Rheinische Post - Xanten and Moers
Handel stöhnt über Steuer-Umstellung
Auf die Branche kommen zweistellige Millionenkosten zu wegen der Anpassung der verschiedenen Systeme an die veränderten Mehrwertsteuersätze. Auch Buch- und Lagerhaltung müssen umgestellt werden.
Man kann schon trefflich darüber streiten, ob in der Corona-Krise die beschlossene Senkung der Mehrwertsteuer Deutschlands Einzelhändlern überhaupt zu deutlichen Umsatzzuwächsen verhilft. Vorher droht sie der Branche jedenfalls hohe Mehrkosten aufzubürden. „Wir haben es mit einem vergleichsweise hohen Aufwand zu tun. Das würde einen hohen zweistelligen Millionenbetrag kosten“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth, der Deutschen Presse-Agentur.
Das trifft nicht nur die großen Handelskonzerne, sondern auch jeden kleinen Händler um die Ecke. Das Problem: Wenn der Kunde schon am Regal erkennen können soll, um wie viel billiger die Ware durch die Steuersenkung geworden ist (wenn der Händler die Einsparungen an den Endkunden überhaupt weitergibt), müssten die Preisetiketten geändert werden. Aber nur für ein halbes Jahr, denn dann wird der Steuersatz den Plänen der Bundesregierung zufolge ja wieder auf den alten Wert erhöht – der reguläre Satz auf 19, der ermäßigte Steuersatz auf sieben Prozent. Außer bei servierten Speisen in der Gastronomie – da bleibt der Satz noch ein halbes Jahr bei sieben Prozent.
So oder so wird es kompliziert. Geändert werden müssen ja nicht nur die Systeme in den Ladenkassen; auch die Buchhaltung muss angepasst werden, für die Lagersysteme gilt das Gleiche, Rechnungsformulare müssen neu gedruckt werden. Ein Aufwand, der bei den Großen für Zigtausende Artikel gilt und bei dem sich umgekehrt vor allem die Kleinen fragen, ob er sich lohnt.
Die Händler könnten alternativ zur Umetikettierung ihrer Preisschilder auch den gesenkten Preis erst an der Kasse ausrechnen, aber dabei hat HDE-Hauptgeschäftsführer Genth seine Bedenken: „Man kann den Gesamtpreis an der Kasse
entsprechend reduzieren. Das ist juristisch und verbraucherrechtlich möglich“. Aber fraglich sei, ob die Kunden das akzeptierten. Wenn dem Händler am Ende mangelnde Transparenz vorgeworfen würde, wäre niemandem geholfen, weil Kunden dann womöglich wegen mangelnden Vertrauens wegbleiben würden.
Das mag sich in einer Zeit, in der die Verbraucherstimmung immer noch extrem schlecht ist, niemand leisten. Das aktuelle Konsumbarometer des HDE zeigte vorige Woche immer noch den zweitschlechtesten Wert seit dem Start vor vier Jahren an. Der leichte Aufwärtstrend kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Unternehmen noch weit entfernt sind von einer durchgreifenden Verbesserung der Lage.
Was langlebige Konsumgüter wie Autos und Möbel angeht, glauben Experten ohnehin nur an einen Vorzieheffekt der vorgesehenen Steuersenkung – also, dass die Menschen speziell wegen der niedrigeren Mehrwertsteuer tin diesem Jahr Dinge kaufen, die sie dann im nächsten Jahr nicht erwerben. Und auch das könnte nach Einschätzung von Unternehmensberatern eher die Ausnahme sein: „Es wird nur wenige Käufe geben, die ursächlich auf die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes zurückzuführen sind“, heißt es bei Ernst&Young. Dafür sei die Ersparnis zu gering: Die Rechnung der Berater: Ein Neuwagen, der bislang 20.000 Euro gekostet hat, verbilligt sich dank reduzierter Mehrwertsteuer um etwa 500 Euro. Das wird dem einen Ersparnis genug sein. Der andere könnte überlegen, ob er sein Geld nicht ein bisschen länger an der Börse arbeiten lässt und der Autokauf über Gewinne am Aktienmarkt für ihn nicht günstiger hinzubekommen sein könnte als über die geringere Steuer.
Eine langfristige Stärkung der Investitionen und des Konsums ist wohl nicht zu erwarten. Auch deshalb dürften viele Betriebe, denen in der Krise das Wasser ohnehin bis zum Hals steht, die Mehrwertsteuersenkung nutzen, um mehr Profit zu machen. Dann sind sie zum Jahreswechsel auch nicht in der Pflicht, den Verbrauchern zu erklären, warum sie die Preise wieder erhöhen. Von einer Selbstverpflichtung zur Preissenkung will die Branche jedenfalls entgegen allen politischen Forderungen nichts wissen.