Rheinische Post - Xanten and Moers
38 Kilogramm Plastikmüll produzieren die Deutschen pro Kopf und Jahr
Nüsse und Getreide unverpackt, Kaffeebohnen in der Glasflasche, Obst und Gemüse im Jutebeutel. Die Verbraucher wollen sie, die Politik verlangt danach, der Handel fordert sie, die Konsumgüterproduzenten brauchen sie, und die Hersteller von Packmitteln sollen liefern: die nachhaltige Verpackung – auch für Lebensmittel.
Jede einzelne Verpackung sorgt dafür, dass Lebensmittel lecker und hygienisch-sicher zu Hause ankommen. Doch es muss nicht immer Plastik sein – zumal Plastik eines der größten Probleme unserer Zeit ist.
38 Kilogramm Plastikmüll produzieren die Deutschen laut Plastikatlas der Heinrich-Böll-Stiftung pro Kopf und Jahr. Ein großer Teil stammt aus dem Supermarkt, in Form von Verpackung. Und nicht alles davon wird zu neuen Produkten recycelt, sondern gerade mal ein Sechstel.
Der Bedarf an nachhaltigen Verpackungen wird in den kommenden Jahren stark steigen. Denn immer mehr Konsumenten kaufen umweltbewusster sein. Dabei spielen laut Statista-Report „Nachhaltiger Konsum 2021“mehrheitlich die richtigen Verpackungen eine große Rolle. Eine Verpackung ist demnach für die Konsumenten vor allem dann nachhaltig, wenn sie biologisch abbaubar ist und aus recycelten oder recycelbaren Materialien wie Papier/ Pappe (von 70 Prozent favorisiert) oder Glas (62 Prozent) besteht. Getränkekartons, Plastik und Dosen belegen dagegen nur hintere Plätze.
Ein Hersteller, der auf Glas setzt, ist Uwe Prommer. „The Message is the Bottle“(„Die Flasche ist die Botschaft“), sagt er. Der Siegburger Unternehmer hat die Idee des nachhaltigen, hochwertigen Kaffeegenusses zu Ende gedacht und bietet die frisch geröstete Bohne in einer Mehrweg-Glasflasche an. Seit
2015 werden in seiner Kaffee-Rösterei Cofi Loco 100 Prozent bio-zertifizierte Bohnen geröstet und in traditionellem Verfahren veredelt. Danach wird der Kaffee in die Flasche gefüllt und verschlossen.
Weithalsflaschen, wie sie auch für Milch genutzt werden, passten dafür am besten. Lange tüftelte das Team am richtigen Verschluss. Alleinstellungsmerkmal der sogenannten „Cofi Bottle“ist der patentierte und bislang weltweit einmalige Aromadeckel: Die Bohne reift in der Flasche weiter. Denn durch die innovative Konstruktion entweicht der überschüssige Druck durch einen perforierten Filter im Deckel, ohne dass jedoch Luft in die Flasche kommt.
„Flaschengärung“nennt Prommer das. „Normalerweise lässt man die Kaffeebohnen nach dem Rösten rund 24 Stunden offen stehen, da verlieren sie aber viel von ihrem Aroma“, erklärt der Fachmann. „Die Idee, Glas als Behälter und Aromaschutz zu nutzen, ist an sich simpel“, erklärt Uwe Prommer. „Unser Kaffee gehört übrigens in den Kühlschrank; die Kälte und die Dunkelheit konservieren das Aroma“, betont er. Die Flaschen mit 360 und 380 Gramm Inhalt – mehr als 2000 Kaffeebohnen – sind für rund zwölf Euro im Online-Shop und in Edeka-Filialen erhältlich. Laut Prommers ersetzt ein Kasten mit je sechs Flaschen, die jeweils 50 Mal wiederbefüllt werden können, 300 herkömmliche Tüten. „Da diese außen aus Papier und innen aus einer Kunststoffschicht bestehen, sind sie nicht recycelbar“, erklärt er. Mit Einsatz der Flaschen falle keinerlei Verpackungsmüll an.
