Rheinische Post - Xanten and Moers
Die Hardliner bereiten sich vor
Im Iran beginnt die Kandidatenauswahl für das Amt des Präsidenten. Revolutionsführer Ali Chamenei will die Herrschaft der Mullahs sichern. Verfechter eines kompromisslosen Kurses sind deshalb die Favoriten.
Im Iran bereiten sich die Hardliner auf den Durchbruch zur Kontrolle aller wichtigen Schaltstellen im Staat vor. Nach ihrem Sieg bei den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr sind Verfechter eines kompromisslosen Kurses in der Innenund Außenpolitik die Favoriten für die Präsidentenwahl am 18. Juni. An diesem Dienstag beginnt die Anmeldung der Präsidentschaftsbewerber. Eine Schlüsselrolle dabei spielt Revolutionsführer Ali Chamenei, der unliebsame Kandidaten von der Wahl ausschließen lassen kann. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Wahl.
Warum ist diese iranische Präsidentschaftswahl so bedeutend?
Der zu den Reformern zählende Präsident Hassan Ruhani, der nach zwei Amtszeiten im Juni nicht mehr antreten darf, hinterlässt ein isoliertes und krisengeschütteltes Land mit einer demoralisierten Wählerschaft. Ruhanis Regierung hatte den Iranern nach dem Abschluss des internationalen Atomabkommens von 2015 mehr Wohlstand versprochen – stattdessen verschärfte der damalige US-Präsident Donald Trump die Sanktionen gegen das Land. Die Konjunktur brach ein, Millionen verarmten, die Korruption ist allgegenwärtig. Die Ausbreitung des Coronavirus hat die Probleme noch verschärft. Zur Jahreswende 2017/2018 und im Jahr 2019 schlug das Regime landesweite Proteste der Bevölkerung brutal nieder.
Der neue Präsident – Frauen sind nicht zugelassen – steht nicht nur vor schweren innenpolitischen Problemen. Er wird auch entscheiden müssen, wie er mit dem Westen umgeht: Gespräche über eine Wiederbelebung des Atomabkommens gehen kurz vor der Wahl in die entscheidende Phase. Zudem könnte in der Amtszeit des neuen Präsidenten eine Entscheidung von epochaler Tragweite für den Iran anstehen. Das Land wird möglicherweise einen Nachfolger für den 82-jährigen Chamenei finden müssen, den mächtigsten Mann im Land. Auch deshalb wird Chamenei sehr genau darauf achten, wer ins Rennen geht.
Wie läuft die Kandidatenauswahl ab? Von Dienstag an haben Präsidentschaftsbewerber fünf Tage lang Zeit, sich als Kandidaten anzumelden. Der sogenannte Wächterrat – ein von Chamenei besetztes, konservatives Gremium mit zwölf Mitgliedern – entscheidet, wer sich um das Amt bewerben darf und wer nicht. Eine gute Vernetzung im Sicherheitsapparat und anderen Machtzentren des Regimes ist für einen Kandidaten entscheidend. Einer der einflussreichsten Akteure im engsten Kreis um Chamenei ist Mojtaba Chamenei, der Sohn des Revolutionsführers. Er unterhält enge Verbindungen zur Revolutionsgarde, die seinem Vater unterstellt ist, und hat das Büro des Revolutionsführers
zu einer Art Parallelregierung ausgebaut.
Welche Kandidaten haben die besten Chancen?
Einige der aussichtsreichsten Kandidaten sind Hardliner aus den Reihen der Revolutionsgarde. Zu ihnen gehören der ehemalige Verteidigungsminister Hossein Dehghan und Parlamentspräsident Mohammad Baker Kalibaf. Der erst 40-jährige Ex-Gardist Saeed Mohammad rechnet sich Chancen aus, weil Chamenei
öffentlich eine Verjüngung der Regierung gefordert hat. Auch der Chef der iranischen Justiz, Ebrahim Raisi, zählt zu den Favoriten. Er ist allerdings wegen seiner Beteiligung an der Massenhinrichtung von
5000 politischen Häftlingen im Jahr
1988 umstritten.
Auch der frühere Präsident Mahmud Ahmadinedschad will erneut antreten, doch er hat sich bei Chamenei so unbeliebt gemacht, dass er am Wächterrat scheitern dürfte.
Gibt es einen Hoffnungsträger der Reformer?
Das Reformlager leidet nach den Misserfolgen der vergangenen Jahre unter Vertrauensverlust. Mohsen Haschemi, Sohn des früheren Präsidenten Akbar Haschemi Rafsandschani, der frühere Abgeordnete Ali Motahari und Ruhanis Vizepräsident Eschak Dschahangiri sind prominente Präsidentschaftsbewerber der Reformer. Außenminister Dschawad Zarif, der ebenfalls als möglicher Kandidat der Reformer gilt, lehnt eine Bewerbung ab. Die Reformer hoffen auf einen raschen Abschluss der Atomgespräche und eine Aufhebung der Sanktionen, um doch noch einen Erfolg vorweisen zu können. Präsident Ruhani sagte am Wochenende, es seien nur Details zu klären.
Steht eine vollständige Machtübernahme durch die Hardliner bevor? Aus Chameneis Sicht ist das Desinteresse der Iraner an der Wahl ein großes Problem, weil eine niedrige Wahlbeteiligung die Legitimität des Regimes infrage stellen könnte. Da laut Umfragen 40 bis 50 Prozent der Iraner nicht zur Wahl gehen wollten, ist nach der historisch niedrigen Beteiligung bei den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr ein neues Desaster für die Führung möglich. Chamenei könnte deshalb auf das „altbewährte Spiel“setzen, einen zugkräftigen Kandidaten aus dem Lager der Reformer zur Wahl zuzulassen, um die Wahlbeteiligung nach oben zu treiben, sagt Iran-Experte Ali Fathollah-Nejad.
Auch eine in jüngster Zeit verstärkte Kampagne in sozialen Medien, bei der sich mögliche Präsidentschaftskandidaten präsentieren, diene dem Zweck, Interesse an der Wahl zu wecken, sagte Fathollah-Nejad, Politologe an der FU Berlin und Autor eines bald erscheinenden Buchs zur iranischen Außenpolitik, „Iran in an Emerging New World Order“, unserer Redaktion. Ein Revolutionsgardist im Präsidentenamt hätte nach Einschätzung von Fathollah-Nejad mehr politischen Spielraum als ein Amtsträger aus dem gemäßigten Lager. So könnte ein Gardist als Präsident theoretisch in der Lage sein, die schwere wirtschaftliche und soziale Krise im Iran mit populistischen Maßnahmen etwas zu lindern, etwa indem er soziale Hilfen mit Geldern aus dem Wirtschaftsimperium der Garde finanziert. Einem Präsidenten aus dem Lager der Reformer wäre der Zugang zu diesen Geldquellen versperrt.