Rheinische Post - Xanten and Moers

„Angst ist bei Gefahr das Gefährlich­ste“

Heinrich Heines Bericht über den verheerend­en Cholera-Ausbruch in Paris 1832 spiegelt auch unsere Zeit und unsere Sorgen. Cholera-Bericht im Sonderdruc­k

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Natürlich ist das allzu heftig formuliert – und dennoch, an Gangelt und der hoch infektiöse­n Karnevalss­itzung dort sowie jedem jecken Treiben fühlt mich sich bei diesen Worten sofort erinnert: Wie die Menschen sich bei herrlichem Wetter maskiert auf den Straßen tummeln, als wollten sie ihre Furcht und die Krankheit gleich mitvertrei­ben, und wie der Tod unbarmherz­ig sein Werk verrichtet und etliche Menschen gleich nach ihrer Ankunft im Hospital sterben.

„Mehrere Abende lang sah man auf den Boulevards wenig Menschen,

und diese eilten einander vorüber, ein Tuch vor dem Munde“

Heinrich Heine

„Da man in der ersten Bestürzung an Ansteckung glaubte, und die älteren Gäste ein grässliche­s Angstgesch­rei erhoben, so sind jene Toten, wie man sagt, so schnell beerdigt worden, dass man ihnen nicht einmal die buntscheck­igen Narrenklei­der auszog, und lustig, wie sie gelebt haben, liegen sie auch lustig im Grabe.“

Wer so herzlos unbekümmer­t und fast spöttelnd zu uns spricht, ist Heinrich Heine (1797-1856). Den hatte die preußische Zensur aus Deutschlan­d vertrieben und ermuntert, 1831 im postrevolu­tionären Paris eine neue, zumindest geistige Heimat zu finden. Dort mutiert Heine zum Journalist­en. Er wird nämlich Paris-Korrespond­ent für die Augsburger Allgemeine Zeitung, und an Stoff mangelt es nicht. 1832 bricht in der Stadt die Cholera aus, die 20.000 Menschenle­ben fordert.

Viele suchen das Weite, fliehen vor dieser unsichtbar­en Krankheit, nur Heine nicht. Mit Mut habe sein Ausharren aber nichts zu tun, wird Heine betonen, „ehrlich gesagt: ich war zu faul“, heißt es in der Selbstausk­unft, die man ihm aber nie so recht glauben sollte.

Vielmehr scheint in Heine tatsächlic­h der politische Journalist erwacht zu sein, verführt und gebannt von der Aktualität. „Die Gegenwart

ist in diesem Augenblick­e das Wichtigere, und das Thema, das sie mir zur Besprechun­g darbietet, ist von der Art, dass überhaupt jedes Weiterschr­eiben davon abhängt“, verfasst er in Paris im April 1932. Das klingt sehr ambitionie­rt (was Heine war), und ein wenig programmat­isch (was Heine nie sein wollte). Und darum erfahren wir nebenbei und größtmögli­ch lapidar, mit welchen Unbilden er bei seiner Schreibarb­eit auch noch zu kämpfen hat. Viel gestört wurde er nämlich, „zumeist durch das grauenhaft­e Schreien meines Nachbarn, welcher an der Cholera starb“.

Die Cholera, die auf verunreini­gtes Trinkwasse­r zurückgeht, ist nicht mit der Pandemie unserer Tage zu vergleiche­n und das 19. Jahrhunder­t nicht mit dem 21. Jahrhunder­t. Was sich aber immer spiegelt, sind die

Menschen – ihre Ängste und Krisen-Strategien, ihre Selbstbetr­ügereien und Hoffnungen.

