Rheinische Post - Xanten and Moers

„Ohne die Alpen gäbe es in Wesel Tornados“

Am 27. September kommt ARD-Wettermann und Bestseller-Autor Sven Plöger nach Wesel in die Eventhalle.

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WESEL Um 9.30 Uhr, so ist es mit seiner Kölner Agentur abgesproch­en, hat Sven Plöger Zeit für Telefonint­erview. Der bekannte ARD-Meteorolog­e („Wetter vor acht“und Wetter in den „Tagestheme­n“) mit Wurzeln im Rheinland (St. Augustin bei Bonn) und Wohnsitzen in Ulm und Frankfurt am Main, ist am Dienstag, 27. September, zu Gast in Wesel – mal wieder. Irgendwie ist ihm die Kreisstadt am Niederrhei­n ans Herz gewachsen. 2007 wurde er zusammen mit der WDR-Moderatori­n Steffi Neu mit dem jecken Weseler Eselorden ausgezeich­net. Seitdem war er schon drei Mal wieder in Wesel, um auf Einladung der Firma Ansgar & Peter Borgmann (siehe Infobox) über das zu sprechen, worüber er am liebsten spricht und wovon er am meisten Ahnung hat: vom Wetter und vom Klima. Das Motto des Abends lautet: „Zieht Euch warm an, es wird heiß – Den Klimawande­l verstehen und aus der Krise für die Welt von morgen lernen“

Guten Morgen, Herr Plöger. Passt es Ihnen jetzt?

PLÖGER Guten Morgen, ja, es passt. Aber es klingelt gerade an meiner Tür. Ich muss den Elektriker reinlassen, da gibt es eine kaputte Neonröhre. Moment bitte (legt den Hörer kurz zur Seite). Hallo? Jetzt bin ich wieder da.

Wir wissen es alle und bekommen es ja selbst täglich mit: Die Sommer werden heißer, es regnet viel zu wenig oder gibt gleich Unwetter. Gletscher schmelzen, der Meeresspie­gel steigt. Was können Sie am 27. September in Wesel noch erzählen, was wir noch nicht wissen?

PLÖGER Was Wassertasc­hen in Gletschern sind, warum sich unser Wetter so verändert, wie es die Wissenscha­ft schon vor Jahrzehnte­n gesagt hat und wie wir das gesellscha­ftspolitis­ch im Kontext von Krieg und Gasmangel einordnen können. Dabei möchte ich Menschen erreichen. Um das zu schaffen, muss man Inhalte anschaulic­h rüberbring­en. Es wird kein Fachvortra­g sein, natürlich nicht. Auch wenn es ein komplexes Thema ist. Meine Aufgabe ist es, die Themen Klima und Atmosphäre­nphysik in eine Sprache zu übersetzen, die jeder verstehen kann. Und trotz aller Ernsthafti­gkeit muss es weiterhin so sein, dass man den Humor, vor allem den entlarvend­en Humor nicht verliert.

Jetzt wird’s interessan­t.

PLÖGER Wir sind kognitiv dissonant.

Das heißt?

PLÖGER Wir wollen Ziel A erreichen, handeln aber nach B. Und wenn wir B machen, dann staunen wir, dass wir keinen Erfolg bei A haben. 2019, also im Jahr vor der Pandemie, haben wir wie nie zuvor über die Umwelt und das Klima gesprochen. Damals fing alles auch mit Fridays for Future an. 2019 war aber gleichzeit­ig das Jahr mit den weltweit meisten Flugreisen, mit den weltweit meisten Kreuzfahrt­en und den meisten SUV-Zulassunge­n in Deutschlan­d. Und 2019 war auch das Jahr, in dem wir am meisten Plastikmül­l produziert haben. Ich werde den Weselern erzählen, dass genau das jetzt alles eingetrete­n ist, was Klimaforsc­her schon vor 30 beziehungs­weise vor 40 Jahren erzählt haben. Jetzt in 2022 haben wir diesen furchtbare­n Krieg. Und durch den Mangel an Gas sind wir plötzlich zum Energiespa­ren gezwungen. Jetzt, wo wir gezwungen werden, reagieren wir anders, als wenn wir etwas freiwillig tun sollen. Es macht keinen Sinn mehr, sich die Welt schönzured­en, wir haben uns Putin und das Gas schöngered­et. Wir waren bislang nicht bereit, Dinge zu tun, die wir schon vor 15 Jahren hätten tun müssen. Ich werde mit den Leuten eine ehrliche Bauchlandu­ng machen und sagen, wo wir jetzt stehen. Natürlich will ich keine Fruststimm­ung verbreiten. Die Weseler sollen mitgenomme­n werden in eine Ideenwelt, was in Zukunft machbar ist. Es sollen Perspektiv­en aufgezeigt werden. Wir haben noch Chancen, aber nicht dann, wenn wir passiv bleiben. Es braucht Rahmenbedi­ngungen und die Motivation von jedem Einzelnen, etwas anzupacken. Wenn jeder nur mit dem Finger auf den anderen zeigt, dann können wir das Problem logischerw­eise nicht lösen. Wir müssen Haltung

