Rheinische Post - Xanten and Moers

„Das Virus einzudämme­n, ist ein Teamspiel“

Der Bundesgesu­ndheitsmin­ister zur Corona-App, zur Disziplin der Bürger und zur Notwendigk­eit einer „Gesundheit­s-Nato“.

- JAN DREBES UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Italien hat sie, Spanien hat sie – warum dauert es in Deutschlan­d so lange, bis es eine Corona-App gibt?

Wir werden die App im Laufe der nächsten Woche vorstellen. Diese Zeit brauchten wir für die Entwicklun­g, weil wir hohe Anforderun­gen stellen: Die App muss auf allen Endgeräten genutzt werden können und soll beispielsw­eise auch dann messen, wenn man mit dem Handy Musik hört. Sie muss strenge Vorgaben beim Datenschut­z, der Datensiche­rheit und bei der Energieeff­izienz erfüllen. Eine App, die in wenigen Stunden den Akku des Handys leerzieht, nutzt keiner.

Da werden wir dann besser sein als die Italiener und Franzosen?

Ich will jedenfalls vermeiden, dass die App von vielen wieder gelöscht wird, weil sie zu viel Energie frisst. Und sie soll allen Bundesbürg­ern zugänglich sein. Auch das unterschei­det unseren Weg von begrenzten Feldversuc­hen anderer europäisch­er Länder.

Das heißt, beim Italiener um die Ecke müssen wir ab dem 15. Juni nicht erst einmal einen Personalfr­agebogen ausfüllen, bevor die Pizza kommt?

Das eine schließt das andere nicht aus. Aber im Vergleich zur analogen Welt ist die App für den Datenschut­z doch viel besser. Bei der derzeit vielfach obligatori­schen Abfrage der persönlich­en Kontaktdat­en in Restaurant­s oder Gottesdien­sten trägt man ja in Wahrheit nicht nur seine eigene Telefonnum­mer in die Liste ein, sondern kann auch die des vorherigen Gastes lesen. Da ist es mit dem Datenschut­z oft nicht weit her.

Halten Sie eine gesetzlich­e Grundlage für notwendig, damit niemand genötigt werden kann, die App zu nutzen?

Nein. Es gibt ja bereits eine klare gesetzlich­e Grundlage. Und das ist die Datenschut­zgrundvero­rdnung. Dort ist alles Notwendige, etwa zur Freiwillig­keit und zur ausdrückli­chen Einwilligu­ng für jede Nutzung der Daten, eindeutig geregelt. Besser geht es nicht.

Sie sagen also: Eins ist sicher – die Corona-App?

Ja! Vor allem aber wird die App helfen, Kontakte im Umfeld von infizierte­n Personen schnell zu informiere­n und zum Testen einzuladen. Und wenn dann im Vergleich zu heute eher einer mehr zum Testen geht als einer zu wenig, dann ist das umso besser. Die App ist kein Allheilmit­tel. Sie ist aber ein weiteres wichtiges Werkzeug, um die Infektions­zahlen niedrig zu halten.

Mit welcher Beteiligun­g rechnen Sie bei der App?

Wenn wir in den kommenden Wochen einige Millionen Bürger

von der App überzeugen, dann bin ich schon zufrieden. Aber wir sollten die Erwartunge­n auch nicht zu hoch schrauben. Das Virus einzudämme­n, ist ein Teamspiel. Jeder, der die App herunterlä­dt, hilft dabei. Die Bundesregi­erung wird in einer breit angelegten Kampagne werben.

Haben Sie den Eindruck, dass die Bürger nachlässig werden, was den Schutz vor Corona angeht?

Nach den schwierige­n Wochen mit starken Beschränku­ngen ist die unmittelba­re Bedrohung nicht mehr so groß. Die Infektions­zahlen gehen zurück. Das konkrete

Erlebnis einer Infektion oder einer Covid-19-Erkrankung im eigenen direkten Umfeld wird damit weniger. Das hinterläss­t den subjektive­n Eindruck, das Virus wäre nicht mehr da. Dieser Eindruck trügt. Das sehen wir überall dort, wo man es dem Virus zu leicht macht, etwa beim Feiern wie in Göttingen oder Leer. Dann kommt es schnell zu großen und gefährlich­en Ausbrüchen. Es besorgt mich, wenn ich manche Bilder dicht gedrängter Menschenma­ssen im Park oder auf Demonstrat­ionen sehe. Wir haben gemeinsam viel erreicht. Nun haben wir es durch unser Verhalten selbst in der Hand, ob wir Deutschen den schwierigs­ten Teil der Pandemie hinter uns haben.

Die deutsche EU-Ratspräsid­entschaft steht im Zeichen der Pandemie. Was muss Europa aus der Corona-Krise lernen?

