Rheinische Post - Xanten and Moers
Die Zukunft der Arbeit
Menschen verdienten früher vorwiegend in der Landwirtschaft und in Fabriken ihr Geld. Heute setzt sich das mobile Arbeiten als Dienstleistung durch. Zudem wird die Pflege älterer Menschen zu einem Berufsfeld mit wachsender Bedeutung.
Wie sah das Arbeitsleben in den Jahren nach1946 aus, als die Rheinische Post gegründet wurde? Bis zu 48 Stunden dauerte die reguläre Arbeitswoche, sofern Menschen in den Nachkriegsjahren überhaupt eine Stelle hatten. Die Anwesenheit im Unternehmen war unverzichtbar, in der Land- und Forstwirtschaft, im Bergbau sowie der Fischerei arbeitete noch jeder vierte Beschäftigte. Mehr als 40 Prozent der Beschäftigten waren in der Produktion, nur rund ein Drittel arbeitete im breit gestreuten Dienstleistungssektor inklusive Gaststätten, Hotels und öffentlichem Dienst.
Aktuell sieht die Lage völlig anders aus. Nur noch 1,4 Prozent der Berufstätigen in Deutschland arbeiten im primären Sektor inklusive der Landwirtschaft und den wenigen Fischern. Nur noch ein Viertel der Mitarbeiter ist in der Produktion aktiv, wobei auch diese Aufgaben immer häufiger auch vom Büros aus erledigt werden, Kollege Roboter hat Einzug gehalten bei Ford, Volkswagen oder auch bei Henkel und Bayer.
Und während drei Viertel der Menschen in Deutschland mit Dienstleistungen beschäftigt sind, ist die Arbeitszeit auf im Durchschnitt nur noch 38 Stunden für eine Vollzeitstelle gesunken, nachdem seit Mitte der 60er Jahre die 40-Stunden-Woche in immer mehr Branchen eingeführt wurde. „Wir sind auf dem Weg in die postindustrielle Dienstleistungsgesellschaft“, sagt Franz Arnold, Chef der Kölner Beratungsfirma Evolog, „die reine Produktion anfassbarer Güter verliert an Bedeutung.“
Vom Zwang zur dauerhaften Anwesenheit in der Firma verabschieden sich Unternehmen und Verwaltung zunehmend: Während der Corona-Krise wurden Mitarbeiter zu rund 80 Prozent ins Homeoffice geschickt, ein Trend, der nicht ganz zurückgedreht werden wird. „Dem hybriden Arbeiten gehört die Zukunft“, sagte jüngst Telekom-Chef Tim Höttges. Beschäftigte würde viele Aufgaben konzentriert an einigen Tagen pro Woche oder im Monat zu Hause erledigen, während die zentralen Büros vorrangig Orte des Austausches und der Kommunikation würden.
Ebenso sehen auch Bayer, Henkel oder ThyssenKrupp die Zukunft: In Betriebsvereinbarungen wird das zeitweise Recht auf Homeoffice festgeschrieben, um gerade junge, weibliche Talente an die Firmen zu binden, aber einen kompletten Abschied der Menschen ins Heimbüro will niemand. „Viele wollen nicht auf Dauer nur im Home-Office arbeiten“, sagt Sylvie Nicol, Personalvorstand von Henkel, und ergänzt: „Kolleginnen und Kollegen freuen sich schon jetzt darauf, wieder real zusammenzukommen. Wir brauchen auch den unmittelbaren Austausch.“
Die nächsten Jahre wird Deutschland voraussichtlich einen gespaltenen Arbeitsmarkt aufweisen. Hunderttausende einfache Bürojobs drohen aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung wegzufallen. Egal ob es um die Prüfung von Versicherungsanträgen, von Steuererklärungen, von Warenbestellungen geht oder um das Reservieren von Hotelbetten oder Fahrkarten - Apps, Großcomputer und in sie integrierte Programme für „künstliche Intelligenz“übernehmen immer mehr Aufgaben, die früher am Schreibtisch von Menschen erledigt wurden.
Zugleich gewinnen Dienstleistungsarbeiten mit relativ schlechter Bezahlung an Bedeutung: Weil die Bevölkerung im Durchschnitt älter wird, werden erheblich mehr Alten- und Krankenpfleger gesucht. Immer öfter kommen sie aus dem Ausland. Unter anderem, weil immer mehr Paare Doppelverdiener sind, gehört eine Putzkraft zur Unterstützung zu Hause fast schon zum Standard in den wohlhabenderen Stadtteilen von Düsseldorf, Köln oder Bonn – auch hier ist der deutsche Pass eher die Ausnahme als die Regel bei den häufig weiblichen Hilfskräften. Aber auch in der Gastronomie, im Sicherheitsbereich und in der Logistik steigt der Bedarf nach eher niedrig qualifizierten Mitarbeitern bei bescheidenen Löhnen. „Die Tätigkeiten dieser Service Class bestehen aus Routinearbeiten, die von sogenannten Geringqualifizierten geleistet werden“, sagt der
Soziologe Andreas Reckwitz in seinem unter anderem von Bundesfinanzminister Olaf Scholz gelobten Beststeller „Das Ende der Illusionen“. Eine neue Unterklasse drohe in den klassischen Industriegesellschaften nach unten abzurutschen.
