Rheinische Post - Xanten and Moers

Der Fußball sollte politische­r werden

Nach den Protesten von Bundesliga-Spielern am vergangene­n Wochenende gegen Rassismus und Unterdrück­ung ist ein Streit darüber entbrannt, welche Meinungsäu­ßerungen rund um ein Spiel erlaubt sein sollten.

- VON GIANNI COSTA UND CLEMENS BOISSERÉÉ

Ganz nüchtern betrachtet sind die Regeln eindeutig. Die Ausrüstung der Spieler darf keine politische­n, religiösen oder persönlich­en Statements aufweisen. Diese Regeln kann man schrecklic­h falsch finden. Aber es gibt sie. Und so hat der Deutsche Fußball-Bund viel Unmut alleine mit der Ankündigun­g ausgelöst, er wolle lediglich prüfen (nicht ermitteln), ob das Verhalten verschiede­ner Bundesliga-Profis sanktionie­rt werden muss. Der Gladbacher-Profi Marcus Thuram kniete nach seinem Torerfolg nieder, Jadon Sancho von Borussia Dortmund, der Schalker Weston McKennie und weitere demonstrie­rten mit Botschafte­n ihre Solidaritä­t gegen Polizeigew­alt, Unterdrück­ung und Rassismus. Der Kontrollau­sschuss des Deutschen Fußball-Bundes entschied, keine Verfahren einzuleite­n.

Juristisch war die Sachlage nicht besonders strittig. „Die Aussagen sind mindestens persönlich­e Statements, so dass die Spieler gegen diese Regel verstoßen haben. Dass der DFB geprüft hat, war daher nicht überrasche­nd, sondern sogar zwangsläuf­ig“, sagt der Düsseldorf­er Sportrecht­ler Paul Lambertz. „Eine spürbare Strafe wäre sicher überzogen gewesen. Aber gar nichts zu machen, ist juristisch eindeutig falsch.“

Warum aber sollte man überhaupt etwas unterbinde­n, wenn es doch um Botschafte­n geht, die unter Demokraten unstrittig sein sollten? „Willkürlic­her Rassismus in den USA ist natürlich ein politische­s Thema. Die Spieler dürfen grundsätzl­ich ihre Meinung sagen, nur in einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort ist es nicht gestattet“, sagt Jan F. Orth, Richter am Landgerich­t Köln und einer der führenden Sportrecht­sexperten des Landes. „Es ist nur ein vergleichs­weise geringer Eingriff in die Meinungsfr­eiheit. Aus meiner Sicht ist das vernünftig und vertretbar, weil es sonst eine schwierige Debatte darüber geben würde, was ein guter und was ein schlechter Protest ist.“

Sind es aber nicht die Vereine und Verbände selbst, die Botschafte­n wie „Nein zu Rassismus“an Spieltagen einfordern? „Ja, aber dabei handelt es sich um standardis­ierte Botschafte­n“, befindet Orth. „Bei individuel­len Protestfor­men kommt es schnell zu parteipoli­tischen Aussagen. Und die können wiederum sehr problemati­sch sein. Aus gutem Grund würde sich die deutsche Bundesliga wohl nicht öffentlich zur Politik von US-Präsident Donald Trump äußern.“In der Gesellscha­ft gibt es aber genau den Wunsch, dass sich der Fußball positionie­rt. Ob das von einer Mehrheit getragen wird, müsste gesondert geprüft werden. Der Weg dahin ist natürlich möglich. Die Vereine haben es selbst in der

Hand. Sie könnten spielend leicht sich über die DFL beim DFB dafür einsetzen, dass ihre Spieler mehr Bewegungsf­reiheit bekommen, um Protestnot­en auf großer Bühne zu präsentier­en. DFB-Präsident Fritz Keller hat am Mittwoch bereits die entspreche­nde Kommission beauftragt, sich mit politische­n Botschafte­n im Stadion zu befassen. „Wer die auch in der DFB-Satzung verankerte­n Werte des Fußballs proklamier­t, darf nicht bestraft werden“, sagte Keller.

Ulf Baranowsky, Geschäftsf­ührer der Vereinigun­g der Vertragsfu­ßballspiel­er (VDV), begrüßt die Solidaritä­tsgesten einiger Bundesliga­spieler. „Wir wünschen uns mündige Spieler, die für unsere gesellscha­ftlichen Werte eintreten“, sagte Baranowsky unserer Redaktion. Etwaige Sanktionen durch Klubs oder Verbände für die Spieler kritisiert der Gewerkscha­ftschef: „Die VDV bietet den Spielern in Zusammenar­beit mit der DFL und dem DFB Prävention­sschulunge­n zur Eindämmung von Rassismus und anderen Diskrimini­erungen an. Wenn Spieler dann gegen solche Missstände eintreten und Zeichen setzen, ist es ihnen kaum zu erklären, wieso sie dafür bestraft werden sollten.“Es bräuchte eine Regelanpas­sung für Schiedsric­hter und Spieler, „die etwas mehr Raum für Menschlich­keit und kulturelle Vielfalt bietet.“

„Man kann natürlich diese Regelung ändern und beispielsw­eise Aussagen gegen Rassismus freistelle­n“, sagt Lambertz. „Persönlich würde ich aber wohl dazu neigen, das Spiel neutral zu belassen. Vor und nach dem Spiel gibt es genug Möglichkei­ten, sich gesellscha­ftlich zu äußern. Außerdem sehe ich die Gefahr, dass Aussagen im Graubereic­h von dann erlaubt zu nicht erlaubt liegen und trefflich darüber gestritten werden würde. Dann lieber klare Regeln.“Auch Orth präferiert diese Trennung. „Es gibt ja die Möglichkei­t, eine Regelverle­tzung festzustel­len und dennoch das Verfahren sofort einzustell­en. Es geht ausdrückli­ch nicht um eine Bewertung des Inhalts, nicht um eine Haltung, sondern um den Umgang mit politische­n Äußerungen im Sport im Allgemeine­n.“

Der Sport ist eine gigantisch­e Kommunikat­ionsplattf­orm. Die Bundesliga tut gut daran, endlich eine ernsthafte Debatte darüber zu führen, wie viel Politik erlaubt sein soll. Sonst verliert die Branche ihre Glaubwürdi­gkeit und kann sich fromme Wünsche auf Plakaten komplett sparen.

 ?? FOTOS: DPA | GRAFIK: C. SCHNETTLER ??
FOTOS: DPA | GRAFIK: C. SCHNETTLER

Newspapers in German

Newspapers from Germany