Rheinische Post - Xanten and Moers
Protestanten vertrauen in die Jugend
Jugend ist kein Wert an sich. Aber natürlich hat das Alter Einfluss darauf, wie ein Mensch auf die Welt blickt, welche Werte für ihn zählen, wie er mit Wandel umgeht, was er über die Zukunft denkt. Darum ist es mehr als ein Signal, dass die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland die 25 Jahre alte Philosophiestudentin Anna-Nicole Heinrich zur neuen Präses gewählt hat. Das Kirchenparlament sendet eine Botschaft und macht selbst ernst: Die junge Generation soll an entscheidender Stelle vertreten sein. Und selbst sprechen.
Natürlich weckt das Reflexe: Kann die das? Ein Leitungsposten in einer Kirche, die 21,1 Millionenen Christen in Deutschland vertritt – ohne Führungserfahrung? Als Frau? Ob sie das kann und wie sie ihre Aufgabe füllen wird, kann Anna-Nicole Heinrich erst im Amt beweisen. Und dann darf man sie nicht mehr darauf reduzieren, jung und eine Frau zu sein. Erfahrung jedenfalls ist nur ein Erfolgsfaktor von vielen. Und Alter ist auch kein Wert an sich. Diese Erkenntnis scheint sich im jugendskeptischen Deutschland gerade im Turbogang durchzusetzen. Das zeigt die taktische Entscheidung der Grünen für eine recht junge Frau als Kanzlerkandidatin. Das zeigt auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur deutschen Klimapolitik, die noch viele Verwerfungen in der konkreten Umsetzung nach sich ziehen wird, aber das wohl geleistet hat: der Jugend ernsthaft Beachtung zu verschaffen. Eine allzu schlichte Gleichung dürfte für die Kirche allerdings nicht aufgehen: das Kalkül, eine junge Frau in einem hohen Amt werde automatisch Jugend in die Gemeinden ziehen. Da müssen schon Inhalte überzeugen. Die Tatsache, dass junge Frauen in der Evangelischen Kirche Chancen haben, mitzugestalten, ist aber ein Anfang.
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