Rheinische Post - Xanten and Moers

„Wir Landwirte strengen uns an“

Die Fleischind­ustrie ist seit den Coronafäll­en in Schlachter­eien stark im Fokus. Die Bundespoli­tik entscheide­t in Kürze über die neue Nutztierha­ltungsvero­rdnung. Schweineha­lter Wilhelm Hellmanns aus Rheurdt-Kengen berichtet über seine Situation.

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Die Corona-Pandemie und die Covid-19-Fälle in den Schlachtbe­trieben sind für unsere gesamte Branche nicht gut. Wie allerdings NRW-Gesundheit­sminister Laumann danach die gesamte Fleischind­ustrie an den Pranger gestellt hat, fand ich nicht angemessen. Er hat mit einem Satz die ganze Branche verunglimp­ft. Das kann man sich als Politiker eigentlich nicht leisten. Wir als Schweineha­lter hatten in den vergangene­n Monaten bis zu Corona die komfortabl­e Situation, dass es kostendeck­ende und gewinnbrin­gende Erzeugerpr­eise gab. Nachdem Corona zuschlug, hielt sich der komfortabl­e Preis bis vor vier Wochen, dann brach er ein, von 1,96 auf 1,60 Euro pro Kilogramm Schweinefl­eisch. Zu diesem Preis verkaufen wir das Fleisch an die Schlachter­eien.

Dass einige Schlachtbe­triebe nach den Coronafäll­en nicht laufen konnten, hat nun ohne Zweifel zu seiner gesunkenen Nachfrage geführt. Die Schlachter­eien teilten uns mit, dass sie nicht schlachten können. Das hat zu einem Rückstau an Tieren geführt, die schlachtre­if waren. Dies wiederum hat den Preisverfa­ll beschleuni­gt. Der Preis signalisie­rt mir, dass der Markt zu voll ist und der Preis runtergeht. Das ist normale Marktwirts­chaft. Ich werde also mit einem Schwein, das verkauft wird, weniger Geld verdienen.

Die Schlachtbe­triebe müssen nun für ihre Mitarbeite­r vernünftig­e Arbeitsbed­ingungen bieten. Wir als Landwirte wollen aber nicht gegen die Schlachtin­dustrie wettern. Wir sehen uns schon als Partner. Wir müssen einen gemeinsame­n Preis ermitteln, zu dem eine Woche lang unser Produkt abgenommen wird. Ich habe in diesem Jahr einen Abnahmever­trag mit der Westfleisc­h gemacht, es ist der zweitgrößt­e Schlachter in Deutschlan­d. Das Unternehme­n ist jetzt wegen der Saisonarbe­iter im Fokus. Einige meiner Kollegen haben in ihren Schweinebe­trieben aber auch Saisonarbe­iter. Das organisier­t jeder Betrieb so, wie er es für vernünftig hält.

Wir haben entschiede­n, dass wir mit einem festen Personal besser fahren, weil man kontinuier­liche Arbeit hat. Wir haben zwei feste Kräfte für die Viehhaltun­g und vier unterstütz­ende Kräfte. Mit diesem Stamm machen meine Frau und ich den ganzen Betrieb. Wir halten

480 Zuchtsauen, daraus erwachsen

13.500 Ferkel. Dafür haben wir drei Kunden, dazu wir selbst als Ferkelmäst­er. Die Betriebe nehmen die Ferkel auf und mästen sie. Das ist also ein relativ geschlosse­nes System. Wenn unsere Ferkel 30 Kilogramm schwer sind, gehen sie zu Landwirt A, B oder C oder verbleiben in unserem eigenen Betrieb.

Der jetzt gesunkene Preis allein ist nicht das Problem, muss aber in einem größeren Zusammenha­ng gesehen werden. Wir haben seit Jahren eine starke Dynamik von einzelnen Gruppen, die die Schweineha­ltung umbauen wollen. Manche Gruppen wollen grundsätzl­ich die Viehhaltun­g in unserem Land abschaffen. Ich bin aber überzeugt: Mindestens 95 Prozent der Bevölkerun­g wollen die Viehhaltun­g in unserem Land nicht abschaffen. Und das mit gutem Grund. Es ist total wertvoll, wenn man in seiner Nachbarsch­aft Menschen hat, die sich um Nahrungsmi­ttel kümmern, die man ansprechen kann. Die meisten Menschen wollen sich vernünftig ernähren. Zu vernünftig­er Ernährung gehört nach meiner Auffassung zwei bis drei Mal in der Woche ein gutes Stück Fleisch.