Die Entwicklung trieb der Geschäftsmann aus persönlicher Überzeugung voran. Er arbeitet seit 25 Jahren in der Gastronomie und stellte zunehmend fest, wie viel Müll in den Betrieben produziert wurde. In seiner Rösterei habe er von Anfang an darauf geachtet, den ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten. Weil Kaffee naturgemäß über Tausende Kilometer importiert werden muss, sollte an anderer Stelle gespart werden. In Peru, einem der Anbaugebiete des „Cofi Loco“-Kaffees, unterstützt der Mann aus Siegburg ein Aufforstungsprojekt.
Müll zu vermeiden ist ein Weg, um das Klima zu schützen. Ein anderer sind Verpackungen aus recyceltem und recycelbarem Material. Ein Beispiel aus der Lebensmittelbranche liefert die Lakritzfabrik Lakrids by Bülow, die in Kopenhagen produziert und ihre Deutschlandzentrale in Düsseldorf hat. Nach eigenen Angaben verwendet man dort als erster Süßwarenhersteller der Welt Dosen zu 100 Prozent aus recyceltem und wiederverwertbarem Kunststoff (R-Pet). Das Metall vom Siegel der Verpackung wurde entfernt. Der Deckel besteht aus unbehandeltem Kunststoff. Wenn die Lakritze gegessen und die Dose leer ist, kann diese im Plastikmüll entsorgt werden.
Auf Papier setzt seit Anfang 2021 der global agierende Konzern Nestlé bei der Produktion von Smarties: Das Ende von Plastikdeckeln und Co. bei der Herstellung von Rollen, Tüten und Schächtelchen bedeutet demnach allein in Deutschland jährlich eine Einsparung von mehr als 191 Tonnen an Plastik. Das Unternehmen
investierte in der Hamburger Fabrik in neue Fertigungslinien mehrere Millionen Euro.
Eine dritte Variante, um Müll zu reduzieren, sind wiederauffüllbare Verpackungen, wie man sie in Unverpackt-Läden findet. So können etwa Flocken, Nüsse oder Getreide aus „Bulk-bins“– großen Glasbehältern – von Kunden „gezapft“werden. Vor fünf Jahren haben die ersten Unverpackt-Läden in Deutschland geöffnet und machen verpackungsfreies Einkaufen möglich.
Diese Läden und Märkte bieten alle Waren offen oder notfalls in wiederverwendbaren Pfandbehältern an. Kunden können sich die gerade benötigte Menge selbst abfüllen oder einpacken und so plastikfrei einkaufen. Egal ob Nudeln, Reis, Hülsenfrüchte, Kaffee, Süßwaren, Seife oder Waschmittel: Hier bekommt man fast alles als lose Ware. Gewürze und Kräuter löffelt man sich zum Beispiel aus großen Gläsern in kleine, Essig und Öl füllt man sich aus großen Kanistern oder Flaschen in Flaschen, Eier werden in selbst mitgebrachten Kartons, Käse wird in Papier, Vorratsdosen oder Wachstüchern verpackt.
Eine Möglichkeit, um den persönlichen Plastikmüllberg zu reduzieren und zudem den Weg zu einem Biohof zu vermeiden, eröffnet das Start-up „Die Gute Tüte“aus Düsseldorf. Im Online-Shop können die Kunden die gewünschten Lebensmittel am Vortag auswählen und bezahlen. Die Start-up-Gründer bringen das bestellte Obst und Gemüse werktags per Lastenfahrrad oder Elektroauto morgens zur eigens eingerichteten Abholstation in verschiedenen Stadtteilen und in der Stadtmitte am Kö-Bogen. Zwischen 10 und 22 Uhr können die Kunden per QRCode das Schließfach öffnen und ihre „Gute Tüte“abholen. Der Einkauf der saisonalen Waren von Bauernhöfen aus der Region wird von den jungen Gründern Antonio Hover und Fawad Jacobi in Tragetaschen aus Jute verpackt. Geplant ist, das Sortiment um Brot und Trockenprodukte wie Nüsse, Mehl und Nudeln sowie Waren von Düsseldorfer Manufakturen zu erweitern.