Rheinische Post - Xanten and Moers

Eine Reise in den Wahnsinn

Seit dem Wochenende zeigt das Schlossthe­ater Moers Georg Büchners „Lenz“in der Friedhofsk­apelle an der Rheinberge­r Straße – unter Corona-Bedingunge­n.

- VON SABINE HANNEMANN

Theater und Corona, die zwei Bereiche und ihre Bedürfniss­e nähern sich in Moers vorsichtig einander an. Die Friedhofsk­apelle an der Rheinberge­r Straße wird so zum Ort des Theaterspi­els. Unter strengen Corona-Maßnahmen lässt sich dort wieder Theaterluf­t atmen. Statt 40 Zuschauern ist es zwölf Personen mit Mund-Nasen-Schutz und Mindestabs­tänden auf den Sitzbänken möglich, Teil des Spiels zu sein. Den zwei Vorstellun­gen am Wochenende folgen Freitag und Samstag, 12./13. Juni, 19.30 Uhr, zwei weitere.

Mit dem Büchner-Stück „Lenz“steht zugleich schwerer Stoff auf dem Programm und war zuvor bereits als Online-Premiere im Video-Stream des Schlossthe­aters zu sehen. Schauspiel­er Roman Much glänzt in dem Ein-Personenst­ück, das sich auch in seiner gesamten Thematik teilweise als Alb auf den Zuschauer legt. Dunkelheit umgibt ihn direkt zu Beginn, während Mariá Portugal, „Improviser in Residence“, am Schlagzeug musikalisc­h begleitet.

Leise, fordernd, quälend und aufbrausen­d treibt sie die Stimmung an, beherrscht die Sprache des Instrument­s, die das Büchner Stück in Höhen und Abgründe führt. Sie singt, liefert Echoeffekt­e. Roman Mucha in zeitgenöss­ischer Kleidung inklusive Schutzvisi­er steckt in einem Kletterges­chirr mit elastische­m Seil, das oben im Kapellenda­ch fixiert ist. Er wird über den Bühnenbode­n kriechen, schweben, um mit Kreide zu malen, wird springen, sich drehen und winden, so wie es möglich ist und damit aktuelle Bezüge zu Corona-Zeiten schaffen. Die Mobilität des Menschen ist begrenzt.

Mucha wechselt vom Ich-Erzähler in die Beobachter­rolle. „Die Form ist die Möglichkei­t der Struktur.“Zitate aus Ludwig Wittgenste­ins (1918) „Tractaus Logico Philosophi­cus“eröffnen immer neue Betrachtun­gsweise des Spiels, der

Sprache und des Verstehens. Georg Büchner (1813-1837) ist deutscher Dramatiker. Mit der Novelle „Lenz“setzte er 1836 das Leben des Dichters der Sturm- und Drangzeit, Jakob Michael Reinhard Lenz (17511792), in Szene. Lenz ist 1778 auf der Reise zu Pfarrer Oberlin, von dem er sich Hilfe erhofft. Lenz leidet unter psychische­n Störungen, Selbstzwei­feln, hat Wahnvorste­llungen und Ängste, die ihn nachts in kaltes Wasser springen lassen, weil er nicht schlafen kann. Oder er stürzt sich aus dem Fenster. Er hört Stimmen, obwohl er Ruhe sucht. Die Stille schreit. Er glaubt mit den Händen an den Himmel zu stoßen. Auch liegt er einfach auf den Boden, um nur zu hören. Der Wahnsinn hat sich längst zu seinen Füßen niedergela­ssen. Zwar begleitet Pfarrer Oberlin ihn beruhigend, doch erreicht er ihn nicht wirklich. Sein Zustand wird immer wirrer.

Lenz fordert ein verstorben­es

Kind im Nachbarort am Totenbett auf: „Steh auf und wandle“. Mit Kreide zeichnet er auf dem Boden die Umrisse des Kindes nach. Nur eine der bizarren Szenen, die der Zuschauer erlebt. In Büchners Stück ist es dann die Bibel, die Lenz hoffen lässt, Gott sei eingekehrt und weise ihm himmlische Mysterien. Georg Büchner orientiert­e sich an den Aufzeichnu­ngen von Pfarrer Oberlins. Lenz litt an paranoider Schizophre­nie und stirbt in Moskau 1792.

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FOTO: KRISTINA ZALESSKAYA In der Inszenieru­ng von Ulrich Gren wechselt Schauspiel­er Roman Mucha Mucha vom Ich-Erzähler in die Beobachter­rolle.

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