Rheinische Post - Xanten and Moers
Streit im Auschwitz-Beirat
Polens Ex-Regierungschefin wurde in das Gremium berufen. Das politisiere das Gedenken, sagen Kritiker.
WARSCHAU Um die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau droht in Polen eine politische Auseinandersetzung zu entbrennen. Ausgangspunkt dafür ist die Berufung der ehemaligen Premierministerin Beata Szydlo in den Internationalen Auschwitz-Beirat. „Ihre Berufung durch Vizepremier Piotr Glinski betrachten wir als eindeutige Politisierung dieses Organs“, so eine Gruppe von Parlamentariern und Senatoren der Oppositionspartei Bürgerliche Koalition, die ihre Abberufung beantragt hatte. Der nationalkonservativen Europaparlamentarierin fehle zudem die nötige Kompetenz.
Wegen der Berufung von Szydlo, die von 2015 bis 2017 für die Partei Recht und Gerechtigkeit als Premierministerin fungierte, sind bereits drei Mitglieder des Beirates zurückgetreten, der derzeit neu einberufen wird. Glinski kritisierte diese Rücktritte am Sonntag als Politisierung der Auseinandersetzung. Die 58-Jährige, die aus dem Ort Auschwitz (polnisch Oswiecim) stammt und bereits im historischen Museum Krakaus gearbeitet hat, ist nicht nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Regierungspartei umstritten. Ihre Berufung und die Gegenreaktionen stellen ein weiteres Kapitel im Streit um die Deutungshoheit über die Geschichte Polens im Zweiten Weltkrieg dar.
Erklärter Wille der aktuellen Regierung des Landes unter Mateusz Morawiecki ist es, dass die Welt mehr von den Leiden der nichtjüdischen Polen unter der deutschen Besatzung erfahren soll. Auch sollte die Rolle der Polen betont werden, die Juden vor der SS gerettet haben.
In dem Antrag der Opposition wurde darum auch eine umstrittene Äußerung Szydlos aufgeführt. Die damalige Regierungschefin sprach im Juni 2017 anlässlich des
77. Jahrestag der ersten Deportation in das Konzentrationslager davon, dass Auschwitz „in den heutigen unruhigen Zeiten eine große Lehre sei, dass man alles tun müsse, um seine Staatsbürger zu schützen.“Im Jahr
1940 wurden vor allem politische polnische Häftlinge in das Lager eingeliefert. Dennoch hielten viele Politiker es für unangebracht, sich beim Gedenken an die Nazi-Greueltaten nur auf die polnische Nation zu beschränken. In Auschwitz-Birkenau wurden etwa 1,1 Millionen Menschen ermordet, davon waren die meisten Juden.
Agnieszka Magdziak-Miszewska, die ehemalige Botschafterin Polens in Israel, kritisierte an Szydlo, dass diese vor allem an „dem polnischen Teil der Geschichte des Lagers interessiert ist“. Die Nationalkonservative
bemängelte, dass etwa das Schicksal Witold Pileckis in Auschwitz zu wenig thematisiert werde. Der Offizier der polnischen Untergrundorganisation „Heimatarmee“ließ sich 1940 in das Konzentrationslager einschleusen und entkam 1943, um den Alliierten einen Bericht über die Vernichtung der Juden in Auschwitz-Birkenau zukommen zu lassen, dem nicht geglaubt wurde.
Der Internationale Auschwitz-Beirat wurde im Jahr 2000 von dem damaligen Premierminister Jerzy Buzek gegründet. Seine etwa zwei Dutzend Mitglieder tagen zweimal jährlich und werden alle sechs Jahre von der Regierung berufen. Sie sind zumeist Historiker, Philosophen oder Zeitzeugen, wie der 95-jährige Auschwitzüberlebende Marian Turski. Im Jahre 2018 wurde die damalige Vorsitzende des Rates und Historikerin Barbara Engelking von Premierminister Mateusz Morawiecki abberufen, da ihr es an „polnischer Sensibilität“fehle, wie es Vizepremier Jaroslaw Gowin seinerzeit formulierte.