Parallel tobt der Kampf um schlaue Köpfe in vielen Berufen und Branchen. „Die Arbeit geht uns trotz Digitalisierung nicht aus“, sagt Andreas Ehlert, Präsident von Handwerk NRW. Und er weist darauf hin, dass keineswegs nur in klassischen Niedriglohnberufen des Handwerks, etwa im Friseurgewerbe, das Personal knapp ist, sondern auch bei relativ gut bezahlten Spezialberufen wie Anlagenmechanikern und Kältetechnikern. „Dort wird auf technisch sehr hohem Niveau gearbeitet“sagt er, „diese Leute sind begehrt.“
Vorerst gibt es jedenfalls genug zu tun, aber das geforderte und das angebotene Niveau steigt unaufhörlich. 1960 wagten erst neun Prozent eines Jahrgangs in Deutschland den Beginn eines Studiums, schon 2012 begann jeder zweite junge Mensch eine akademische Ausbildung, im Jahr 2017 verfügte fast jeder Dritte aus der Gruppe der 30 bis 35-jährigen über einen Hochschulabschluss, etwas mehr als die Hälfte davon ist weiblich.
Zumindest bisher nimmt der Arbeitsmarkt diese hohe Zahl an gut ausgebildeten jungen Menschen auf: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland lag vor der Corona-Krise bei nur 5,9 Prozent, bei Akademikern bei nur 2,2 Prozent, in ganz Deutschland waren 2019 insgesamt
45,9 Millionen Männer und Frauen offiziell erwerbstätig, ein Rekord in der Nachkriegsgeschichte - auch dank des Zuzugs vieler junger Leute aus anderen EU-Staaten.
Werden diese exzellenten Werte Bestand haben, wenn die Corona-Krise überwunden ist? Es gibt gute Chancen dafür, sofern die für Exporte aus Deutschland und aus NRW so wichtigen Branchen wie Auto, Chemie, Pharma/Biotechnologie (Biontech), Maschinenbau und teilweise auch Ökotechnik ihre starke Position im Weltmaßstab verteidigen. Dann können diese Hochlohnbranchen einigen Millionen Haushalten ein solides Auskommen bescheren, viele hunderttausend kleinere Firmen profitieren direkt und indirekt ebenfalls, und viele haushaltsnahe Dienstleistungen boomen weiter dank des hohen Lebensstandards der urbanen Mittelund Oberschichten.
Bisher hat die Digitalisierung in Deutschland unter dem Strich erstaunlicherweise keine Stellen gekostet, weil einfache Bürojobs häufig nur durch mindestens ebenso interessante Aufgaben in Marketing, Produktdesign oder Personalentwicklung ersetzt wurden, doch dieser Trend könnte enden, wenn Computer mit „künstlicher Intelligenz“immer mehr anspruchsvolle Aufgaben übernehmen: Bus- und Taxifahrer wird man in spätestens 15 Jahren nicht mehr brauchen, wenn autonom fahrende Autos und Busse die Straßen füllen. Niemand weiß, ob irgendwann neue Superrechner sogar App-Entwickler, IT-Experten oder auch Programmierer ersetzen.
Weil so auf Dauer viele Millionen Jobs wegfallen könnten, plädieren Telekom-Chef Tim Höttges oder auch DM-Gründer Götz Werner ebenso wie der Publizist und Philosoph Richard David Precht für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Eine andere Position hat Postchef Frank Appel. Auch er befürwortet einen starken Sozialstaat in Deutschland und Europa. Aber anstatt Untätigkeit zu subventionieren, sollten besser wichtige Arbeiten im Sozialbereich, in der Altenpflege oder im Umweltschutz unterstützt werden, meint der frühere Zivildienstleistende. Es sei doch denkbar, die Mehrwertsteuer auf Arbeit, die von Menschen geleistet wird, zu streichen und umgekehrt eine Robotersteuer auf von Maschinen geleistete Wertschöpfung einführen.
Solche Überlegungen sprechen übrigens keineswegs dagegen, ein hohes Bildungsniveau für die ganze Bevölkerung anzustreben, meint Berater Franz Arnold: „Gerade weil die Zukunft offen ist, sollten die Menschen einen breiten Horiziont haben. Das hilft bei eventuellen Jobwechseln, es hilft aber auch neue Chancen im Leben zu finden, die gar nichts mit dem Erwerbsleben zu tun haben.“