Rheinische Post - Xanten and Moers
Die Achsen der Macht in der GroKo
Die Koalition hat zwei Tage diskret das Konjunkturpaket verhandelt. Die Konstellation mit einer Kanzlerin auf Abruf, einer SPD-Führung, der nur wenige etwas zutrauen und einer Union mit ungeklärter Machtfrage, funktioniert erstaunlich gut.
Der Umfang vertraulicher Informationen, die aus einem Koalitionsausschuss frühzeitig nach draußen dringen, ist ein Gradmesser dafür, wie gut die Zusammenarbeit funktioniert. Daran gemessen waren die insgesamt 21-stündigen Verhandlungen zum Konjunkturpaket ein Ausweis für das Funktionieren der Koalition.
Während der Verhandlungen kursierte nur die Information, es habe am ersten Tag Erdbeeren mit Sahne gegeben. Dabei gab es Erdbeeren ohne Sahne. Diese Fehlinformation wiederum führte zu gemeinsamer Heiterkeit: Wer hat denn die Sahne abgeschöpft?
Ansonsten war auch schon während der Verhandlungen von ernsthaften und intensiven Gesprächen die Rede. Das „intensiv“ist eine bekannte politische Chiffre dafür, dass es im Ausschuss zahlreiche Auseinandersetzungen gab. Besonders schwierig war die Phase am späten Mittwochnachmittag, als von „bis in die Nacht“, „vertagen“und „Abbruch“die Rede war. Hört man sich um, schieben sich SPD und Union gegenseitig die Schuld für die schwierige Phase zu. Beide Seiten behaupten, die jeweils andere Partei habe Beratungsbedarf gehabt. Man kann wohl davon ausgehen, dass beide Seiten Recht haben.
Die Sozialdemokraten waren mit dem Vorhaben in die Verhandlungen gegangen, eine Entschuldung der Kommunen durchzusetzen. Dies war das Herzensanliegen von Vizekanzler Olaf Scholz, der in einer solchen Runde ob seiner Erfahrung und Position zwar der Verhandlungsführer für die SPD ist, aber inhaltlich längst nicht alles dominieren kann. Der Verzicht auf die Entschuldung und der Schwenk auf die Unionslinie, wonach die Kommunen nun bei den Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Bezieher entlastet werden, musste also während der Verhandlungen geklärt werden.
Die Union musste dafür den Preis zahlen, ihrerseits von der Autoprämie abzurücken. Teile der CDU hielten das Instrument, das schon einmal während der Finanzkrise vor zehn Jahren zur Ankurbelung der Wirtschaft genutzt wurde, ohnehin nicht mehr für zeitgemäß. CSU-Chef Markus Söder und Ministerpräsident eines Landes mit Auto-Produktionsstandort hatte im Vorfeld allerdings so heftig für eine solche Prämie geworben, dass man bei den Sozialdemokraten schon über die „BMW-Prämie“spottete.
Söder, der schon im Vorfeld die Stimmung in der Union und die Umfragen bei den Bürgern zur Auto-Prämie wird wahrgenommen haben, hatte sich selbst bereits eine Hintertür geöffnet. Für alle überraschend hatte die CSU am Wochenende vor dem Koalitionsausschuss einen erhöhten Freibetrag für Alleinerziehende ins Spiel gebracht. Söder kann man in solchen Runden als eine Art One-Trick-Pony beschreiben, also jemand der immer wieder den gleichen Trick benutzt. Seine Taktik zielt darauf, jeweils einen Punkt zu machen und diesen dann öffentlich als seinen Erfolg zu reklamieren. Um seinen Parteifreund, den CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der früher gerne das große provokative Wort führte, ist es still geworden. Er steht inzwischen im Schatten seines einstigen Rivalen Söder.
Blickt man auf den Anfang dieser vierten und letzten Regierung von Kanzlerin Merkel zurück, als die Koalition wegen der Streitigkeiten in der Union um die Flüchtlingspolitik am seidenen Faden hing, sind CDU und CSU inzwischen geradezu ein Ausbund an Harmonie. Söder umarmt inzwischen nicht nur Bäume sondern auch die Schwesterpartei und präsentiert sich damit kanzlertauglich als Mann der Mitte. Für Querschüsse sorgte zuletzt immer wieder Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. Er stellte den mühsam verhandelten Kompromiss zur Grundrente wieder in Frage und legte im vorherigen Koalitionsausschuss
unabgestimmt ein Papier auf den Tisch, das ein Bürokratie-Moratorium für die Wirtschaft vorsah. Das Papier war dazu geeignet, bei den Sozialdemokraten Schnappatmung auszulösen, weil es aus SPD-Sicht nichts anderes als der Abbau von Arbeitnehmerrechte gewesen wäre.
In Runden wie diesen scheint es sich als Vorteil zu erweisen, dass Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer nur noch Vorsitzende auf Zeit ist und keine Ambitionen mehr aufs Kanzleramt hegt. So kann sie ihre Qualitäten als Mittlerin, Zuhörerin und Brückenbauerin einsetzen, ohne dass ihr eigene Interessen oder Hintergedanken nachgesagt werden.
Das Zusammenspiel in der CDU flutscht ganz offensichtlich, da keiner der potenziellen Kanzlerkandidaten mit am Verhandlungstisch im Koalitionsausschuss sitzt. Damit muss sich auch niemand gegen Angela Merkel profilieren. Die Kanzlerin hält nicht nur Kraft ihres Amtes die Fäden in der Hand. Sie genießt die Autorität des Verhandlungsprofis, der von Brüssel über die Ukraine bis nach Washington bereits in so ziemlich jeden Abgrund geblickt hat. Zugleich ist sie – das war schon immer ihre Qualität – in Detailfragen immer sattelfest. Der Ansprechpartner der Kanzlerin bei den Sozialdemokraten ist qua Amt Vizekanzler Olaf Scholz, mit dem sie in der Koalition eine stabile Machtachse bildet. In früheren Koalitionen lag die Machtachse hingegen auch gelegentlich mal in der Fraktion. Legendär war beispielsweise die als Männerfreundschaft gepflegte Verbindung zwischen den früheren Fraktionschefs Volker Kauder (CDU) und Peter Struck (SPD). Zwischen den heutigen Protagonisten Brinkhaus (CDU) und Rolf Mützenich (SPD) sind Sympathie und Vertrauen längst nicht so groß wie bei dem Duo von einst.
So bleibt das Machtzentrum im Kanzleramt. Zumal Merkel einen guten Draht zu den beiden SPD-Parteichefs pflegt, denen sie von Anfang an mit viel Respekt begegnet ist, während der Rest des Regierungsviertels noch über das Votum der Parteibasis lästerte.
Markus Söder umarmt inzwischen nicht nur Bäume, sondern auch die Schwesterpartei