Rheinische Post - Xanten and Moers
Der Niedergang der Lobbyisten
Erst die Energie, dann die Banken, jetzt die Autohersteller – starke Branchen verlieren zunächst die Bodenhaftung und dann den politischen Einfluss. Gut so.
Für Hildegard Müller läuft es nicht gut. Nach wenigen Monaten im Amt musste die Chefin des Auto-Verbands VDA eine herbe Klatsche einstecken: Obwohl sie als frühere Staatsministerin im Kanzleramt einen guten Draht zu Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Autoländer Bayern und Niedersachsen an ihrer Seite hat, gelang es der 52-Jährigen nicht, beim Poker um das Konjunkturpaket eine Kaufprämie für Neuwagen durchzusetzen. Dabei hatten Hersteller, Zulieferer und IG Metall seit Wochen für die Subvention getrommelt. Und so blieb Müller nur, gute Miene zum verlorenen Spiel zu machen: „Der VDA bedauert, dass die Vorschläge für einen unmittelbar wirksamen Konjunkturimpuls nur zum Teil aufgenommen wurden.“
Es dürfte für Müller nur ein schwacher Trost sein, dass vor allem die Konzernchefs waren, die die Hilfe verwirkten. Allen voran VW-Chef Herbert Diess, der sich mit seinen arroganten Auftritten wenig Freunde in Berlin machte. Bis heute hat VW weder den Dieselskandal aufgearbeitet, noch betrogene Kunden angemessen entschädigt. Ein Verfahren gegen Diess wegen des Verdachts auf Marktmanipulation wurde gerade gegen Millionen-Zahlungen eingestellt. Sprüche wie „Ebit macht frei“diskreditieren den Vorstandsvorsitzenden von VW ebenso wie ein rassistischer Werbeclip des Konzerns, in dem eine weiße Hand einen schwarzen Mann wegschnippt. Will man mit einem solchen Manager Deals machen?
Hinzu kommt, dass die Branche den Klimawandel nicht ernsthaft angeht. Sie spart im Gegensatz zur Stromwirtschaft kaum Kohlendioxid ein. Und dann fordern die Chefs von VW, Daimler und BMW auch noch eine Prämie für alles – Elektroautos, Hybride, Benziner, Diesel. Subventionen für Benziner und Diesel passen aber nicht zur Klima-Kanzlerin, zumal auch Wirtschaftsweise massiv gewarnt hatten.
Und dann ging der Branche noch ihr früherer Verbündeter von der Fahne: die SPD. „Nach den Beschäftigten der Energiebranche gibt die Sozialdemokratie mit ihrer eher populistischen Ablehnung von Fördermitteln für die Autoindustrie den nächsten Teil ihrer klassischen Wählerschaft auf“, sagte Sigmar Gabriel, der frühere SPD-Chef, unserer Redaktion. „Klimapolitik ist ihr inzwischen wichtiger als die Interessenvertretung von Arbeitnehmern.“Und: „Die achselzuckende Bemerkung, für den Klimaschutz ginge das nun mal nicht anders, finden die Betroffenen einfach nur zynisch. So etwas können sich Grüne leisten, aber nicht Sozialdemokraten.“
Aber auch die IG Metall hat an Einfluss verloren. Daran ist für Gabriel die Gewerkschaft selbst schuld: „Die IG Metall und ihr Vorsitzender tragen auch selbst Verantwortung für diese Entfremdung. Wer immer nur dann zur SPD geht, wenn die Hütte brennt, aber ansonsten lieber auf Distanz bleibt, der muss sich nicht wundern, wenn die Bindekräfte zwischen SPD und Gewerkschaft immer schwächer werden.“Gabriel hätte die Kaufprämie unter Bedingungen begrüßt: wenn Emissionen sinken und die Konzerne auf Dividenden und Boni verzichtet hätten. „Die Autoindustrie hat sich durch Betrug, Manipulation, irrsinnige Gehälter und Boni selbst an den Rand der Gesellschaft manövriert“, sagt der Mann, der einst als VDA-Chef gehandelt worden war.
Es ist nicht die erste Branche, die einst mächtig war und sich dann selbst ins Abseits stellte. Ähnliches schafften die Stromerzeuger: Als 2005 der Handel mit Emissionszertifikaten eingeführt wurde, setzten die Konzerne durch, dass sie massiv mit kostenlosen Zertifikaten ausgestattet wurden – um dann doch die Preise zum Schaden der Verbraucher zu erhöhen. Eon stieg zum wertvollsten deutschen Konzern auf. „Da fühlte
Sigmar Gabriel früherer SPD-Chef sich die Politik verschaukelt, da riss der Faden“, sagte ein Kenner. 2010 legte RWE-Chef Jürgen Großmann nach und inszenierte einen „energiepolitischen Appell“, in dem 40 Manager und Politiker für längere Laufzeiten der Atomkraftwerke warben. Merkel fühlte sich vom großmäuligen RWE-Chef unter Druck gesetzt. Als im März 2011 die Reaktoren in Fukushima barsten, setzte die Kanzlerin den Atomausstieg durch. Neun Jahre später lässt sie den Kohleausstieg beschließen, RWE und Co. können nur noch über die Höhe der Abfindung streiten.
Überhebliche Manager hatte auch die Bankbranche zu bieten. In der Finanzkrise 2008 kämpften Merkel und ihr Finanzminister gegen den Zusammenbruch des Bankensystems und spannten für die deutschen Institute einen milliardenschweren Schutzschirm auf. Immer mit dabei: Josef Ackermann, damals Chef der Deutschen Bank. Und was sagte er später? „Ich würde mich schämen, wenn wir in der Krise Staatsgeld annehmen.“Die Kanzlerin war irritiert, sah ihr Rettungspaket diskreditiert und verzichtete dankend auf Ackermanns weiteren Rat. Dass die Deutsche Bank später in einem Strudel von teuren Prozessen versank, belegt einmal mehr die These, dass Hochmut vor dem Fall kommt. Die Aktie ist heute nicht mal mehr ein Zehntel ihres Rekordkurses von einst wert.
Finanzkrise, Fukushima, Corona – an Politik nach dem Motto „Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren“hat die Kanzlerin keine Interesse. Der Steuerzahler auch nicht. Das gilt besonders, wenn die Hilferufe von Unternehmen kommen, die den Strukturwandel verschlafen haben oder sich womöglich gar in illegale Geschäfte verwickeln ließen. Und das gilt erst recht, wenn sie von arroganten Managern kommen.
Dann kann auch Hildegard Müller bei ihrer alten Chefin nichts mehr ausrichten. „Einfach keine Dividende zu zahlen, ist nicht der richtige Schritt“, hatte Müller noch im April kläglich gewarnt. Nun gibt es keine Staatshilfe, und die Unternehmen sind frei in ihrer Dividendenpolitik. So muss es sein.
„Klimapolitik ist der SPD wichtiger als
die Vertretung der Arbeitnehmer“