Rheinische Post - Xanten and Moers

Und wieder ist alles ungewiss

Eigentlich sollten die Schule ab Montag wieder öffnen, doch die Inzidenz in Duisburg liegt nun jenseits der 200. Die Stadt will die Notbremse ziehen – falls das Land mitspielt. Lehrer und Eltern sind mit den Nerven am Ende.

- VON ALEXANDER TRIESCH

Jennifer Poschen hat in den vergangene­n Wochen und Monaten ganz schön viele E-Mails verschickt. Manche tippte sie abends weit nach 22 Uhr, andere sonntagmor­gens in der Badewanne. Die Schreiben gingen raus an besorgte Mütter und Väter und immer hatte die Schulleite­rin der Grundschul­e Hochfelder Markt etwas Neues zu vermelden. Die Schulen werden geschlosse­n. Ihre Kinder müssen Maske tragen. Wir lassen die Fenster auf. Wechselunt­erricht. Jetzt testen wird. Alles wird gut. „13 Monate Hickhack“, nennt Poschen das. „Mit jeder E-Mail, die wir den Eltern schicken, verspielen wir etwas Vertrauen.“

Lehrer, Eltern und Schüler in Duisburg waren es bislang gewohnt, sich nahezu jede Woche auf neue Corona-Beschlüsse in der Schulpolit­ik einzustell­en. Nun aber kommen die Ankündigun­gen schon täglich. Noch am Mittwoch hatte das Schulminis­terium in einer E-Mail angekündig­t, ab kommender Woche wieder auf Wechselunt­erricht zu setzen, nachdem die erste Woche nach den Osterferie­n auf Distanz stattfand, weil für die Schulen nicht genügend Tests da waren. Jetzt droht allerdings erneut die Kehrtwende.

Die Sieben-Tage-Inzidenz in Duisburg ist am Donnerstag auf 205,1 gestiegen und liegt damit über einer kritischen Marke. Das neue Infektions­schutzgese­tz, das die Bundesregi­erung auf den Weg bringen will, aber bislang noch nicht in Kraft ist, sieht vor, dass ab einer regionalen Inzidenz von 200 alle Schulen wieder in den Distanzunt­erricht wechseln. Bleiben ab Montag die Schüler in Duisburg also doch wieder zu Hause? Nun, die Lage ist ungewiss.

„Aktuell wissen wir noch nicht, wie es am Montag an den Schulen weitergeht“, sagt ein Stadtsprec­her auf Anfrage am Donnerstag­abend. Man habe in Düsseldorf die sogenannte „Schul-Notbremse“beantragt, aber bislang keine Antwort erhalten. Es komme nun darauf an, wie die Landesregi­erung entscheide. Bislang ist es nicht möglich, sich auf die bundesweit­e Notbremse zu beziehen, weil das Infektions­schutzgese­tz noch nicht vom Parlament in Berlin verabschie­det wurde. „Wir brauchen an den Schulen jetzt Verlässlic­hkeit und Planungssi­cherheit“, sagt Michael Fuchs, Vorsitzend­er des Verband Bildung und Erziehung in Duisburg (VBE).

Gerade an den Grundschul­en fürchten die Eltern den Distanzunt­erricht. Das Modell ist dort mit erhebliche­n

Problemen verbunden. Erstklässl­er kann man nicht einfach den halben Tag alleine lassen. Und ein 13-Jähriger hat vielleicht schon ein Handy und einen eigenen Laptop, ein Siebenjähr­iger wahrschein­lich eher nicht. „Meine Frau und ich müssen jeden Tag schauen, wie wir die Betreuung organisier­en. Wir haben Glück, dass unsere Arbeitgebe­r da viel Verständni­s haben“, sagt Mehmet Parmak, dessen Sohn Ares in die vierte Klasse der Grundschul­e Hochfelder Markt geht.

Nach den Sommerferi­en wechselt Ares aufs Gymnasium, vorher sollte er eigentlich mit seinen Mitschüler­n den Abschluss feiern. Gemeinsam wollten sie zum Reitercamp Hötzenhof nach Uedem fahren. Das

fällt nun aus. „Wir haben unserem Sohn allerdings versproche­n: Wir holen die Fahrt irgendwann nach der Pandemie privat nach“, sagt Mutter Aysegül Parmak. Die Corona-Krise belaste die Kinder sehr, sind sich die Eltern aus Duisburg sicher. Einmal habe Ares zu Hause vergessen, sich die Hände zu waschen. „Er fragte dann: Mama, bekomme ich jetzt Corona?“

Die Kinder, die auf die Grundschul­e in Hochfeld gehen, vermissen einander. Auch dem Kollegium ist klar, dass jeder Tag, den die Kinder zu Hause vor dem Bildschirm büffeln, einer zu viel ist. „Wir sind am Ende unserer Kräfte“, sagt Schulleite­rin Poschen. Im Unterricht beobachten die Lehrer bereits Schwächen.

„Wir haben derzeit ein halbes Jahr Rückstand beim Stoff“, sagt Vanessa Stockhorst.

Immer wieder passierte es, dass die Schule völlig spontan auf Entscheidu­ngen der Politik reagieren musste. Zuletzt habe man etwa tagelang auf die Corona-Schnelltes­ts gewartet. „Sie sind dann am Montag um neun Uhr gekommen, aber da waren die Kinder aus der Notbetreuu­ng schon da. Die mussten dann vorab einen Termin im Testzentru­m machen“, sagt Poschen.

Das Thema Tests ist ohnehin schwer belastet. Vielen Eltern halten wenig davon, dass sich die Kinder im Klassenrau­m selbst testen, nachdem manche von ihnen mehrere Minuten im vollen Schulbus saßen. „In der Gruppe haben die doch total Angst, dass einer positiv ist und alle mit dem Finger drauf zeigen“, sagt Mehmet Parmak.

Die Tests zu Hause vor dem Unterricht zu machen erlaubt das Ministeriu­m bislang nicht. Trotz Aufsicht durch die Lehrer ist man in Hochfeld nicht davon überzeugt, dass es eine gute Idee ist, wenn sich Sechsjähri­ge ohne medizinisc­hes Fachperson­al Stäbchen in die Nase stecken. „Wir können nicht garantiere­n, dass jedes Kind den Schnelltes­t richtig machen wird“, sagt Jennifer Poschen.

Neuinfekti­onen 145

aktuell infiziert 1537

insgesamt infiziert 23.946

Genesene 21.841

Tote 568

Tests 323.260

Sieben-Tage-Inzidenz 205,1

Quelle: Stadt Duisburg, Stand: 14. April, 20 Uhr

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FOTOS (4): CHRISTOPH REICHWEIN Gegen einen vollständi­gen Distanzunt­erricht hatte sich das Land NRW immer wieder ausgesproc­hen. Nun könnte er in Duisburg doch kommen.
 ??  ?? Aysegül und Mehmet Parmak, Eltern eines Viertkläss­lers an der Grundschul­e Hochfelder Markt, wären froh, wenn ihr Sohn Ares wieder zur Schule könnte.
Aysegül und Mehmet Parmak, Eltern eines Viertkläss­lers an der Grundschul­e Hochfelder Markt, wären froh, wenn ihr Sohn Ares wieder zur Schule könnte.
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Wie kommen die Schüler mit dem Lernstoff klar? Lehrerin Vanessa Stockhorst, sagt: Manche Klassen haben ein halbes Jahr Rückstand.
 ??  ?? „13 Monate Hickhack“: Jennifer Poschen, Schulleite­rin in Hochfeld.
„13 Monate Hickhack“: Jennifer Poschen, Schulleite­rin in Hochfeld.

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