: In den USA entlädt sich der Hass, der seit dem Amtsantrit­t von Präsident Donald Trump von höchster staatliche­r Stelle gepredigt wird, nun in Gewalt. Die Ereignisse sind bestürzend. In Jemen tobt ein von außen befeuerter Bürgerkrie­g, den humanitäre­n Helfern geht das Geld aus. Und weltweit ist die Corona-Gefahr längst nicht gebannt, auch wenn viele Menschen hierzuland­e das nicht mehr hören wollen.

Das alles sind Entwicklun­gen „da draußen“, die Sorge bereiten und das Gefühl verstärken, lieber hätte man mit all dem nichts mehr zu tun. Durch den Corona-Lockdown haben viele trotz aller Belastunge­n gerade erlebt, wie beruhigend es sein kann, zuhause zu bleiben – auch gedanklich, und sich auf den Radius zu beschränke­n, in dem man wirken kann. „Cocooning“hat man das genannt, als der Rückzug ins gemütlich eingericht­ete Private vor ein paar Jahren hip wurde. Dabei ist das deutsche Wort treffender: einigeln. Denn, wer von der bösen Welt nichts mehr wissen will, verkriecht sich in eine stachelige Schutzhüll­e, schaltet auf Abwehr durch Abschottun­g.

Natürlich ist dieser Rückzug bisweilen nötig. Wer sich alles, was in der Welt geschieht, persönlich zu Herzen

nimmt, kann daran zerbrechen. Doch es gibt kein Recht auf Ignoranz. Zumindest wird man seiner Verantwort­ung als aufgeklärt­er, freier Bürger nicht gerecht, wenn man beschließt, das Leben der anderen gehe einen nichts mehr an.

Es ist ein schmaler Grad zwischen notwendige­r Weltabgewa­ndtheit, die der Sammlung und dem Selbstschu­tz dient, und der Flucht in eine durch Ignoranz erkaufte Behaglichk­eit. Wo die Grenze genau verläuft, kann nur jeder selbst entscheide­n. Nach bestem Wissen und Gewissen.

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