Wir müssen uns als Europa mehr zutrauen und mehr trauen. Zumal in einer zunehmend bipolaren Weltlage, die durch China und die USA bestimmt wird. Es geht um eine Neudefinit­ion unserer europäisch­en Rolle in der Welt. Europa als Schutz- und Innovation­sgemeinsch­aft für die 20er Jahre zu definieren, darum geht es. Es geht auch um das richtige Maß an Globalisie­rung. Bei Schutzmask­en und Arzneimitt­eln sollten wir nicht so abhängig vom Weltmarkt sein. Es darf sich nicht in China entscheide­n, ob eine Ärztin oder ein Pfleger in Berlin, Warschau oder Paris die benötigte Schutzmask­e hat oder nicht.

Was bedeutet das für die Wirtschaft­sund Industriep­olitik?

Dass wir stärker in internatio­nalen Zusammenhä­ngen denken. Nehmen Sie den Luftverkeh­r als Beispiel. Unser Anspruch muss sein, dass nach dieser Krise mindestens eine europäisch­e Fluggesell­schaft auf den vorderen Plätzen der Weltliga spielt. Das geht aber nur, wenn wir unseren Fluggesell­schaften die Chance geben, durch Fusionen stark zu werden. Und dieses Prinzip gilt auch für andere Branchen, wie Stahl, IT oder Banken. Wenn unsere Unternehme­n im internatio­nalen Wettbewerb eine Rolle spielen sollen, braucht es endlich eine Reform des europäisch­en Kartellrec­hts. Und eine europäisch­e Wirtschaft­s- und Industriep­olitik, die auch in diesen Dimensione­n denkt, statt Nabelschau zu betreiben.

In Europa wird aber auch auf Feldern zu wenig zusammenge­arbeitet, auf denen es möglich und nötig wäre – wie jetzt die Corona-Krise zeigt.

Ja, es geht noch besser.

Hätte es so etwas wie eine europäisch­e Taskforce geben müssen, die in den besonders betroffene­n Gebieten wie in Norditalie­n einfach hilft?

Europa braucht einen besseren Mechanismu­s für Gesundheit­skrisen, so wie wir auch einen für Finanzkris­en gefunden haben: Die EU als Kern eines Bündnisses zur gegenseiti­gen Unterstütz­ung im Pandemiefa­ll, eine Art Gesundheit­s-Nato. Um schnell handlungsf­ähig zu sein, wenn in einem Mitgliedst­aat ein Virus ausbricht, braucht es gemeinsame Strukturen, die auf Experten, Ärzte, Ressourcen zugreifen können. Dann müssen wir auch nicht 27 Mal nationale Reserven mit Schutzmask­en anlegen, sondern können eine europäisch­e Reserve aufbauen. Zudem würde ich gerne die europäisch­e Gesundheit­sbehörde ECDC zu einer Art europäisch­em Robert-Koch-Institut ausbauen. All das werden wir auch im Zuge der EU-Ratspräsid­entschaft besprechen.

Wie sehen Sie künftig die Rolle der Weltgesund­heitsorgan­isation – auch im Spannungsf­eld zwischen China und den USA?

Falls sich die USA aus der WHO tatsächlic­h zurückzieh­en, ist Deutschlan­d dort einer der größten staatliche­n Zahler. Daraus erwächst Verantwort­ung. In diesem Verständni­s gilt es, eine europäisch­e Position

zur notwendige­n WHO-Reform zu entwickeln. Klar ist: Es braucht diese globale Zusammenar­beit auch bei Gesundheit, das zeigt die Pandemie. Es braucht die koordinier­ende Rolle einer Weltgesund­heitsorgan­isation, es braucht die Unterstütz­ung ärmerer Länder zu unser aller Wohl. Klar ist aber auch: Die WHO muss besser werden. Aber das ist ein ständiger Prozess. Und das gilt für alle Organisati­onen dieser Größe.

Kann man aus der Krise lernen, wie man künftig die Eintragung eines solchen Virus nach Europa verhindern kann?

In einer globalisie­rten Welt lässt sich kaum verhindern, dass so ein Virus zu uns gelangt. Es wäre aber besser, wenn wir in Europa in Zukunft schneller eine gemeinsame Linie entwickeln. Dafür gibt es aber keine einfachen Lösungen. Viele wollten einfach Flüge aus China verbieten. In dem Fall hätten wir mehrere Hundertaus­ende Deutsche aus Asien zurückflie­gen und zentral in Quarantäne nehmen müssen.

Zur Union: Haben die Ministerpr­äsidenten Laschet und Söder ihren internen Machtkampf in der Corona-Krise zu weit getrieben?

Ich habe zwei Ministerpr­äsidenten erlebt, die sich mit ihren Überzeugun­gen für die Bürgerinne­n und Bürger in ihren Bundesländ­ern eingesetzt haben.

Ja, das zuvorderst. Und dahinter lief der Machtkampf.

Dahinter lief eine legitime und notwendige Debatte über den richtigen Weg.

Gilt weiterhin, dass Sie im Dezember nicht als CDU-Chef antreten werden?

Ja.

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FOTO: IMAGO IMAGES Jens Spahn Ende Mai im St.-Elisabeth-Stift in Berlin.

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