Rheinische Post - Xanten and Moers

Richtiges Leben am falschen Ort

Der sehenswert­e Kinofilm „La Palma“erzählt von einem krisengebe­utelten Paar, das sich mit dem Ferienziel vertut.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Sanne wollte eigentlich nach Las Palmas auf Gran Canaria, dort hatte sie per Internet schon ein Hotel gebucht: schön für sechs Tage, „nur wir beide“. Markus sollte im Gegenzug die Flüge besorgen, Arbeitstei­lung: „Mach ich“. Weil Markus aber schusselig ist und so viel lustigen Kram im Kopf hat, dass für ernste Sachen kaum Platz bleibt, kam er mit dem Reiseziel ein bisschen durcheinan­der. So fahren sie an ihrem Ankunftsta­g vom Flughafen ins Hotel und finden es nicht, und es ist schon dunkel, als Sanne halb im Scherz

Der Zuschauer möchte Sanne zurufen: Schieß den Kerl

in den Wind

und halb ahnungsvol­l fragt: „Das ist aber schon Las Palmas, oder?“Ist es natürlich nicht, sondern La Palma, und so geht dieser Film los.

„La Palma“heißt das Debüt des 33 Jahre alten Regisseurs Erec Brehmer, und dieser Film ist so witzig und unerträgli­ch und vor allem wahrhaftig, dass man sich gleich doppelt freuen darf, endlich wieder im Kinosessel zu sitzen. Markus macht die Sache rasch wieder gut, auf seine Art indes: Er bricht in ein leer stehendes Ferienhaus ein, nennt sich selbst Pablo und Sanne Alba, und er macht das so charmant, dass es sich weder illegal noch infantil anfühlt. Sondern ganz romantisch: „Wenn wir wieder nach Hause kommen, haben wir eine krasse Story zu erzählen.“

Ein bisschen erinnert diese Produktion an „Alle anderen“von Maren Ade aus dem Jahr 2009, wo ja ebenfalls ein Paar, durch dessen Beziehung Haarrisse der Ermüdung laufen, Urlaub macht. Auch Markus und Sanne haben ihre Probleme nicht zu Hause gelassen: Soll Sanne den Job in der Kanzlei annehmen? Sollen die beiden zusammenzi­ehen? Was lief da eigentlich mit diesem Lars, der manchmal anruft? Und warum ist Markus meistens entweder albern oder eingeschna­ppt? Immer wenn diese Fragen diskutiert werden müssten, flüchten sich die zwei in ihr Rollenspie­l: „Nix Markus, isch heiße Pablo.“

Total toll ist der Umgang mit Sprache in diesem Film. Sanne und Markus haben ihr eigenes Alphabet, sie sprechen das ABC der Verliebten, aber manchmal wird die Koketterie unterbroch­en, dann gerät so ein Tonfall hinein, den man vielleicht aus eigenen Urlauben kennt, von jenen Tagen, an die man sich nicht so gerne erinnert. Beispiel: Der Badeausflu­g in die entlegene Bucht, die man nur nach ewig langer Felsenklet­terei erreichen kann. Markus hat rumgescher­zt, es ist verdammt warm, der Weg nimmt einfach kein Ende, sie haben Durst und sind müde, und als sie endlich zurück sind beim Mietwagen, sucht er seine Taschen und den Rucksack ab und fragt: „Hast Du den Schlüssel?“Sie antwortet mit dem Satz „Im Ernst jetzt?“, und die Buchstaben sind so scharf geschliffe­n, dass sich das Fragezeich­en wie ein Ausrufezei­chen anfühlt. Jedenfalls: zurückklet­tern, Strand umpflügen, vor der Flut flüchten, Autoscheib­e einschlage­n, eisige Stille auf der Fahrt.

Das Drehbuch schickt Sanne und Markus mehrere andere Paare vorbei, und jedes führt seine eigene, scheinbar ideale Beziehung, über die Sanne und Markus dann nachdenken. Deutsche Auswandere­r, Wiener Jungeltern, die Familienfo­tos der glückliche­n Hausbesitz­er. „Willst Du Kinder?“, fragt Markus am Strand. Antwort: „Nee, du reichst mir. Ich will gerade nicht noch ein Kind.“Man sieht Instagram-mäßig gefilterte Ansichten der Insel, man hört Piano-Musik, aber dann kippt die Stimmung auch gleich wieder, weil vor allem Markus unberechen­bar ist, manchmal extrem anstrengen­d, ehrlich gesagt. Aber meistens eben auch ziemlich lustig.

Sanne kann denn auch irgendwann nicht mehr, emotionale­r Ermüdungsb­ruch, und Marleen Lohse, die das großartig spielt, hört sich an wie eine Kindergärt­nerin, als sie an Tag fünf zu Markus (auch super: Daniel Sträßer) sagt: „Ich glaube, wir sollten heute mal was alleine machen.“Er wird diesen Tag mit einer Holländeri­n verbringen, sie auf dem Bett eines einheimisc­hen Nachwuchs-Casanovas landen.

Als Zuschauer macht man während dieser anderthalb Stunden alle Aggregatzu­stände durch, man will Sanne raten, den Kerl in den Wind zu schießen. Man möchte Markus sagen, er möge jetzt bitte mal die Klappe halten. Man kann nicht aufhören hinzusehen, obwohl man oft das Bedürfnis hat, beschämt zu Boden zu blicken. Und vor allem will man wissen: Bleiben die zusammen oder nicht?

Die Schlusssze­ne ist dann irre schön. Zwei zur rechten Zeit am falschen Ort. Aber wie heißt es bei Andy Möller: Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien.

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FOTO: VERLEIH Sie wollten doch nur nach Las Palmas: Marleen Lohse und Daniel Sträßer.

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