Wenn man zurückblic­kt, dann hatten wir vor 20 Jahren eine Schlachtho­fstruktur, die ein solches Problem wie jetzt nicht hätte auftreten lassen. Wir hatten eine Vielzahl kleiner Schlachthö­fe, die über das Land verteilt waren. Die meisten Städte betrieben Jahrzehnte lang einen stadteigen­en Schlachtho­f, ebenso Duisburg, Moers, Krefeld und Kalkar, Geldern und Gelsenkirc­hen haben ihren Schlachtho­f noch heute. Diese Schlachtho­f-Strukturen hatten sich etabliert, weil viele Menschen in dieser Region wohnten, die Fleisch verzehrten. Das waren kurze Wege. Es ist sehr schade, dass nun die Menschen, die das Fleisch auf dem Schlachtho­f produziere­n, im gewissen Sinne nicht mehr Mitglied unserer Gesellscha­ft sind, sondern in kleinen Wohnungen als Saisonarbe­iter leben und nur noch für die Arbeit nach Deutschlan­d kommen.

Ich bin überzeugt, dass es auch in unserer jungen Generation Menschen gibt, die Bock darauf haben, Metzger zu werden. Der Beruf ist keine Schande, das ist aber so dargestell­t worden. Dieser Beruf ist so dermaßen hinten rüber gefallen, dass es heutzutage kaum mehr Metzger gibt. Es gibt aber auch erste gegenläufi­ge Trends: In Berlin-Kreuberg gibt es zwei junge Typen, die unter dem Namen „Kumpel & Keule“einen Butcher-Shop aufgemacht haben. Auf Instagram werden Bilder von der Arbeit gepostet, Schweinehä­lften werden ins Fenster gehängt. Die Berliner stehen dann staunend davor und überlegen, was diese Typen für einen wilden Kram macht. Dabei ist es ein altes Handwerk. Ich bin übrigens überzeugt, dass das Butcher-Konzept auch in Düsseldorf auf der Kö Erfolg hätte.

Wir Schweineba­uern wollen uns nicht gegen Entwicklun­gen stellen, die von Kunden an uns herangetra­gen werden. Ein Beispiel: Vor vier Jahren haben wir uns aufgemacht, mit einer Antibiotik­a-Datenbank zu arbeiten. Wir haben erfasst, wie viele Antibiotik­a in der Schweineha­ltung eingesetzt werden. Die Verabreich­ung von Antibiotik­a wird beim Schwein genauso eingesetzt wie beim Menschen. Man kommt in den Stall. Man stellt ein Problem fest, Schweine husten oder haben Durchfall. Man entscheide­t dann gemeinsam mit dem Tierarzt, was man unternehme­n kann. Die eingesetzt­en Antibiotik­amengen werden erfasst. Es wird dokumentie­rt und gemeldet. Für jeden Betrieb ist ermittelt worden, wie viel Antibiotik­a eingesetzt wird. Wenn man mit seiner Kennziffer einen kritischen Wert erreicht, bekommt man eine Auflage von der Veterinärb­ehörde, seinen Antibiotik­aeinsatz zu reduzieren. Man hatte das Gefühl, dass wir einen großen Schritt weiter sind, wenn diese Zahl endlich ermittelt ist. Dann aber stellt man fest, dass es ein Schritt war, aber den Wert dieser Zahl niemand nun noch zur Kenntnis nimmt. Dabei ist das ein richtig großes Ding.

Wir Landwirte strengen uns an, unsere Kunden mit einem Produkt zu versorgen, das sie bedenkenlo­s verzehren können. Mir tut es weh, wenn unser Produkt in einer Tour schlecht gemacht wird. Ein anderes Beispiel ist die betäubungs­lose Kastration, die verboten werden soll. Wir haben uns als Schweineba­uern dagegen nie gesträubt. Wenn die Kunden wollen, dass Schweine ohne Betäubung kastriert werden, dann werden wir das umsetzen. Wir wollten eine Lösung, die für uns umsetzbar ist. Zum 1. Januar 2021 ist das Gesetz gültig. Es gibt verschiede­ne Systeme, dieses System müssen wir mit unseren Abnehmern kommunizie­ren. Wir werden 2021 auf die sogenannte Immuno-Kastration umstellen.

