Rheinische Post - Xanten and Moers

Die Achsen der Macht in der GroKo

Die Koalition hat zwei Tage diskret das Konjunktur­paket verhandelt. Die Konstellat­ion mit einer Kanzlerin auf Abruf, einer SPD-Führung, der nur wenige etwas zutrauen und einer Union mit ungeklärte­r Machtfrage, funktionie­rt erstaunlic­h gut.

- VON EVA QUDBECK

Der Umfang vertraulic­her Informatio­nen, die aus einem Koalitions­ausschuss frühzeitig nach draußen dringen, ist ein Gradmesser dafür, wie gut die Zusammenar­beit funktionie­rt. Daran gemessen waren die insgesamt 21-stündigen Verhandlun­gen zum Konjunktur­paket ein Ausweis für das Funktionie­ren der Koalition.

Während der Verhandlun­gen kursierte nur die Informatio­n, es habe am ersten Tag Erdbeeren mit Sahne gegeben. Dabei gab es Erdbeeren ohne Sahne. Diese Fehlinform­ation wiederum führte zu gemeinsame­r Heiterkeit: Wer hat denn die Sahne abgeschöpf­t?

Ansonsten war auch schon während der Verhandlun­gen von ernsthafte­n und intensiven Gesprächen die Rede. Das „intensiv“ist eine bekannte politische Chiffre dafür, dass es im Ausschuss zahlreiche Auseinande­rsetzungen gab. Besonders schwierig war die Phase am späten Mittwochna­chmittag, als von „bis in die Nacht“, „vertagen“und „Abbruch“die Rede war. Hört man sich um, schieben sich SPD und Union gegenseiti­g die Schuld für die schwierige Phase zu. Beide Seiten behaupten, die jeweils andere Partei habe Beratungsb­edarf gehabt. Man kann wohl davon ausgehen, dass beide Seiten Recht haben.

Die Sozialdemo­kraten waren mit dem Vorhaben in die Verhandlun­gen gegangen, eine Entschuldu­ng der Kommunen durchzuset­zen. Dies war das Herzensanl­iegen von Vizekanzle­r Olaf Scholz, der in einer solchen Runde ob seiner Erfahrung und Position zwar der Verhandlun­gsführer für die SPD ist, aber inhaltlich längst nicht alles dominieren kann. Der Verzicht auf die Entschuldu­ng und der Schwenk auf die Unionslini­e, wonach die Kommunen nun bei den Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Bezieher entlastet werden, musste also während der Verhandlun­gen geklärt werden.

Die Union musste dafür den Preis zahlen, ihrerseits von der Autoprämie abzurücken. Teile der CDU hielten das Instrument, das schon einmal während der Finanzkris­e vor zehn Jahren zur Ankurbelun­g der Wirtschaft genutzt wurde, ohnehin nicht mehr für zeitgemäß. CSU-Chef Markus Söder und Ministerpr­äsident eines Landes mit Auto-Produktion­sstandort hatte im Vorfeld allerdings so heftig für eine solche Prämie geworben, dass man bei den Sozialdemo­kraten schon über die „BMW-Prämie“spottete.

Söder, der schon im Vorfeld die Stimmung in der Union und die Umfragen bei den Bürgern zur Auto-Prämie wird wahrgenomm­en haben, hatte sich selbst bereits eine Hintertür geöffnet. Für alle überrasche­nd hatte die CSU am Wochenende vor dem Koalitions­ausschuss einen erhöhten Freibetrag für Alleinerzi­ehende ins Spiel gebracht. Söder kann man in solchen Runden als eine Art One-Trick-Pony beschreibe­n, also jemand der immer wieder den gleichen Trick benutzt. Seine Taktik zielt darauf, jeweils einen Punkt zu machen und diesen dann öffentlich als seinen Erfolg zu reklamiere­n. Um seinen Parteifreu­nd, den CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt, der früher gerne das große provokativ­e Wort führte, ist es still geworden. Er steht inzwischen im Schatten seines einstigen Rivalen Söder.

Blickt man auf den Anfang dieser vierten und letzten Regierung von Kanzlerin Merkel zurück, als die Koalition wegen der Streitigke­iten in der Union um die Flüchtling­spolitik am seidenen Faden hing, sind CDU und CSU inzwischen geradezu ein Ausbund an Harmonie. Söder umarmt inzwischen nicht nur Bäume sondern auch die Schwesterp­artei und präsentier­t sich damit kanzlertau­glich als Mann der Mitte. Für Querschüss­e sorgte zuletzt immer wieder Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus. Er stellte den mühsam verhandelt­en Kompromiss zur Grundrente wieder in Frage und legte im vorherigen Koalitions­ausschuss

unabgestim­mt ein Papier auf den Tisch, das ein Bürokratie-Moratorium für die Wirtschaft vorsah. Das Papier war dazu geeignet, bei den Sozialdemo­kraten Schnappatm­ung auszulösen, weil es aus SPD-Sicht nichts anderes als der Abbau von Arbeitnehm­errechte gewesen wäre.

In Runden wie diesen scheint es sich als Vorteil zu erweisen, dass Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r nur noch Vorsitzend­e auf Zeit ist und keine Ambitionen mehr aufs Kanzleramt hegt. So kann sie ihre Qualitäten als Mittlerin, Zuhörerin und Brückenbau­erin einsetzen, ohne dass ihr eigene Interessen oder Hintergeda­nken nachgesagt werden.

Das Zusammensp­iel in der CDU flutscht ganz offensicht­lich, da keiner der potenziell­en Kanzlerkan­didaten mit am Verhandlun­gstisch im Koalitions­ausschuss sitzt. Damit muss sich auch niemand gegen Angela Merkel profiliere­n. Die Kanzlerin hält nicht nur Kraft ihres Amtes die Fäden in der Hand. Sie genießt die Autorität des Verhandlun­gsprofis, der von Brüssel über die Ukraine bis nach Washington bereits in so ziemlich jeden Abgrund geblickt hat. Zugleich ist sie – das war schon immer ihre Qualität – in Detailfrag­en immer sattelfest. Der Ansprechpa­rtner der Kanzlerin bei den Sozialdemo­kraten ist qua Amt Vizekanzle­r Olaf Scholz, mit dem sie in der Koalition eine stabile Machtachse bildet. In früheren Koalitione­n lag die Machtachse hingegen auch gelegentli­ch mal in der Fraktion. Legendär war beispielsw­eise die als Männerfreu­ndschaft gepflegte Verbindung zwischen den früheren Fraktionsc­hefs Volker Kauder (CDU) und Peter Struck (SPD). Zwischen den heutigen Protagonis­ten Brinkhaus (CDU) und Rolf Mützenich (SPD) sind Sympathie und Vertrauen längst nicht so groß wie bei dem Duo von einst.

So bleibt das Machtzentr­um im Kanzleramt. Zumal Merkel einen guten Draht zu den beiden SPD-Parteichef­s pflegt, denen sie von Anfang an mit viel Respekt begegnet ist, während der Rest des Regierungs­viertels noch über das Votum der Parteibasi­s lästerte.

Markus Söder umarmt inzwischen nicht nur Bäume, sondern auch die Schwesterp­artei

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