Rheinische Post - Xanten and Moers
Auto-Aktien sind derzeit sehr begehrt
Am Mittwoch verloren die Papiere zwar leicht an Wert, doch das ändert nichts am Trend: Die Autobauer haben gelernt. Anleger nehmen derzeit Gewinne mit
DÜSSELDORF Wie schnell sich die Vorzeichen an der Börse doch ändern: Lange Zeit war SAP das wertvollste deutsche Unternehmen. Mittlerweile wurde es von Volkswagen überholt. Mehr als 131 Milliarden Euro ist der Konzern nun wert. Die Vorzugaktien haben seit Jahresbeginn 58 Prozent an Wert gewonnen, seit Ende März 2020 sogar um 126 Prozent. Auch der Aktienwert von Daimler und BMW ist in ähnlicher Größenordnung gestiegen. Am Mittwoch erlitten sie zwar Verluste, aber das ändert nichts am großen Trend. Woher kommt dieser Boom?
„Durch den starken Druck im Frühjahr 2020, als die Bänder stillstanden, haben die deutschen Autobauer gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann“, sagt Peter Lugauer, Aktieninvestmentstratege bei der Commerzbank. Sie hätten an der Kostenschraube gedreht und Projekte eingestellt, die nichts mit dem Kerngeschäft zu tun gehabt hätten. Bestes Beispiel: der E-Scooter Hive, ein gemeinschaftliches Prestigeprojekt von Daimler und BMW, das die Autobauer mangels Erfolgsaussichten beerdigt haben. Dazu komme, dass sie ihre Anstrengungen in Sachen E-Mobilität deutlich verstärkt hätten, so Lugauer. „Die Branche kommuniziert viel stärker in diese Richtung als früher“, so der Commerzbank-Experte. Zugleich seien noch viele Fragen in Sachen Ladesäulen-Infrastruktur, Akkus und Reycling nicht gelöst. In diesem Jahrzehnt jedenfalls können die traditionellen Autobauer mit Verbrennungsmotoren noch reichlich Cashflow generieren.
Ein ganz wichtiges Argument für den Kursanstieg der Autowerte in der jüngeren Vergangenheit: „Die deutschen Autobauer sind im Vergleich zu internationalen Wettbewerbern immer noch sehr günstig bewertet“, erklärt Lugauer. So liege das Kurs-Gewinn-Verhältnis des US-amerikanischen Elektroauto-Pioniers Tesla aktuell bei etwa 150, das von Daimler unter zehn. Entsprechend bestehe bei allen noch
Die jüngsten Verluste erklären sich oft durch Mitnahmeeffekte.
VW Nach einem Minus von vier Prozent liegt die Marktkapitalisierung bei rund 132 Milliarden Euro.
Daimler Nach minimalen Verlusten ist der Konzern mit 79 Milliarden Euro bewertet.
BMW Die Aktie gab ein Prozent nach. Wert: 55 Milliarden Euro.
Wachstumspotenzial. An den Finanzmärkten werden den drei im Dax vertretenen Autoherstellern tatsächlich noch deutliche Kurssteigerungen zugetraut: Bei Volkswagen, das mit seinen Vorzugsaktien im Dax notiert ist, die aktuell bei etwa 270 Euro liegen, glauben manche Experten an einen Kursanstieg bis zu 300 Euro. Auch Daimler genießt viel Vertrauen bei den Anlegern. Die Aktie kostet rund 76 Euro, könnte aber noch auf deutlich mehr als 80 Euro steigen, schätzen Branchenkenner. Wenn der Autobauer seine Lkw-Sparte und die Busse erst einmal als Spin-off an die Börse gebracht habe, könne die Konzernaktie weiter profitieren, heißt es.
Gute Aussichten also. Das liegt auch daran, dass die Konzerne große Teile ihres Geschäfts in Asien und Amerika machen. „Der Umsatzanteil der deutschen Autobauer, der auf China entfällt, liegt bei etwa 30 bis 40 Prozent, der in den USA bei zehn bis 15 Prozent“, so Lugauer. Und da die chinesische Wirtschaft längst wieder Wachstumsraten bis zu sechs Prozent anpeilt, sind die Fahrzeughersteller vom alten Kontinent zumindest in Teilen unabhängig von der heimischen Konjunktur.
Karsten Tripp, Leiter der Vermögensabteilung von HSBC Deutschland, nennt noch zwei weitere Gründe für die Hausse: „In den westlichen Ländern staut sich eine enorme Nachfrage auf, kombiniert mit einer beispiellosen Kaufkraft.“In Europa und den USA seien seit Beginn der Pandemie deutlich über zehn Prozent eines Jahreskonsums gespart worden. Das Geld stehe für große Anschaffungen zur Verfügung. Die neue Begeisterung für E-Mobilität und elektrische Premiummodelle vergleicht Tripp mit einem anderen Produkt: „Das ist eine ähnliche Motivation wie beim neuesten iPhone: Man braucht es nicht unbedingt, aber es ist viel cooler als das alte.“Und dabei habe die Börse festgestellt, dass es nicht sinnvoll sei, Tesla „20- und 30-fach höher zu bewerten als traditionelle Marken mit steil wachsender Elektrokompetenz“.