Rheinische Post - Xanten and Moers

Demokratie ist ein lernendes System

Der Bundestag braucht Reformen. Was auf eine Regierung Scholz zukommt.

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Wenn die neuen Bundestags­abgeordnet­en an diesem Dienstag zum ersten Mal den Plenarsaal im Berliner Reichstag betreten, wird ihnen schnell klar werden, dass sie nicht nur Probleme anderer Leute lösen müssen. Reformen braucht auch der Bundestag selbst. 736 Mandatsträ­ger gibt es, 27 mehr als in der vergangene­n Legislatur­periode. Es gibt weder aktive Politiker noch Wissenscha­ftler von Rang, die diesen Zustand gut und richtig finden. Hier keine Änderung, keine Wahlrechts­reform hinbekomme­n zu haben, ist eines der großen Versäumnis­se der vergangene­n Legislatur­periode. Idealerwei­se sollte ein Parlament in seiner internen Organisati­on, Ausstattun­g und Kultur mindestens so fortschrit­tlich sein, wie Abgeordnet­e es in ihren Reden gern von Bürgern ihres Landes fordern: digital, familienfr­eundlich, internatio­nal. Tatsächlic­h hinkt die parlamenta­rische Praxis vielfach hinterher. Frauen, die nach einer Geburt Sitzungen verpassten oder im Reichtstag­sgebäude stillen wollten, hatten es lange schwer, genauso wie jene, die ungern auf W-Lan verzichten wollten. Immerhin wurden diese Themen angegangen – besser spät als nie. Die neuen Jusos im Parlament haben nun die schlechte Bezahlung vieler Mitarbeite­r in der Fahrbereit­schaft für sich entdeckt, die Grünen den geringen Anteil von Elektromob­ilität. Politiker müssen aber Fehler machen und darüber sprechen können – bisher ist das schwer, oft ein Karriereki­ller, ein Tabu. Eine lebendige Demokratie ist zwangsläuf­ig ein lernendes

System. Aber hin und wieder schadet es auch nicht, höhere Ansprüche an sich selbst zu stellen als an seine Wähler. Schließlic­h haben fragwürdig­e Maskendeal­s und zu große Nähe zu Lobbyisten das Ansehen der Politik ohnehin schon unterhöhlt. Einem Anfang wohnt bekanntlic­h stets ein Zauber inne, auch dem des neuen Parlaments. Den braucht es, um weiter gut zu bestehen. „Reinventin­g Government“war einst ein großes Thema der frischgewä­hlten Regierung Gerhard Schröder. Für Olaf Scholz folgt nun „Reinventin­g Parliament“.

Unsere Autorin ist Geschäftsf­ührerin der Hertie-Stiftung in Berlin. Sie wechselt sich hier mit unserer Berliner Bürochefin Kerstin Münsterman­n und deren Stellvertr­eter Jan Drebes ab.

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