Rheinische Post - Xanten and Moers
Gemeinsame Geschichten mit „König Otto“
Wilhelm „Willi“Ricking hat im Januar seinen 85. Geburtstag gefeiert. Das Ehrenmitglied des TuS 08 Rheinberg blickt gerne auf seine lange Laufbahn als Fußballer zurück. Mit Otto Rehhagel hat er in der Niederrheinauswahl gespielt.
RHEINBERG Wenn Willi Ricking heute auf die „überbezahlten Profis“und deren Millionengehälter im Weltfußball schaut, wird ihm ganz anders. Als der 85-Jährige noch selbst vor den Ball trat, waren solche Dimensionen kaum vorstellbar. „Früher durfte man nicht mehr als 320 D-Mark im Monat verdienen. Auch Fritz Walter nicht“, sagt der Ruheständler.
Der Unterschied: Damals hatten alle guten Spieler ein zweites Standbein – eine Apotheke, eine Tankstelle, ein Kino oder ein Lottogeschäft. Ricking arbeitete bis zur Rente als Handwerker. Der Fußball begleitet ihn sein ganzes Leben.
Der Rheinberger erinnert sich ganz genau an die Anfänge in einer Straßen-Mannschaft. Bolzplätze gab es in der Nachkriegszeit keine, den Ball bastelten die Kinder aus kaputten Fahrradschläuchen und Papier einfach selbst. Vom Elternhaus am Annaberg ging es zum Kicken auch zum Stadtpark oder in den Wald.
„Nach der Kirche haben wir die Sonntagsschuhe zum Fußballspielen oft angelassen. Dann gab’s was hinter die Ohren“, sagt
Willi Ricking, der ohne seinen 1941 im Zweiten Weltkrieg gefallenen Vater aufgewachsen ist. Die Mutter zog ihre drei Söhne alleine groß. Die beiden jüngeren Geschwister sind inzwischen verstorben.
Vom Hörensagen weiß Willi Ricking, dass schon sein Vater ein talentierter Fußballer war. Mit seinem Bruder Hermann spielte er gemeinsam in der Landesliga. Als Elfjähriger folgte nach Kriegsende der Eintritt in den TuS 08 Rheinberg, dem er als Ehrenmitglied seit nun mehr fast 75 Jahren die Treue hält. Neben einer Herren-Mannschaft und einem Trainer für alle gab es zunächst nur eine Jugend ohne jegliche Altersstrukturen.
Da das Emil-Underberg-Stadion erst deutlich später gebaut wurde, ließ der Zustand der Plätze noch zu wünschen übrig. Vor allem für die Torhüter sei es auf der schwarzen Asche sehr unangenehm gewesen, sagt der 85-Jährige. Die Zustände des Untergrundes sollten sich aber schnell verbessern.
Denn Willi Ricking machte mit starken Leistungen auf sich aufmerksam und schaffte es dadurch früh in die Kreisund
Niederrheinauswahl. Im besten Fußballeralter wechselte er 1957 zum TuS Lintfort in die Zweite Liga. Die Rheinberger erhielten eine „Ablöse“von gut 2.000 Mark. In einem Länderpokalspiel im Südwesten fiel Willi Ricking erneut auf. Die Angebote flatterten nur so herein. Acht Vereine wollten den klassischen Rechtsaußen damals haben, darunter auch der zu dieser Zeit sehr erfolgreiche 1. FC Kaiserslautern.
„Eines Montags kam ich von der Arbeit und meine Mutter saß mit zwei jungen Männern aus Kaiserslautern am Tisch. Aber ich durfte nicht hin. Es war ihr zu weit“, sagt der 85-Jährige, der damit beinahe zum Mitspieler der Weltmeisterhelden von 1954 geworden wäre. Das Wunder von Bern beschreibt er als „größtes Ereignis bis heute. In ganz Rheinberg gab es einen Fernseher in der Wirtschaft Prophet. Das vergisst man nicht.“
Statt bei den „Roten Teufeln“plante Willi Ricking eine Vertragsunterschrift beim MSV Duisburg. Ein schwerwiegender Schienund Wadenbeinbruch, verursacht durch einen fürchterlichen Eisenstollen-Tritt, verhinderte dieses Vorhaben.
Trotz monatelanger Pause ließ er sich davon nicht umwerfen und absolvierte Anfang der 1960er-Jahre die B-Lizenz zum Fußball-Lehrer. Um höhere Mannschaften trainieren zu können, hätte er für die A-Lizenz nach Köln gemusst. „Das konnte ich aber nicht bezahlen“, sagt Willi Ricking der in Rheinberg, Lintfort und Millingen an der Seitenlinie
„Früher durfte man nicht mehr als 320 D-Mark im Monat verdienen – auch Fritz Walter nicht“
stand. Zu seinen ehemaligen Weggefährten aus der Niederrheinauswahl zählten unter anderem Dieter Danzberg oder Peter „Pitter“Meyer, der für Düsseldorf und Mönchengladbach spielte.
Otto Rehhagel gehörte ebenfalls dazu. „Er spielte hinten und hat dann wie ich nebenbei den Trainerschein gemacht“, sagt der Rheinberger. Der wohl größte Triumph von „König Otto“ist der sensationelle Europameistertitel mit Griechenland im Jahr 2004.
Wenig später nahm auch die lange Karriere von Willi Ricking ein Ende. Bis zu seinem 70. Lebensjahr spielte der Rheinberger aktiv Fußball, danach bekam er ein neues Knie. Zuvor war er an Prostataund Nierenkrebs erkrankt, den er erfolgreich besiegte. Heute ist er gesund und kann sich nicht beschweren. „Die Knochen tun natürlich weh, aber ich fühle mich wohl und halte mich mit Radfahren fit. In Rheinberg kennen mich viele als den Willi mit dem Fahrrad.“Ebenso gerne verbringt er viel Zeit mit seinen beiden Töchtern.
Zum Rheinberger Sportplatz führt es ihn nur noch selten. Lange war er Vorsitzender der Alten Herren des TuS 08, die seit Jahrzehnten nicht mehr existieren. Den Schritt zur Fusion mit dem SV Concordia Ossenberg sieht er als richtig an. Der 85-Jährige denkt mit Blick auf die Zukunft sogar weitaus größer. „Alle Rheinberger Vereine stehen fast ganz unten und sollten irgendwann zusammen eine vernünftige erste Mannschaft bilden.“
Vom Profifußball hat er sich nie ganz abgewendet. Obwohl sein Lieblingsklub, der 1. FC Kaiserslautern, vor dem Absturz in den Amateurfußball steht, schaltet Willi Ricking jeden Samstagabend mit Vergnügen die Sportschau ein.
Willi Ricking