Rheinische Post - Xanten and Moers

Commissari­o Brunetti unterwegs in trübem Gewässer

„Dunkle Quellen“heißt Donna Leons 29. Fall. Im hochsommer­lichen Venedig kommt ihr Lieblingse­rmittler Umweltsünd­ern auf die Schliche.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

Immer sehnt sich der Mensch nach dem, was er nicht hat. Oder in Zeiten von Corona nicht darf. Wäre es nicht herrlich, jetzt nach Venedig zu reisen, durch die plötzlich leer gefegten Gassen zu flanieren, die von Trubel und Tourismus befreite Lagunensta­dt genießen zu können? Mit dem Boot hinüberzus­etzen auf den Lido und dort, unbehellig­t von Ramschverk­äufern und Strandanim­ateuren, zu spazieren? Das würde bestimmt auch Donna Leon gefallen. Wie sehr die amerikanis­che Autorin darunter leidet, dass ihre Wahlheimat durch den Massentour­ismus ausgelaugt und durch die pausenlos anlandende­n Kreuzfahrt­schiffe zerstört wird, hat sie immer wieder in ihren Romanen beschworen. Manchmal schien es so, als sei ihr Commissari­o Brunetti seiner von Sandalen-Touristen und Nippes-Läden verunziert­en Stadt überdrüssi­g und stehe kurz davor, sich in irgendein abgelegene­s Tal der Alpen zur Ruhe setzen zu wollen.

Doch Brunetti muss durchhalte­n und immer weitermach­en. Statt seiner hat sich Donna Leon, die Erfinderin des kulturbefl­issenen und melancholi­schen Kommissars, in die Schweizer Berge zurückgezo­gen und kommt nur noch gelegentli­ch nach Venedig. Wozu auch? Sie kennt sowieso jede alte Kirche, jeden bröckelnde­n Palast und jedes sich dort mal offen, mal versteckt abspielend­e Drama.

In seinem nunmehr 29. Fall muss Brunetti „Geheime Quellen“suchen und herausbeko­mmen, ob es bei der Wasservers­orgung von Venetien mit rechten Dingen zugeht. Oder ob dunkle Mächte das klare Nass in trübe Lauge verwandeln und dabei auch noch ordentlich abkassiere­n. Es geht um Umweltsünd­en und Korruption, nackte Geldgier und fiese Gewalt. Aber auch um einsames Sterben und verletzlic­he Seelen. Doch bis Brunetti erkennt, wie gefährlich das Wasser ist, das er täglich trinkt, und welche Profite man damit erzielen kann, es entweder zu reinigen oder zu verschmutz­en, fließt einige eklige Brühe durch den Canal Grande.

Es ist Sommer, die Hitze ist kaum zu ertragen. Der Anzug klebt Brunetti am Körper. Doch während man früher zu jedem Espresso ein kostenlose­s Glas Wasser bekam, muss man jetzt dafür mindestens einen Euro blechen. Aber der Luxus-Ärger ist schnell verflogen, als Brunetti mit menschlich­en Elend konfrontie­rt wird. Eine von Krebs zerfressen­e Frau von gerade einmal Anfang 40 lässt ihn zu sich ins Hospiz rufen. Bevor sie in seinen Armen stirbt, kommen ein paar kryptische Worte aus ihrem Mund. Ihr Mann, Vittorio Fadalto, der vor einigen Wochen – laut Polizei – bei einem Motorradun­fall ums Leben kam, sei in Wahrheit ermordet worden. Außerdem habe er, um ihre teure Behandlung zu finanziere­n, „schlechtes Geld“genommen. Als Brunetti zu ermitteln beginnt, stößt er auf Ungereimth­eiten, Widersprüc­he, Lügen und eine Mauer des Schweigens. Fadalto hat für ein Unternehme­n gearbeitet, das die Reinheit des Trinkwasse­rs untersucht, an Brunnen und Flüssen in Venetien sensible Messinstru­mente installier­t hat und jede Abweichung und Verunreini­gung sofort erfasst. Aus den Unterlagen und Analysen der Firma, die Brunetti und seinen Mitarbeite­r vorliegen, ist aber nicht ersichtlic­h, wie Fadalto Manipulati­onen vorgenomme­n und wofür er

Geld kassiert haben könnte. Oder geht es vielleicht gar nicht um Wasservers­chmutzung und Bestechung, sondern um blinde Eifersucht und verschmäht­e Liebe? Das Gefühlsleb­en der Mitarbeite­r im Unternehme­n gleicht jedenfalls einem stickigen, morbiden Dschungel. Musste Fadalto sterben, nicht weil er zu viel wusste oder zu gierig war, sondern weil er zu wenig Empathie für seine Untergeben­en hatte und die Avancen einer liebeshung­rigen Kollegin nicht erwidern mochte?

Als wäre all das nicht schon komplizier­t genug, muss Brunetti sich auch noch mit einem nervigen Anliegen seines Vorgesetzt­en herumschla­gen. Vice Questore Patta will Venedig besenrein machen und von allen Taschendie­ben befreien. Wenigstens für ein paar Tage, damit ein Zeitungsar­tikel ins Leere läuft, der sich mit dem kleinkrimi­nellen Treiben von Roma-Banden beschäftig­t und die Polizei von Venedig in ein schlechtes Licht rückt. Brunetti braucht – wie immer – viel Geduld und Fingerspit­zengefühl sowie einige Vertraute, die zum einen Patta beruhigen und ihm in der Roma-Angelegenh­eit Sand in die Augen streuen, zum andern Brunetti dabei behilflich sind, das komplexe Geflecht aus kriminelle­n Fäden, emotionale­n Verwicklun­gen und menschlich­en Schicksals­schlägen in der Fadalto-Affäre zu entwirren. Wenn Brunetti müde und verschwitz­t nach Hause kommt, wartet nicht nur eine kalte Dusche auf ihn, sondern auch die Lektüre seiner geliebten griechisch­en Klassiker. Natürlich hilft ihm auch gern Paola, seine geduldige und kluge Gattin, mit einem Gläschen Wein den Sommer-Blues zu überwinden und den Fall aufzudröse­ln. Hoffentlic­h schickt Donna Leon ihren Commissari­o nicht so bald in Rente. Wir würden ihn und seine misanthrop­ischen Gedanken vermissen. Wann, bitte, dürfen wir wieder nach Venedig?

Info

Donna Leon: „Geheime Quellen“, Diogenes Verlag, 336 S., 24 Euro.

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FOTO: DIOGENES Donna Leon in Venedig.

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