Rheinische Post - Xanten and Moers
Botschafter-Krise in der Türkei ist beigelegt
Im Streit zwischen der Türkei und dem Westen ist ein Ausweg gefunden – beide Seiten können behaupten, ihren Standpunkt durchgesetzt zu haben. Die Entourage von Präsident Erdogan bejubelt lautstark einen Triumph.
ISTANBUL Die zehn von Präsident Recep Tayyip Erdogan mit Rauswurf bedrohten westlichen Botschafter betonten am Montag in gleichlautenden Mitteilungen, sie mischten sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Türkei ein. Erdogan begrüßte die Klarstellung. Die Botschafter hätten damit vor „der Verleumdung unserer Justiz und unseres Landes kehrtgemacht“, sagte er nach einer Kabinettssitzung. Die Türkei verzichtet nun darauf, die Diplomaten zu unerwünschten Personen zu erklären, obwohl die Botschafter ihre von Erdogan kritisierte Forderung nach Freilassung des Bürgerrechtlers Osman Kavala nicht zurückgenommen haben.
Erdogan-Anhänger feierten das Ergebnis als Triumph der Türkei über den Westen. Nach Ansicht mancher Beobachter könnte Kavala aber im Rahmen des Kompromisses bald freigelassen werden. Erdogan hatte das Außenministerium angewiesen, die Botschafter von Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Kanada, Neuseeland, den Niederlanden, Norwegen, Schweden und den USA zu unerwünschten Personen zu erklären. Wenn das Ministerium dem gefolgt wäre, hätten die Diplomaten laut den internationalen Gepflogenheiten das Land verlassen müssen – das wäre die schwerste Krise zwischen der Türkei und dem Westen seit einem halben Jahrhundert gewesen.
Die Botschafter hatten den Zorn des Präsidenten auf sich gezogen, indem sie Kavalas Freilassung forderten. Erdogan warf den zehn Ländern vor, der türkischen Justiz Vorschriften machen zu wollen. Er betrachtet Kavala als Staatsfeind und weist den Ruf des Europäischen Menschenrechtsgerichts nach Freilassung des Bürgerrechtlers zurück. Im Europarat droht der Türkei deshalb der Rauswurf. Das türkische Außenamt bemühte sich hinter den Kulissen um eine Entschärfung der Krise. Als Ergebnis der Gespräche erklärten die zehn betroffenen westlichen Botschaften am Montag per Twitter, sie hielten sich weiter an Artikel 41 des Wiener Übereinkommens über Diplomatische Beziehungen von 1961. Nach dem Artikel müssen sich ausländische Diplomaten an die Gesetze ihres Gastlandes halten. Außerdem sind sie „verpflichtet, sich nicht in dessen innere Angelegenheiten einzumischen“.
Nach dem Kompromiss kann der Westen seine Haltung bestätigt sehen, dass die Forderung nach Umsetzung internationaler Gerichtsurteile wie im Fall Kavala keine Einmischung in innere Angelegenheiten darstellt. Mit ihrer Erklärung, die lediglich aus einem einzigen Satz bestand, nehmen die betroffenen Länder ihre Forderung nach Kavalas Haftentlassung nicht zurück. Mehrere Regierungen hatten am Wochenende erklärt, sie blieben bei ihrer Position. Erdogan-Berater Ilnur Çevik hatte verlangt, der Appell zugunsten von Kavala müsse zurückgenommen werden.
Gleichzeitig kann die türkische Regierung jedoch vor den eigenen
Wählern von einem Erfolg über den Westen sprechen, weil die westlichen Botschafter sich zur Einhaltung des Wiener Übereinkommens bekannt haben. Ein einziger Satz von Erdogan habe gereicht, um zehn Länder in die Knie zu zwingen, kommentierte der regierungsnahe Journalist Ibrahim Karagül. Die regierungstreue Zeitung „Sabah“jubelte in ihrer Online-Ausgabe, ein westlicher Staat nach dem anderen mache einen „Rückzieher“. Nach Informationen des Türkei-Experten Soner Çagaptay von der US-Denkfabrik Washington Institute wird Erdogan die Botschafter ab sofort nicht mehr in seinem Palast in Ankara empfangen. Der Menschenrechtsanwalt Orhan Kemal Cengiz schrieb auf Twitter, er wäre nicht überrascht, wenn Kavala nach dem Kompromiss bald freigelassen werde.