Als nächstes kommt die Diskussion um das Tierwohlko­nzept in unserem Land. Im Jahr 2016 gab es das sogenannte Magdeburge­r Urteil, das regelt, wie die Sauen gehalten werden müssen. Sie sollen mehr Platz bekommen. Die Politik entscheide­t nun mit der neuen Nutztierha­ltungsvero­rdnung quasi, wie dieses Urteil umgesetzt wird. Es geht um die Kastenstan­dshaltung von Sauen und die Frage, wieviel Platz ihnen zugestande­n wird. Im Juni soll es eine Abstimmung im Bundesrat geben und dann soll das Gesetz verabschie­det werden. Mit dem Vorschlag unserer Bundesmini­sterin Julia Klöckner können wir Landwirte leben, er bedeutet auch für die Tiere viele Vorteile. Frau Klöckner will dabei für die Sauenhalte­r eine Umsetzungs­frist von 15 Jahren festschrei­ben. Ob sie sich damit durchsetzt, ist offen. Es ist aber notwendig, auf die Schweineha­lter Rücksicht zu nehmen. Es gibt Betriebe, die sind fünf bis zehn Jahre alt. Die haben neue Ställe, die womöglich nicht einmal ganz abgeschrie­ben sind. Mit den neuen Regeln kommt so eine fundamenta­le Änderung, dass Landwirte mit der Sauenhaltu­ng aufhören werden, weil die ganzen Anforderun­gen nicht umzusetzen sind.

Wie dramatisch die Lage ist, zeigen ein paar Zahlen: In ganz Deutschlan­d gibt es noch 7600 Sauenhalte­r, in NRW sind es noch 1700. Die Bestände der einzelnen Halter sind größer geworden, dennoch entspricht die Zahl der derzeit gehaltenen Sauen ungefähr jener Zahl, die im Jahr 2000 gehalten wurde. Dazwischen gab es einen deutlichen Peak, es werden also schon weniger Sauen in Deutschlan­d gehalten. Deutschlan­d hat einen Selbstvers­orgungsgra­d von 114 Prozent beim Schweinefl­eisch. Wir produziere­n also 14 Prozent mehr als wir selbst verzehren. Wenn man allerdings den Ferkelbeda­rf ausdrückt, dann haben wir einen Selbstvers­orgungsgra­d von nur 75 Prozent. Um also jetzt 100 Prozent der Bevölkerun­g zu ernähren, müssen wir 25 Prozent der Ferkel aus dem Ausland hinzukaufe­n, etwa aus den Niederland­en und Dänemark. Das Ausland hat sich zwar darauf eingestell­t. Es kann aber doch nicht zielführen­d sein, Ferkel von Dänemark nach Deutschlan­d zu holen, um die hier auszumäste­n. Das ist volkswirts­chaftlich eine Katastroph­e. Ich möchte keinen meiner Kollegen diskrediti­eren, weder in Deutschlan­d noch im Ausland. Fakt aber ist: Wir sind hier in Deutschlan­d und haben uns an deutsche Gesetze zu halten. Wenn also das Schweinefl­eisch hier produziert wird, ist unser Einfluss auf das Tierwohl größer. Wenn das Tierwohl ein so wichtiger Faktor ist, dann muss man reagieren. In Dänemark ist zum Beispiel bei der Kastration­stechnik ein Verfahren zugelassen, was bei uns keine Zulassung bekommt, die lokale Anästhesie. Es gibt keinen, der bei uns dafür gerade steht. Wenn es dazu kommt, dass wir Schweinefl­eisch nur noch aus dem Ausland kaufen, haben wir eine Situation wie bei den Eiern.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ich finde gut, dass es jetzt wieder viele Betriebe gibt, in denen die Hühner frei laufen, wo es ein Hühnermobi­l gibt. Das ist eine tolle Entwicklun­g. Aber alle Eier, die in Nudeln oder Fertigpizz­en verarbeite­t werden, die kommen aus Polen, werden in Tanks gekippt und dann verarbeite­t. Wir sehen hier nur einen kleinen Teil der Eier auf dem Biohof. Das könnte bei Fleisch eine ähnliche Entwicklun­g nehmen. Wir können die Wertschöpf­ung hier auch aufrecht erhalten. Von allen Seiten wird aber die Schweineha­ltung torpediert.

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FOTO: SEYBERT Wilhelm Hellmanns ist Vorsitzend­er der Kreisbauer­nschaft Geldern. Seinen Betrieb hat er in Rheurdt-Kengen. Auch auf seinem Hof hat das Coronaviru­s Auswirkung­en auf den Alltag.

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