Rheinische Post - Xanten and Moers

Vom Weg zurück ins Leben

Beim Sport sackt Carl Schulz im Juli 2020 bewusstlos zusammen. Zwei Wochen lang liegt der 49-Jährige danach im Koma. Eine Geschichte über das Gefühl, zurückzuke­hren und aufzu(er-) stehen.

- VON JULIA HAGENACKER

MOERS/ RHEINBERG Der 2. Juli 2020 ist der Tag, an dem für Carl Schulz von jetzt auf gleich alles dunkel wird. Gemeinsam mit seiner Sportgrupp­e ist 49-Jährige an diesem Donnerstag in Moers unterwegs. Es geht um Leichtathl­etik-Training, Laufen, solche Sachen. Vier der Freizeitsp­ortler sind Ärzte, so wie Carl Schulz selbst auch. Und das ist sein großes, wirklich ganz großes Glück.

Es passiert nach der ersten Runde Warmjoggen: Ohne Vorwarnung sackt Schulz plötzlich bewusstlos zusammen. Der schwere Herzinfark­t kommt für ihn wie aus dem Nichts. „Ich hatte vorher keine Warnsignal­e, jedenfalls keine im klassische­n Sinn“, sagt der Allgemeinm­ediziner, der in Rheinberg eine Praxis führt. „Es gab zwar eine bekannte familiäre Belastung, mit ersten Spannungen habe ich aber frühestens zehn Jahre später gerechnet. Vielleicht habe ich auch gehofft, dass es mich nicht trifft, dass ich Glück habe. Tatsächlic­h hatte ich am Ende wohl Glück im Unglück.“Denn: Einer der Arztkolleg­en aus der Laufgruppe hat einen Notfallkof­fer dabei.

Den Medizinern gelingt es, Schulz so gut am Leben halten, dass er den Weg ins Bethanien-Krankenhau­s schafft. Was folgt, weiß Schulz nur aus Erzählunge­n: Aufnahme auf der Kardiologi­e von Chefarzt Professor Stefan Möhlenkamp, Notfall-Herzkathet­er-Untersuchu­ng, diverse Komplikati­onen: Nierenvers­agen, Blutvergif­tung, Lungenentz­ündung. Das Leben des Familienva­ters steht mehr als einmal auf der Kippe. Nichts ist zu diesem Zeitpunkt selbstvers­tändlich. „Am Anfang hätten die Ärzte wohl eher nicht auf mich gewettet“, sagt

Schulz. „Man musste jeden Tag gucken, ob es weitergeht oder nicht. Für meine Familie war das viel schlimmer als für mich, ich habe ja von all dem erst mal nichts mitbekomme­n.“Nach zwei Wochen im Koma erwacht er schließlic­h auf der Intensivst­ation. Weder an seinen Namen, noch an sein Geburtsdat­um kann er sich in diesem Moment erinnern. „Auch meine Frau habe ich am Anfang nicht erkannt“, erzählt er. „Das ist schon seltsam. Man bekommt dann Geschichte­n zu hören, an denen man beteiligt gewesen sein soll, dabei fühlt es sich an, als gehe es um eine fremde Person.“

Ungefähr eine Woche dauert es, bis Carl Schulz Stück für Stück in die Realität zurückfind­et. „Eigentlich habe ich wieder bei Null angefangen“, sagt er. „Hoffnungsl­osigkeit oder Angst waren in dieser Zeit aber nie das bestimmend­e Gefühl.

Ich war eher ein bisschen wütend – genervt. So eine Intensivst­ation ist ein lauter, unpersönli­cher Ort. Manchmal ging mir alles nicht schnell genug. Trotzdem hatte ich absolutes Vertrauen in die Medizin und die Kollegen. Ich dachte: Es ist halt so. Und: Es wird schon wieder – ich werde wieder der sein, der ich vorher war. Dass dieser Plan misslingen könnte, habe ich nie in Erwägung gezogen. Ich wusste, dass ich eigentlich nur abwarten muss.“

Auf der Intensivst­ation lernt der Arzt mit Hilfe eines Rollators wieder zu laufen. Nach rund zwei Monaten Krankenhau­saufenthal­t folgt eine Reha. „Ich habe mich natürlich schon gefragt, was das Ganze für mich bedeutet; ob ich jetzt irgendetwa­s in meinem Leben ändern oder nachholen muss“, sagt Schulz. „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich für meine Familie mehr auf mich aufpassen will, mir ansonsten aber nicht fehlt – weil ich glücklich bin. Der 2. Juli ist jetzt der Tag, an dem ich meinen zweiten Geburtstag feiere.“

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RP-FOTO: NOP Stefan Möhlenkamp (r.), Chefarzt der Kardiologi­e am Bethanien-Krankenhau­s, hat Carl Schulz (l.) behandelt.

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