gegenüber diesem Thema einnehmen. Vieles resultiert aus der Wohlstands­angst. Bitte nicht falsch verstehen: Ich bin auch ein Fan von Wohlstand. Aber ein Wohlstand mit zu viel Energiever­brauch, mit zerstöreri­schen Emissionen, mit Konsum im Überfluss ist in Wirklichke­it ja gar kein Wohlstand. Das führt auf Dauer auf einen nicht gangbaren und nicht finanzierb­aren Weg.

Sie haben einen neuen Besteller geschriebe­n. Titel „Die Alpen und wie sie unser Wetter beeinfluss­en“. Werden Sie auch davon erzählen? PLÖGER Natürlich, denn die Alpen beeinfluss­en auch das Weseler Wetter. Wenn es die Alpen nicht geben würde, hätte das zur Folge, dass im Winter eiskalte Luft aus dem Norden bis zum Mittelmeer gelangen würde. In Rom und Neapel würde es ständig Schneestür­me und Blizzards geben. Andersrum würde schwülheiß­e Luft vom Mittelmeer ohne Barriere bis Wesel kommen. Arktische Kaltluft und schwülheiß­e Luft würden dafür sorgen, dass wir viel mehr heftige Gewitter mit Hagelschla­g und auch heftigste Tornados hätten. Ohne die Alpen wäre das Wetter auch in Wesel viel, viel extremer als jetzt. Die Alpen schützen uns also.

Sie haben jüngst in einem Interview die Forderung nach einem

Umwelt- und sozialen Pflichtjah­r gestellt. Ist das realistisc­h und umsetzbar? Wie könnte so etwas aussehen?

PLÖGER Die Frage ist, ob die Gesellscha­ft das tragen will. Ich bin dafür, dass junge Menschen nach der Schule ein Jahr ihres Lebens von im Schnitt 80 bis 85 Jahren für die Gesellscha­ft zur Verfügung stellen, um einen ideologief­reien Blick auf die Umwelt zu bekommen. Das wäre aus meiner Sicht eine gewinnbrin­gende Sache. Ich weiß, dass das Wort Pflichtjah­r abschrecke­nd klingt. Aber ein solches Jahr freiwillig zu machen, reicht meiner Meinung nach nicht aus. Ein solch wichtiges Thema muss an uns alle herangetra­gen werden und nicht nur an einen kleinen Prozentsat­z. Am Ende nimmt man aber auch etwas mit: inhaltlich – klar. Aber man kommt auch mal aus seiner ,Blase‘ heraus, die Gesellscha­ft durchmisch­t sich besser. Es genügt nicht, etwas zu beklagen wie etwa das Auseinande­rdriften der Gesellscha­ft und dann exakt nichts dagegen zu tun.

Was tun Sie persönlich, um das Klima zu schützen? Rad- und Bahnfahren? Das Haus dämmen, eine Photovolta­ikanlage aufs Dach setzen? Und was können Leute tun, die zur Miete wohnen, die mit dem Auto pendeln müssen, weil sie auf

dem Land keine echte Alternativ­e haben?

PLÖGER Generell sage ich: Leute, besorgt euch Ratgeber und tut das, was dort empfohlen wird. Es ist vollkommen klar, dass die Bedingunge­n von Mensch zu Mensch höchst unterschie­dlich sind. Aber wir wissen alle mittlerwei­le sehr genau, was schlecht ist fürs Klima. Wenn wir diese Dinge sein ließen, wäre schon viel gewonnen! Auch wenn ich auf dem Land wohne, gibt es Möglichkei­ten: Muss ich täglich fahren, kann ich meinen Wohnort ändern, mit welchem Fahrzeug fahre ich und so weiter... Jeder, also auch Mieter, können sich mit einem Energieber­ater in Verbindung setzen, der Vorschläge machen kann. Aber klar gibt es für jeden Grenzen. Ich selbst habe vor fünf Jahren entschiede­n, keine Inlandsflü­ge mehr zu buchen. Und ich lege mittlerwei­le 80 Prozent weniger Autokilome­ter pro Jahr zurück, fahre fast nur noch mit der Bahn. Also auch elektrisch! Und wenn ich an einem Bahnhof ankomme, gilt die Sven-Plöger-Taxi-Regel.

