Rheinische Post - Xanten and Moers
Der Fußball sollte politischer werden
Nach den Protesten von Bundesliga-Spielern am vergangenen Wochenende gegen Rassismus und Unterdrückung ist ein Streit darüber entbrannt, welche Meinungsäußerungen rund um ein Spiel erlaubt sein sollten.
Ganz nüchtern betrachtet sind die Regeln eindeutig. Die Ausrüstung der Spieler darf keine politischen, religiösen oder persönlichen Statements aufweisen. Diese Regeln kann man schrecklich falsch finden. Aber es gibt sie. Und so hat der Deutsche Fußball-Bund viel Unmut alleine mit der Ankündigung ausgelöst, er wolle lediglich prüfen (nicht ermitteln), ob das Verhalten verschiedener Bundesliga-Profis sanktioniert werden muss. Der Gladbacher-Profi Marcus Thuram kniete nach seinem Torerfolg nieder, Jadon Sancho von Borussia Dortmund, der Schalker Weston McKennie und weitere demonstrierten mit Botschaften ihre Solidarität gegen Polizeigewalt, Unterdrückung und Rassismus. Der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes entschied, keine Verfahren einzuleiten.
Juristisch war die Sachlage nicht besonders strittig. „Die Aussagen sind mindestens persönliche Statements, so dass die Spieler gegen diese Regel verstoßen haben. Dass der DFB geprüft hat, war daher nicht überraschend, sondern sogar zwangsläufig“, sagt der Düsseldorfer Sportrechtler Paul Lambertz. „Eine spürbare Strafe wäre sicher überzogen gewesen. Aber gar nichts zu machen, ist juristisch eindeutig falsch.“
Warum aber sollte man überhaupt etwas unterbinden, wenn es doch um Botschaften geht, die unter Demokraten unstrittig sein sollten? „Willkürlicher Rassismus in den USA ist natürlich ein politisches Thema. Die Spieler dürfen grundsätzlich ihre Meinung sagen, nur in einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort ist es nicht gestattet“, sagt Jan F. Orth, Richter am Landgericht Köln und einer der führenden Sportrechtsexperten des Landes. „Es ist nur ein vergleichsweise geringer Eingriff in die Meinungsfreiheit. Aus meiner Sicht ist das vernünftig und vertretbar, weil es sonst eine schwierige Debatte darüber geben würde, was ein guter und was ein schlechter Protest ist.“
Sind es aber nicht die Vereine und Verbände selbst, die Botschaften wie „Nein zu Rassismus“an Spieltagen einfordern? „Ja, aber dabei handelt es sich um standardisierte Botschaften“, befindet Orth. „Bei individuellen Protestformen kommt es schnell zu parteipolitischen Aussagen. Und die können wiederum sehr problematisch sein. Aus gutem Grund würde sich die deutsche Bundesliga wohl nicht öffentlich zur Politik von US-Präsident Donald Trump äußern.“In der Gesellschaft gibt es aber genau den Wunsch, dass sich der Fußball positioniert. Ob das von einer Mehrheit getragen wird, müsste gesondert geprüft werden. Der Weg dahin ist natürlich möglich. Die Vereine haben es selbst in der
Hand. Sie könnten spielend leicht sich über die DFL beim DFB dafür einsetzen, dass ihre Spieler mehr Bewegungsfreiheit bekommen, um Protestnoten auf großer Bühne zu präsentieren. DFB-Präsident Fritz Keller hat am Mittwoch bereits die entsprechende Kommission beauftragt, sich mit politischen Botschaften im Stadion zu befassen. „Wer die auch in der DFB-Satzung verankerten Werte des Fußballs proklamiert, darf nicht bestraft werden“, sagte Keller.
Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV), begrüßt die Solidaritätsgesten einiger Bundesligaspieler. „Wir wünschen uns mündige Spieler, die für unsere gesellschaftlichen Werte eintreten“, sagte Baranowsky unserer Redaktion. Etwaige Sanktionen durch Klubs oder Verbände für die Spieler kritisiert der Gewerkschaftschef: „Die VDV bietet den Spielern in Zusammenarbeit mit der DFL und dem DFB Präventionsschulungen zur Eindämmung von Rassismus und anderen Diskriminierungen an. Wenn Spieler dann gegen solche Missstände eintreten und Zeichen setzen, ist es ihnen kaum zu erklären, wieso sie dafür bestraft werden sollten.“Es bräuchte eine Regelanpassung für Schiedsrichter und Spieler, „die etwas mehr Raum für Menschlichkeit und kulturelle Vielfalt bietet.“
„Man kann natürlich diese Regelung ändern und beispielsweise Aussagen gegen Rassismus freistellen“, sagt Lambertz. „Persönlich würde ich aber wohl dazu neigen, das Spiel neutral zu belassen. Vor und nach dem Spiel gibt es genug Möglichkeiten, sich gesellschaftlich zu äußern. Außerdem sehe ich die Gefahr, dass Aussagen im Graubereich von dann erlaubt zu nicht erlaubt liegen und trefflich darüber gestritten werden würde. Dann lieber klare Regeln.“Auch Orth präferiert diese Trennung. „Es gibt ja die Möglichkeit, eine Regelverletzung festzustellen und dennoch das Verfahren sofort einzustellen. Es geht ausdrücklich nicht um eine Bewertung des Inhalts, nicht um eine Haltung, sondern um den Umgang mit politischen Äußerungen im Sport im Allgemeinen.“
Der Sport ist eine gigantische Kommunikationsplattform. Die Bundesliga tut gut daran, endlich eine ernsthafte Debatte darüber zu führen, wie viel Politik erlaubt sein soll. Sonst verliert die Branche ihre Glaubwürdigkeit und kann sich fromme Wünsche auf Plakaten komplett sparen.