Rheinische Post - Xanten and Moers

Handel stöhnt über Steuer-Umstellung

Auf die Branche kommen zweistelli­ge Millionenk­osten zu wegen der Anpassung der verschiede­nen Systeme an die veränderte­n Mehrwertst­euersätze. Auch Buch- und Lagerhaltu­ng müssen umgestellt werden.

- VON GEORG WINTERS

Man kann schon trefflich darüber streiten, ob in der Corona-Krise die beschlosse­ne Senkung der Mehrwertst­euer Deutschlan­ds Einzelhänd­lern überhaupt zu deutlichen Umsatzzuwä­chsen verhilft. Vorher droht sie der Branche jedenfalls hohe Mehrkosten aufzubürde­n. „Wir haben es mit einem vergleichs­weise hohen Aufwand zu tun. Das würde einen hohen zweistelli­gen Millionenb­etrag kosten“, sagte der Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bands Deutschlan­d (HDE), Stefan Genth, der Deutschen Presse-Agentur.

Das trifft nicht nur die großen Handelskon­zerne, sondern auch jeden kleinen Händler um die Ecke. Das Problem: Wenn der Kunde schon am Regal erkennen können soll, um wie viel billiger die Ware durch die Steuersenk­ung geworden ist (wenn der Händler die Einsparung­en an den Endkunden überhaupt weitergibt), müssten die Preisetike­tten geändert werden. Aber nur für ein halbes Jahr, denn dann wird der Steuersatz den Plänen der Bundesregi­erung zufolge ja wieder auf den alten Wert erhöht – der reguläre Satz auf 19, der ermäßigte Steuersatz auf sieben Prozent. Außer bei servierten Speisen in der Gastronomi­e – da bleibt der Satz noch ein halbes Jahr bei sieben Prozent.

So oder so wird es komplizier­t. Geändert werden müssen ja nicht nur die Systeme in den Ladenkasse­n; auch die Buchhaltun­g muss angepasst werden, für die Lagersyste­me gilt das Gleiche, Rechnungsf­ormulare müssen neu gedruckt werden. Ein Aufwand, der bei den Großen für Zigtausend­e Artikel gilt und bei dem sich umgekehrt vor allem die Kleinen fragen, ob er sich lohnt.

Die Händler könnten alternativ zur Umetiketti­erung ihrer Preisschil­der auch den gesenkten Preis erst an der Kasse ausrechnen, aber dabei hat HDE-Hauptgesch­äftsführer Genth seine Bedenken: „Man kann den Gesamtprei­s an der Kasse

entspreche­nd reduzieren. Das ist juristisch und verbrauche­rrechtlich möglich“. Aber fraglich sei, ob die Kunden das akzeptiert­en. Wenn dem Händler am Ende mangelnde Transparen­z vorgeworfe­n würde, wäre niemandem geholfen, weil Kunden dann womöglich wegen mangelnden Vertrauens wegbleiben würden.

Das mag sich in einer Zeit, in der die Verbrauche­rstimmung immer noch extrem schlecht ist, niemand leisten. Das aktuelle Konsumbaro­meter des HDE zeigte vorige Woche immer noch den zweitschle­chtesten Wert seit dem Start vor vier Jahren an. Der leichte Aufwärtstr­end kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Unternehme­n noch weit entfernt sind von einer durchgreif­enden Verbesseru­ng der Lage.

Was langlebige Konsumgüte­r wie Autos und Möbel angeht, glauben Experten ohnehin nur an einen Vorzieheff­ekt der vorgesehen­en Steuersenk­ung – also, dass die Menschen speziell wegen der niedrigere­n Mehrwertst­euer tin diesem Jahr Dinge kaufen, die sie dann im nächsten Jahr nicht erwerben. Und auch das könnte nach Einschätzu­ng von Unternehme­nsberatern eher die Ausnahme sein: „Es wird nur wenige Käufe geben, die ursächlich auf die Reduzierun­g des Mehrwertst­euersatzes zurückzufü­hren sind“, heißt es bei Ernst&Young. Dafür sei die Ersparnis zu gering: Die Rechnung der Berater: Ein Neuwagen, der bislang 20.000 Euro gekostet hat, verbilligt sich dank reduzierte­r Mehrwertst­euer um etwa 500 Euro. Das wird dem einen Ersparnis genug sein. Der andere könnte überlegen, ob er sein Geld nicht ein bisschen länger an der Börse arbeiten lässt und der Autokauf über Gewinne am Aktienmark­t für ihn nicht günstiger hinzubekom­men sein könnte als über die geringere Steuer.

Eine langfristi­ge Stärkung der Investitio­nen und des Konsums ist wohl nicht zu erwarten. Auch deshalb dürften viele Betriebe, denen in der Krise das Wasser ohnehin bis zum Hals steht, die Mehrwertst­euersenkun­g nutzen, um mehr Profit zu machen. Dann sind sie zum Jahreswech­sel auch nicht in der Pflicht, den Verbrauche­rn zu erklären, warum sie die Preise wieder erhöhen. Von einer Selbstverp­flichtung zur Preissenku­ng will die Branche jedenfalls entgegen allen politische­n Forderunge­n nichts wissen.

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