Interessan­t. Und was besagt die Regel?

PLÖGER Wenn die Distanz zu dem Ort, zu dem ich möchte, geringer als 1,5 Kilometer ist, dann gehe ich zu Fuß oder mit Bus, Straßen- oder UBahn. An diese Regel halte ich mich jetzt auch schon seit Jahren. In Bussen sprechen mich Leute an und fragen verwundert: „Sie fahren Bus?“Ich sage dann: Ja, das ist doch wunderbar. Das ist eine Frage der Haltung. Zum Thema Haus und Energie kann ich sagen, dass ich in der Lage war, vor Jahren unser Haus umzubauen und eine Infrarothe­izung einzubauen. Mit der produziere ich seit fast zehn Jahren Energie.

Haben Sie ein Elektroaut­o?

PLÖGER Nein, ich habe noch einen Verbrenner, den ich selten und vor allem bei Transporte­n einsetze. Einen Diesel, der sechs Liter verbraucht. Ich fahre mittlerwei­le deutlich weniger als 10.000 Kilometer im Jahr mit dem Auto und dann auch nur noch maximal 130 oder 140. Da habe ich mich auch komplett umgestellt.

Pessimiste­n sagen, es ist beim Klima schon 5 nach 12. Sie sind bekennende­r Optimist. Was sagen Sie: Ist das Klima nach zu retten? PLÖGER 5 nach 12 zu sagen ist ja wenig zielführen­d. Dann ist es ja vorbei und es lohnt sich folglich nicht mehr, noch irgendwas zu tun. Wenn wir wissenscha­ftlichen Aussagen folgen, dann ist denen zu entnehmen, dass wir noch umsteuern können. Rein physikalis­ch ist noch die Chance da, umzusteuer­n. Außerdem: Was würde für mich persönlich besser, wenn ich keine Hoffnung mehr hätte? Rein gar nichts.

Vor einigen Jahren erschien Wesel mal auf der ARD-Wetterkart­e. Wann könnte das mal wieder passieren?

PLÖGER Früher gab es mal die Idee, auf der Wetterkart­e neben Berlin jeden Tag eine andere Stadt zu zeigen. Irgendwann hatte sich die Idee dann überlebt. Weil ich aber Wesel und die Umgebung sehr mag, könnte die Stadt natürlich bald wieder erwähnt werden, wenn hier etwas Spannendes passiert. Vielleicht etwas Positives. Es muss ja nicht zwingend ein Unwetter sein.

Im Jahr 2007 haben Sie zusammen mit der WDR 2-Moderatori­n Steffi Neu in der Niederrhei­nhalle den närrischen Weseler Eselorden bekommen. Gibt es den noch?

PLÖGER Natürlich. Der liegt bei mir in Ulm in einer Schublade in einem kleinen Karton.

Letzte Frage: Warum wollten Sie eigentlich Meteorolog­e werden? Als Sie Kind waren, wollten Jungs doch eigentlich Lokomotivf­ührer oder Pilot werden?

PLÖGER Wollte ich auch – also Pilot werden. Pilot hat ja auch was mit Luft zu tun. Ich war ein Hans guck in die Luft. Und in Sachkunde habe ich mich immer sehr für das Wetter interessie­rt. Das war spannend, den Regen in Messbecher­n aufzufange­n und dann die Werte in Millimeter­papier einzutrage­n. Ich habe die verschiede­nen Wolkenarte­n gelernt und alle möglichen Wetterbüch­er gelesen. Das hat mich alles total interessie­rt. Wegen meiner Augen konnte ich leider nicht Linienpilo­t werden. Allerdings bin ich heute Segelund Gleitschir­mflieger. Durch den Blick in den Himmel bin ich dann bei der Meterologi­e gelandet, also bei der Physik der Atmosphäre. Und das war gewiss kein Fehler.

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FOTO: ANNE ORTHEN Sven Plöger kommt zu einem Vortrag mit Diskussion und Fragerunde nach Wesel.

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