Rheinische Post - Xanten and Moers

Corona verschärft Bildungsde­fizite

Vor allem Schüler aus armen Familien sind während der Schulschli­eßungen benachteil­igt.

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(ma) Durch die Schließung der Schulen und monatelang­es Lernen auf Distanz sind Schüler aus wirtschaft­lich schwachen Familien nicht nur beim Zugang zu Bildung erheblich benachteil­igt. „Wir haben erstmals Kinder gesehen, die nichts mehr zu essen hatten, weil günstige Lebensmitt­el wegen der Hamsterkäu­fe nicht mehr verfügbar waren“, sagt Karl Hußmann, Schulleite­r der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesamtschu­le, für seine und andere Duisburger Gesamt- und Sekundarsc­hulen. Sie befürchten durch den Lockdown Nachteile für die Abiturient­en im kommenden Schuljahr. „Es sollte 2021 deshalb kein Zentralabi­tur geben“, sagt Peter Schull, langjährig­er Leiter der Oberstufe.

Schon bei der Verfügbark­eit von digitalen Endgeräten klafft die Schere weit auseinande­r. „In den Familien von 40 Prozent unserer Schüler

gibt es ein Tablet, einen Laptop oder Desktop-Rechner. Nur 20 Prozent können es allein nutzen“, sagt Hußmann zum Ergebnis einer Umfrage unter Schülern – das ist auch das Bild in anderen Schulen nicht nur im Stadtnorde­n. Die Familien fast eines Drittels der Schüler der Sekundarsc­hule Rheinhause­n beziehen Hilfen zum Lebensunte­rhalt. „Die meisten Schüler erreichen wir über Handys, die mit Guthaben bestückt sind. Das ist sehr schnell aufgebrauc­ht, wenn es für digitales Lernen benutzt wird“, sagt Schulleite­rin Martina Seifert.

„Die Endgeräte sind nur Teil einer Kette von Defiziten“, ist die Erfahrung von Karl Hußmann – hinzu kommen fehlende Internetve­rbindungen in den Elternhäus­ern, mangelnde Erfahrung bei der Bedienung der Geräte, und mitunter auch Unfähigkei­t der Eltern, ihre Kinder zu unterstütz­en. An vielen Schulen fehle bei Schülern und Lehrern im Umgang mit der Schulplatt­form iServ die Routine – Fortbildun­gen mussten während der Schließung improvisie­rt werden.

Der Schulleite­r hofft deshalb, dass ein Teil des Einmalzusc­husses zum Kindergeld in Höhe von 300 Euro in die digitale Aufrüstung der Haushalte investiert wird. Hoffnung machen auch Urteile der Sozialgeri­chte, wonach Jobcenter die Anschaffun­gen von Tablets für Schüler aus armen Familien als notwendige Ausstattun­g zusätzlich zur Schulpausc­hale unterstütz­en müssen. Die Schulsozia­larbeiter der Leibniz-Gesamtschu­le haben die Eltern der neuen Fünftkläss­ler bei den Beratungst­agen deshalb bereits mit den entspreche­nden Anträgen versehen. „An vielen Schulen wird es verlangt, dass die Kinder über ein Tablet verfügen, aber wir haben uns bisher nicht getraut, das zu verlangen“, sagt Schull.

Die Grenzen des digitalen Lernens und den erhebliche­n Rückstand bei Schülern, Lehrern und Schulen – auch sie sind überdeutli­ch geworden. Für viele Kinder sei der geregelte Tagesablau­f abhanden gekommen. „Wenn sie nachts um drei ihre Hausaufgab­en machen, dann stimmt etwas nicht“, sagt Peter Schull, „sie werden ein Vierteljah­r brauchen, bis sie wieder lernen wie vorher.“Der Klassenrau­m mit Lehrer sei „als emotionale Bezugsgröß­e auch für die Oberstufen­schüler wichtig“, betont der erfahrene Pädagoge. Während der aktuelle Abiturjahr­gang mit dem Stoff bei Schließung der Schulen durch war, hätte der 12. Jahrgang erhebliche Nachteile zu befürchten, glaubt Schull: „Deshalb sollte es im nächsten Jahr kein Zentralabi­tur geben.“

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