Rheinische Post - Xanten and Moers
25 Milliarden für den Mittelstand
Die Bundesregierung will mit dem Konjunkturpaket Konsum und Investitionen in der schwersten Krise seit dem Krieg ankurbeln.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) knüpfte an diesem Donnerstag nach dem Paukenschlag der Koalitionsspitzen verbal an den berühmtesten seiner Amtsvorgänger an. Das riesige Konjunkturpaket der Regierung solle nach der Corona-Krise einen „Aufschwung für alle“ermöglichen, sagte Altmaier – und erinnerte an Ludwig Erhard, den Vater der sozialen Marktwirtschaft und des Wirtschaftswunders, der in seinem bekanntesten Buch „Wohlstand für alle“versprochen hatte.
Heute geht es nicht mehr um das Erreichen des Wohlstands, sondern um dessen Erhaltung. Dafür legt die Koalition in der tiefsten Krise der Nachkriegszeit ein Konjunkturpaket von unerwarteter Größe auf den Tisch. Mit geliehenen 130 Milliarden Euro will sie 2020 und 2021 nicht nur Konsum und Investitionen ankurbeln, 50 Milliarden davon sollen das Land auch für die Zukunft fitter machen, etwa für bessere Forschung und Digitalisierung sorgen.
Das Echo darauf war überwiegend positiv, Kritik gab es nur im Detail. „Das Konjunkturpaket ist insgesamt ausgewogen und gut durchdacht“, sagte etwa Friedrich Merz, der für den CDU-Parteivorsitz kandidieren will. „Wenn die hohen Ausgaben für
Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung, Forschung und Entwicklung ihre ganze Wirkung entfalten sollen, müssen die Vorhaben zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, der Ausschreibungen und der Verwaltungsmodernisierung jetzt auch schnell umgesetzt werden.“
Verbraucher
Herzstück des Pakets ist die befristete Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent vom 1. Juli bis 31. Dezember. Der ermäßigte Steuersatz für Lebensmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs soll von sieben auf fünf Prozent sinken. Kostenpunkt: 20 Milliarden Euro Steuerausfall. Die Koalition erhofft sich davon einen Schub für die private Nachfrage. Verunsicherte Verbraucher sollen wieder einkaufen gehen. Je größer eine Anschaffung, desto größer die Steuerersparnis. Beispiel: Beim Kauf eines 40.000 Euro teuren Autos spart der Kunde drei Prozent oder 1200 Euro. Insofern wäre damit auch der Autoindustrie geholfen. Allerdings hat dieser Coup, den die Koalition bis Mittwoch geheim halten konnte, einen Haken: Der Verkäufer muss die Steuersenkung an den Kunden weitergeben. Da viele Unternehmen in der Krise erhebliche Umsatzund Gewinneinbußen hinnehmen mussten, wäre es für sie verlockend, die Preise unverändert zu lassen.
Der Handel versicherte zwar, er werde die Steuerersparnis weiterreichen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) machte klar, er werde den Händlern genau auf die Finger schauen – doch ein echtes Druckmittel, Preisnachlässe durchzusetzen, hat er freilich nicht. Die Senkung der Mehrwertsteuer sei „mit gewissen Unwägbarkeiten behaftet“, sagte Wirtschaftsweisen-Chef Lars Feld. „Auf den Konsum wirkt sie nur, wenn sie in den Preisen weitergegeben wird.“Das sei nach Erkenntnissen der Forschung „nicht eindeutig“zu erwarten. CSU-Chef Markus Söder deutete an, dass die Mehrwertsteuersenkung notfalls auch über das Jahresende hinaus gelten könne. Die SPD-Seite reagierte entsetzt: Nur durch die Befristung werde der Konsum beflügelt.
Familien
Eltern sollen für jedes Kind einmalig einen Bonus von 300 Euro erhalten. Laut Familienministerin Franziska Giffey (SPD) soll das Geld in drei Tranchen à 100 Euro fließen. Finanzbedarf: 4,3 Milliarden Euro. Der Bonus wird nicht auf die Grundsicherung angerechnet, muss versteuert werden und wird mit dem Kinderfreibetrag verrechnet. Eine Familie mit einem Kind ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von rund 86.000 Euro würde daher nicht mehr vom Bonus profitieren, hat das Steuerzahlerinstitut ausgerechnet. Ab diesem Einkommen sei der Freibetrag günstiger als das um den Bonus erhöhte Kindergeld. Für eine Familie mit zwei Kindern wäre der Bonus ab Jahreseinkommen von 90.000 Euro nicht relevant.
Stromkunden
Um zu verhindern, dass der Strompreis Anfang 2021 mitten in der Krise stark ansteigt, pumpt die Regierung in den beiden Jahren 2021 und 2022 insgesamt elf Milliarden Euro in die Ökostromförderung. So will sie die EEG-Umlage, die die Stromkunden zahlen, 2021 bei 6,5 Cent pro Kilowattstunde und 2022 bei 6,0 Cent stabilisieren. Täte sie das nicht, drohte die Umlage 2021 sogar auf über zehn Cent zu steigen, was die Stromrechnungen erheblich belastet hätte. Altmaier fürchtete schon um die Akzeptanz der Energiewende bei den Bürgern. Die Umlage würde 2021 so stark steigen, weil der erfolgreiche Ausbau der erneuerbaren Energien den Börsenstrompreis drückt und die Verbraucher aber die wachsende Differenz zur garantierten Vergütung der Ökostrom-Produzenten bezahlen müssen.
Unternehmen
Für Mittelständler, die in Schwierigkeiten sind, soll es neue staatliche Zuschüsse für den Ausgleich ihrer Fixkosten geben.
Kostenpunkt: 25 Milliarden Euro. Anders als zunächst vorgesehen ist die Überbrückungshilfe nicht an eine bestimmte Unternehmensgröße gebunden. Die Förderkriterien sind aber strenger als bei der Soforthilfe für Solo-Selbstständige und kleine Betriebe, die vor zwei Monaten angelaufen war. Für alle Unternehmen werden die Möglichkeiten, Verluste aus 2020 und 2021 mit früheren Gewinnen zu verrechnen, stark verbessert. Zudem wird die degressive Abschreibung für die Abnutzung von Investitionsgütern deutlich erhöht. Für den Wirtschaftsweisen Feld gehören diese Steuererleichterungen zu den sinnvollsten Maßnahmen.
Kommunen
Städte und Gemeinden werden bei den Unterkunftskosten für Hartz-IV-Empfänger dauerhaft entlastet. Statt 50 übernimmt der Bund 75 Prozent dieser Ausgaben, das kostet ihn vier Milliarden Euro pro Jahr mehr. Zudem gleichen Bund und Länder die Gewerbesteuermindereinnahmen der Kommunen von knapp zwölf Milliarden Euro in diesem Jahr aus. Die Spitzenverbände zeigten sich zufrieden. Die von Scholz vorangetriebene Entschuldung der Kommunen scheiterte dagegen am Widerstand der Union, die dafür die Länder in der Pflicht sieht.