Rheinische Post - Xanten and Moers
Ein großes Wagnis
In Frankfurt am Main sollte Mitte Mai der 3. Ökumenische Kirchentag stattfinden. Die Pandemie verlegt das Christentreffen nun ins Internet. Dort soll auch ein Austausch möglich sein. Aber ziehen die Gläubigen da mit?
Die Diakonie Deutschland hat es ausprobiert: Kürzlich verlegte der große evangelische Sozialverband seinen traditionellen Jahresempfang ins Internet. Rund 150 Menschen sahen und hörten über die Online-Plattform Zoom ein Musikstück, eine Rede von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und eine Gesprächsrunde zwischen Heil und den Diakonie-Vorständen Maria Loheide und Jörg Kruttschnitt. Doch das, was einen Empfang eigentlich ausmacht, nämlich die informelle Kommunikation zwischen den Teilnehmern, erlebten sie nicht: Der Chat war ausgeschaltet, nicht einmal eine Möglichkeit für Zuschauerfragen gab es. Auch die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland tagte am vergangenen Wochenende online – technisch reibungslos, aber weitgehend ohne die geschätzten Pausenund Hintergrundgespräche.
Unter dem Leitwort „Schaut hin!“soll nun ab Donnerstag, ausgehend von Frankfurt am Main, der 3. Ökumenische Kirchentag stattfinden. Ein Event, das normalerweise eine Stadt verändern würde. Ohne Coronavirus würden rund 100.000 Menschen in die Bankenmetropole am Main reisen. An den Straßenecken würden Posaunenchöre spielen, Pfadfinder fröhlich singen, und in einer überfüllten Messehalle würde Margot Käßmann eine Bibelarbeit halten. All das wird es in Frankfurt nun nicht geben: In einer Pandemie wäre das einfach zu riskant. Doch einfach ausfallen soll der Kirchentag nun auch nicht: „Digital und dezentral“lautet das neue Schlagwort der Kirchentagsbewegung. Mit nur wenigen Ausnahmen wird der Ökumenische Kirchentag komplett ins Internet verlagert. Und während ein Kirchentag sonst von Mittwoch bis Sonntag geht, finden nahezu alle Veranstaltungen des diesjährigen, virtuellen Christentreffens – abgesehen von Eröffnungsund Schlussgottesdienst, einem christlich-jüdischen Gedenken sowie einem Festakt – am Freitag im Internet statt. In diesem Jahr kann man also von einem „Kirchentag“im Wortsinn reden.
An diesem Tag, von 8 Uhr bis 23.59 Uhr, stehen die Bibelarbeiten Käßmanns, des Mainzer Bischofs Peter Kohlgraf, des Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, Panti Filibus Musa, oder des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) im Internet zur Verfügung. Besonders spannend dürfte dabei der Austausch von Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) mit seinem Thüringer Nachbarn Bodo Ramelow (Linke) über einen Bibeltext werden. Auch die Hauptpodien werden zu großen Teilen im Vorfeld aufgezeichnet – etwa die Veranstaltung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Klimaschutz. Wer über diese Themen mitdiskutieren möchte – und das unterscheidet den Kirchentag vom Jahresempfang der Diakonie –, kann sich in einen virtuellen Workshopraum einwählen und mit anderen Nutzern austauschen.
Etwas anders verhält es sich mit den Gottesdiensten: Sie werden tatsächlich physisch in Frankfurt am Main gefeiert. In vier Gemeinden, einer katholischen, einer evangelischen, einer orthodoxen und einer freikirchlichen, finden am Samstagabend Gottesdienste statt, in denen das Abendmahl, die Eucharistie oder das orthodoxe Brotbrechen, die Artoklasie, gefeiert werden sollen. Diese Gottesdienste stehen seit Monaten im Zentrum der kirchlichen Debatte: Denn eine der zentralen Hoffnungen von Christen in ganz Deutschland, die mit dem Ökumenischen Kirchentag verbunden wurde, ist jene eines gemeinsamen Abendmahls von Protestanten und Katholiken. Und nach
Lassen sich die Menschen ernsthaft für einen Tag voller Videostreams
begeistern?