Rheinische Post - Xanten and Moers
Kritik an Ankara ist unerwünscht
Die Türkisch-Deutsche Universität setzt einen Forscher ab. Studenten solidarisieren sich.
ISTANBUL An der Türkisch-Deutschen Universität (TDU) in Istanbul, die teils mit deutschen Steuergeldern finanziert wird, ist Kritik an der türkischen Regierung unerwünscht. Die Hochschule setzte jetzt den Migrationsforscher Murat Erdogan als Institutsleiter ab, weil er die Außenpolitik Ankaras kritisiert hatte. Erst vergangenes Jahr hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Türkei-Besuch die Universität im Istanbuler Stadtteil Beykoz als „Juwel“gelobt und mehr Meinungsfreiheit angemahnt. Doch jetzt macht die Hochschulleitung klar, dass für sie andere Maßstäbe gelten.
Der 57-jährige Murat Erdogan, der an Hochschulen in Berlin, Duisburg, Freiburg und Bonn arbeitete und perfekt Deutsch spricht, verkörpert das Ziel der TDU, die Verbindungen zwischen beiden Ländern zu stärken. Er ist der angesehenste Migrationsforscher der Türkei und legte in den vergangenen Jahren den Schwerpunkt seiner Forschung auf die rund 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge im Land. Erdogan – der nicht mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan verwandt ist – empfiehlt der türkischen Regierung ein verstärktes Integrationsprogramm, weil seine Untersuchungen gezeigt haben, dass die allermeisten Syrer nicht in ihr Heimatland zurückkehren werden.
In Ungnade fiel Murat Erdogan jetzt wegen eines Twitter-Kommentars zu einer Kehrtwende in der türkischen Außenpolitik. Nach jahrelanger Feindschaft mit Ägypten nähert sich die türkische Regierung wieder an die Führung in Kairo an, obwohl Staatschef Abdel Fattah al-Sisi noch vor Kurzem als Putschist beschimpft wurde. Ankara bemüht sich auch um eine Normalisierung der Beziehungen zu Saudi-Arabien.
Auf Twitter ärgerte sich Murat Erdogan am Freitag darüber, dass „erbärmliche“Anhänger der Regierung jeden politischen Schwenk mitmachten und Sisi plötzlich als „starken Führer“lobten. Wenige Stunden später erklärte die TDU, sie habe rechtliche Schritte gegen den Professor eingeleitet, weil er die Regierung und deren Mitglieder beleidigt habe. Murat Erdogan musste die Leitung des Zentrums für Migrationsforschung der TDU abgeben. Seine Zukunft an der Universität ist ungewiss. Weil die internen Ermittlungen gegen ihn andauern, will sich der Professor vorerst nicht öffentlich äußern. Studenten, türkische Akademiker und Oppositionspolitiker solidarisieren sich mit Murat Erdogan. Die „Lynchkampagne“gegen den Forscher sei eine Schande, kommentierte der Jurist und Abgeordnete Mustafa Yeneroglu von der Deva-Partei. Die TDU habe sich „selbst verleugnet“.