Rheinische Post - Xanten and Moers
Ein Hof voller Raritäten
Die Xantenerin Astrid Gerdes hat sich der Züchtung alter, gefährdeter Nutztierrassen verschrieben. Bio ist der Gamerschlagshof aber nicht. Die Leiterin setzt auf Nachhaltigkeit in der konventionellen Landwirtschaft.
XANTEN Fragt man Astrid Gerdes danach, wie nachhaltig ihr Alltag ist, zuckt sie kurz mit den Achseln und muss überlegen. Das verwundert ein wenig. Schließlich steht die Landwirtin dabei inmitten eines gewaltigen Freigeheges, in dem sich gerade ein gutes Dutzend Hühner freudig um sie schart. Hat Gerdes Lust auf ein Frühstücks-Ei, kommt sie hierher, statt mit dem Auto in den Supermarkt zu fahren. „Ja, das könnte man als nachhaltig bezeichnen“, sagt sie bescheiden und lacht. Tatsächlich fließt das Thema Nachhaltigkeit in alle Lebensbereiche der Hofleiterin ein. Das fängt beim Frühstück an, zieht sich bei ihrem Arbeitsweg fort – da Gerdes auf dem Gamerschlagshof lebt und arbeitet, spart sie sich den Kraftstoff für die Fahrt – und endet in ihrer Passion, Dinge zu reparieren und aufzuarbeiten statt wegzuwerfen und neu zu kaufen. Den größten Dienst an der Natur leistet die Xantenerin jedoch mit ihrem Hof voller Raritäten.
Gerdes hat sich auf dem mehr als
700 Jahre alten ehemaligen Gutshof zwischen Xanten und Sonsbeck der Zucht von alten Nutztierrassen verschrieben, die heute vom Aussterben bedroht sind. 2013 wurde ihr Hof als erster Archehof des Kreises Wesel zertifiziert. „Vielen Leuten ist bewusst, dass einige Wildtiere gefährdet sind. Aber nur wenige wissen, dass dies auch bei Nutztieren der Fall ist“, erklärt die Hofleiterin. Ein Grund dafür ist die intensive Landwirtschaft, die sich auch in der Tierhaltung niederschlägt. Nur noch wenige Hochleistungsrassen sollen den steigenden Lebensmittelbedarf sichern: Legehennen, die
300 Eier pro Jahr produzieren, Mastschweine, die nach bereits sechs bis acht Monaten ihr Schlachtgewicht erreichen, Hochleistungskühe, die rund 10.000 Liter Milch im Jahr geben. Alte Rassen können da nicht mithalten und verschwinden allmählich aus der Agrarwirtschaft.
Gerdes geht da einen anderen Weg, selbst wenn sie von den New- Hampshire-Hühnern oder den stark gefährdeten Deutschen Sperbern eben nicht jeden Tag ein Frühstücks-Ei erwarten kann. Dafür seien die Rassen relativ zahm, kerngesund und pflegeleicht, entgegnet sie. Merkmale, die Gerdes bei all ihren Zuchtrassen wichtig sind, angefangen bei ihren Bunten Bentheimer Schweinen und Bronzeputen über die Walliser Schwarzhalsziegen und Soay-Schafen bis hin zu ihrem ganzen Stolz, den Schottischen Hochlandrindern. Letztere gehören zur ältesten Rinderrasse, die domestiziert wurde. „Die sind so robust, dass sie auf der Weide noch nicht einmal einen Unterstand brauchen“, erzählt Gerdes. „Seitdem ich mit deren Zucht 2016 begonnen habe, musste ich nicht einmal die Klauen schneiden.“Robust müssen die Tiere der Hofleiterin auch sein. Denn alle werden im Freien gehalten. „Wenn ich höre, was Kollegen für die Schweinehaltung im Stall an Strom für Belüftung und Beleuchtung verbrauchen, bin ich immer verwundert“, sagt die Quereinsteigerin, die lange mehrere Restaurants geführt hat. „Der Stromverbrauch für unsere Schweinehaltung liegt bei Null“, ergänzt sie.
Ein Bio- oder Öko-Hof ist der Gamerschlagshof dennoch nicht.
Zwar hat Gerdes über die Zertifizierung nachgedacht. Doch dann dürfte sie statt der Futterrüben aus Kehrum, dem alten Brot umliegender Bäckereien und dem eigenen Stroh auch nur noch Bio-Produkte verfüttern. „Gut, unser Stroh ist 100 Prozent bio, aber die nächste Bio-Bäckerei liegt in Bochum“, sagt Gerdes und ergänzt: „Ich bezweifle, dass dies meinen ökologischen Fußabdruck wirklich verkleinern würde.“
Den Menschen, die ihr Fleisch im Hofladen des Gamerschlagshofs kauften, sei ein Siegel ohnehin weniger wichtig, als dass „sie sich vor Ort selbst davon überzeugen können, wie gut die Tiere hier gehalten werden“, sagt Gerdes. Denn ja, die Tiere auf dem Archehof werden geschlachtet. „Bei den Hofführungen staunen darüber manche Leute“, erzählt Gerdes. „Aber wir sind ja kein Streichelzoo, sondern ein landwirtschaftlicher Betrieb.“Ganz ohne einen Ertrag damit erzielen zu können, würden die alten Nutztierrassen tatsächlich irgendwann verschwinden, ergänzt sie.
Wichtig sind Gerdes dabei aber zwei Dinge: eine möglichst schonende Schlachtung und die Verwertung des ganzen Tieres. „Ich finde es nicht schlimm, Fleisch zu essen, aber ich habe ein großes Problem damit, wenn Lebensmittel verschwendet und weggeworfen werden, weil Menschen nur noch an den sogenannten Edelteilen wie
Schweineschnitzeln, Rindersteaks oder Hühnerbrüsten interessiert sind“, erklärt sie. „Dafür muss wirklich kein Tier sterben.“Sie wirbt für das Küchen-Konzept „From Nose to Tail“, das aus Respekt vor dem Tier alle Teile integriert. Entsprechend werden auf dem Gamerschlagshof auch Fleischpakete gepackt. „Eine Wundertüte“, wie Gerdes sagt, die aufgeschlossene Menschen aber zu vielen neuen Gerichten animiere. Die Beratung zur Zubereitung gibt es oben drauf. Partner hat Gerdes mit den Edeka-Markt-Betreibern Benny und Pascal Lurvink gefunden sowie mit dem Grillmeister Christian Holz, der auf dem Archehof Grillseminare fernab der üblichen Bratwürstchen anbietet.