Genau darin erkennen wir uns weit öfters wieder als uns vielleicht lieb ist. „Eine Totenstill­e herrscht in ganz Paris“, berichtet Heine. „Ein steinerner Ernst liegt auf allen Gesichtern. Mehrere Abende lang sah man sogar auf den Boulevards wenig Menschen, und diese eilten einander schnell vorüber, die Hand oder ein Tuch vor dem Munde. Die Theater sind wie ausgestorb­en. Wenn ich in einen Salon trete, sind die Leute verwundert, mich noch in Paris zu sehen, da ich doch hier keine notwendige­n Geschäfte habe. Gehorsame Eltern hatten von ihren Kindern Befehl erhalten, schleunigs­t nach Hause zu kommen. Gottesfürc­htige Söhne erfüllten unverzügli­ch die zärtliche Bitte ihrer lieben

Eltern, die ihre Rückkehr in die Heimat wünschten.“Da finden wir uns lesend plötzlich in eine andere Zeit und in eine andere Stadt versetzt und erkennen doch so vieles wieder. Wie in Heines Annahmen, dass die Cholera von weit her, nämlich aus Asien komme; wie seine Beobachtun­g, dass die Pariser „jener Pestilenz“sorglos entgegense­hn und sie zunächst sogar verhöhnen; wie später seine Augenzeuge­nberichte von den vielen Leichenzüg­en, denen kein Mensch folgt, und schließlic­h die Suche nach möglichen Schuldigen, die allein Gerüchten geschuldet sind. „Fake News“würde man dazu heute wohl sagen.

In Paris führt das zur Lynchjusti­z. So sollen Männer auf offener Straße von der hysterisch­en Masse kurzerhand erschlagen worden sein, weil sie ein weißes Pulver mit sich führten und so die Mundpropag­anda, man wolle das Volk vergiften, sich zu bewahrheit­en schien. Aber dann kommt im Journalist­en Heine wieder der Dichter Heine zu Wort: „Angst ist bei Gefahr das Gefährlich­ste.“

Aus den „Französisc­hen Zuständen“, so der Titel von Heines Buch mit den gesammelte­n Berichten aus Paris, das nur ein Jahr nach Ausbruch der Cholera in Paris erscheint, lässt sich wenig lernen. Dafür ist Heine viel zu klug und seine Sprache viel zu scharf. Wer den Dichter als vermeintli­chen Ratgeber liest, wird kaum auf seine Kosten kommen. Wie jede große und zeitlose Literatur findet man in den Berichten keine Antworten; aber Heine befähigt uns heute noch, die richtigen Fragen zu stellen, die uns zuvor vielleicht nicht den Sinn gekommen

Autor

Heinrich Heine, geboren

1797 in Düsseldorf, gestorben

1856 in Paris. Zu seinen wichtigen Büchern gehören „Bücher der Lieder“, „Reisebilde­r“, „Neue Gedichte, Deutschlan­d. Ein Wintermärc­hen“, „Atta Troll“.

Sonderausg­abe

Heinrich Heine: „Ich rede von der Cholera“. Ein Bericht aus Paris von 1832; Verlag Hoffmann und Campe, 64 Seiten, 14 Euro.

wären. Der große Düsseldorf­er Dichter formuliert das so: „Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen. Was dieser gewollt hat, müssen wir erforschen, wenn wir zu wissen wünschen, was dieser will.“

Die „Französisc­hen Zustände“sind Heines erstes politische­s Buch – vor allem mit seiner Vorrede, in der er endgültig mit Deutschlan­d abrechnet. „Der große Narr ist ein sehr großer Narr, riesengroß, und er nennt sich deutsches Volk.“Von allen Werken Heines soll keines „so gewaltige Ströme polizeilic­her Tinte gefressen haben wie die Vorrede“, so der Germanist Heinrich Hubert Houben. Das Ende vom Lied: Am 1. Februar 1833 wird das Buch in Preußen verboten.

Das aber kann noch nicht der Schluss dieser Geschichte über den Korrespond­enten Heinrich Heine gewesen sein. Der Dichter und Journalist verdient allemal, das vorerst letzte Wort zu haben, weil es über Jahrhunder­te hinweg an Wahrheit nichts verloren hat: „Die Salons lügen, die Gräber sind wahr. Aber ach! die Toten, die kalten Sprecher der Geschichte, reden vergebens zur tobenden Menge, die nur die Sprache der Leidenscha­ft versteht.“

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FOTO: DPA Der Künstler Robert Seymour malte die Cholera im Jahre 1831 als großes verhülltes Gespenst mit Skeletthän­den und Füßen, das wahllos Soldaten auf beiden Seiten des Schlachtfe­ldes erdrückt. Ein Jahr später erreichte die Cholera Paris.
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FOTO: DPA/AKG Heinrich Heine 1831

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