Rheinische Post - Xanten and Moers
Dein Wille geschehe
Laufstil, Essverhalten, Partnerwahl: Vieles erscheint plan- und optimierbar. Das suggeriert, jeder habe sein Leben selbst in der Hand und müsse sich nur anstrengen, damit es gelingt. Die Passionsgeschichte verrät eine andere Haltung.
Das eigene Leben sinnvoll gestalten – in der modernen Welt mit all ihren Freiheiten ist das zu einer enormen Herausforderung geworden. Ausbildung, Berufswahl, Partnerschaft – Menschen sind heute gefordert, alle Stationen ihrer Biografie wohl zu planen, ihre Chancen zu ergreifen. Dabei helfen Coaches und Ratgeber, denn die Vorstellung, jeder sei verantwortlich für den optimalen Gang seines Lebens – und den Werdegang seiner Kinder – erzeugt jede Menge Druck.
Die Bibel erzählt mit den Ereignissen, an die sich Christen in der Karwoche erinnern, von einer ganz anderen Haltung. Am Abend, bevor seine Leidensgeschichte beginnt, betet Jesus im Garten von Getsemani, und seine Angst ist so groß, dass sein Schweiß wie Blut zu Boden tropft, berichtet bildhaft der Evangelist Lukas. Aus dieser Angst spricht Jesus die berühmten Worte: „Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“Die Passion Christi, die da ihren Anfang nimmt, ist nicht nur eine Geschichte der Angst und des Leids, sondern auch der Einwilligung ins eigene Schicksal. „Dein Wille geschehe“ist ein ganz und gar unmoderner Satz, denn er lässt die Illusion von der Planbarkeit des Lebens platzen und stellt an die Stelle ein Sich-abfinden mit dem, was einem zugemutet wird.
Wie schmerzlich das Unvorhergesehene in Lebenswege eingreifen kann, erlebt Dietrich Spandick regelmäßig. Als evangelischer Pfarrer arbeitet er als Klinikseelsorger an der Uniklinik Düsseldorf. Er wird zu Patienten gerufen, deren Leben zum Beispiel durch einen Schlaganfall aus allen Bahnen gerissen wird: „Diese Menschen stehen vor der Aufgabe, erst einmal zu begreifen, was ihnen geschehen ist, und langsam darüber nachzudenken, wie ein neuer Alltag aussehen könnte.“Heute lebten viele mit der Vorstellung, man müsse sich nur Ziele setzen, dann werde man die auch erreichen, wenn man sich genug anstrenge. „Es gibt aber in jedem Leben Ereignisse, über die wir nicht verfügen. Glaube kann helfen, zu akzeptieren, dass nicht alle Pläne aufgehen.“Das müsse nicht bedeuten, dass Menschen ihr Schicksal tief religiös deuteten. Allein die Vorstellung, dass Dinge geschehen, die wir nicht in der Hand haben, könne helfen, das eigene Schicksal anzunehmen.
OF WALES / DPA
Das gelte ja auch für positive Ereignisse. „Auch einen Partner oder eine Partnerin fürs Leben zu finden, ist ja etwas Unvorhergesehenes, das wir nicht erzwingen können“, sagt Spandick.
„Dein Wille geschehe“ist für Stephanie Franz, Pfarrerin in der evangelischen Kirchengemeinde Mettmann, die Aufforderung, an einer Welt mitzuarbeiten, in der Gottes Wille sichtbar wird. „Liebe deinen nächsten wie dich selbst: Dieses Gebot der Nächstenliebe ist Gottes Wille“, sagt die Pastorin. Jeder Einzelne könne daran mitwirken, dass sie Wirklichkeit werde. Das zwinge nicht zur Unterordnung, sondern mache aktiv. „Auch Jesus im Garten von Getsemani bleibt aktiv, indem er die Liebe Gottes bis zum
Ende durchlebt und zum Vorbild für uns wird“, sagt Franz.
Auch für die Lebensplanung gewinnt der Wille Gottes dann eine andere Bedeutung, denn an einer guten, gerechten Welt mitzubauen, ist ein Ziel, das dem Einzelnen auf dem Weg alle Freiheiten lässt. Es geht nicht darum, einen festen Plan
Gottes fürs eigene Leben zu erahnen und ohne Rücksicht auf eigene Vorlieben umzusetzen, sondern die eigenen Interessen, Fähigkeiten, Leidenschaften zu entfalten – mit Blick auf das Ziel, die Welt für alle ein wenig gerechter zu machen, an der Bewahrung der Schöpfung mitzuarbeiten oder sich für mehr Frieden
in der Welt (oder der Nachbarschaft) einzusetzen. „Wir sind da gar nicht eingeschränkt“, sagt Franz, „es muss nicht jeder Sozialarbeiter oder Konfliktmediator werden, auch als Lokomotivführer, Friseur oder Bankdirektor können Menschen sich kreativ für eine gerechtere Welt einsetzen und da, wo sie stehen, die Liebe Gottes weitergeben.“
Wenn allerdings schlimme Dinge geschehen, Menschen so schwer erkranken, dass sie ihr Engagement, all ihre Lebenspläne nicht mehr verwirklichen können, kann Glaube Trost spenden. Dann sind auch Seelsorger vor allem darin gefordert zuzuhören, da zu sein oder, wie Franz es formuliert, „sich nicht wegzustehlen, weil man vielleicht nicht weiß, was man sagen soll“. Sebastian Appelfeller, Pfarrer in der Kirchengemeinde Neuss-Süd, hat die Erfahrung gemacht, dass Menschen oft mehr unter dem Schicksal derer leiden, die ihnen nahestehen, als unter dem eigenen: „Unsere Aufgabe ist es dann, dem, was die Menschen empfinden, Raum zu geben: gemeinsam entsetzt, traurig, aber auch trotzig zu sein – also miteinander zu überlegen, wie das Leben trotz aller Einschränkungen noch gestaltet werden kann.“
Der Optimierungswahn der Postmoderne kann solchen Überlegungen im Wege stehen, weil er die Einstellung zu allen Lebensbereichen erfassen kann. Alles erscheint heute optimierbar, vom Laufstil über das Essverhalten bis zur Partnerwahl. Mit dieser Haltung fällt es schwerer, zu akzeptieren, dass einem Dinge widerfahren können, die sich nicht wegoptimieren lassen.
„Ich las neulich, 80 Prozent der Deutschen schliefen falsch. Wir trinken falsch, erziehen falsch – das suggeriert, es gäbe ein Richtig“, sagt Appelfeller, „das Defizit ist aber nicht defizitär, sondern es gehört zum Leben dazu. Lücken zwischen Realität und meinem Lebensentwurf sind Teil meines Lebens.“Sich nicht immer an irgendeinem hohen Ideal zu messen, sondern Schwächen und Widrigkeiten als Teil der eigenen Wirklichkeit zu akzeptieren, nimmt etwas vom Druck, mit dem viele Menschen leben. „So viele Geschichten biblischer Helden sind Geschichten von deren Zweifeln und Scheitern“, sagt Appelfeller. Die Bibel verlange viel weniger von den Menschen, als sie selbst sich oft abverlangten. Auch das ist ein Gedanke, der durch die Karwoche tragen kann.