Rheinische Post - Xanten and Moers
Kaum ein Unternehmen sucht im Ausland
Inzwischen melden 73 Prozent der deutschen Firmen Personalmangel. Aber noch immer geht der Blick oft nur ins Inland.
BERLIN Der Fachkräftemangel in Deutschland verschärft sich weiter. Derzeit berichten 73 Prozent der Unternehmen von Personalengpässen. 2021 waren es noch 66 Prozent, die beklagten, dass Mitarbeiter fehlen. 2020 war es gerade einmal gut die Hälfte gewesen (55 Prozent). Das geht aus einer repräsentativen Civey-Befragung im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hervor. „Der Personalmangel tritt mittlerweile in fast allen Berufen, Branchen und Regionen auf. Unsere Wirtschaft verliert dadurch zunehmend an Dynamik“, sagte Susanne Schultz, Expertin für Migrationspolitik bei der Stiftung.
Besonders hoch ist demnach der Bedarf an Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung: 58 Prozent der befragten Unternehmen beklagen hier Engpässe. Akademiker fehlen bei rund 30 Prozent der Firmen. Zudem zeigt sich in der Studie, dass große Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten häufiger von einem Fachkräftemangel betroffen sind. Am stärksten fehlen Beschäftigte mit Berufsausbildung in Sachsen, Bayern, Rheinland-Pfalz und generell in den ländlichen Regionen. Der größte Bedarf an Akademikern besteht in städtischen Ballungsräumen.
Während fast drei Viertel der Betriebe einen Personalmangel beklagen, geben jedoch nur 17 Prozent der Unternehmen an, im Ausland nach neuen Mitarbeitern zu suchen. „Angesichts dieser kritischen Situation ist es umso überraschender, dass die Rekrutierung von Fachkräften
aus Nicht-EU-Ländern für die meisten Unternehmen noch immer kein Thema ist“, so Schultz. Stattdessen würden Betriebe vor allem auf Aus- und Weiterbildungsangebote und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzen. Gleichzeitig gehe jedoch nur rund jedes fünfte befragte Unternehmen davon aus, dass in Deutschland genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen.
Die Bertelsmann-Stiftung schließt daraus, dass die Hindernisse für die Rekrutierung von Fachkräften im Ausland nach wie vor zu hoch sind. So beklagten Unternehmen nach wie vor etwa Sprachbarrieren, rechtliche und bürokratische Hürden sowie Schwierigkeiten bei der Anerkennung ihrer Qualifikationen.
2021 kamen knapp 25.000 Fachkräfte
aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland. Vor der Pandemie waren es noch fast 40.000 Menschen. Auch die Zuwanderung aus EUStaaten hat laut dem Fachkräftemonitor abgenommen. „Die niedrigen Geburtenraten der Vergangenheit holen uns jetzt ein. Mit dem Renteneintritt der Generation der ‚Babyboomer‘ wird das Problem nun noch größer. Ohne Zuwanderung kann Deutschland den Wohlstand nicht sichern“, betonte Schultz.
Nach Ansicht der BertelsmannStiftung verbessert das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das im Frühjahr 2020 in Kraft getreten ist, die rechtlichen Möglichkeiten für Zuwanderung. Es seien jedoch noch Weiterentwicklungen nötig. Dazu zählten etwa Angebote zur Sprachförderung, Integrationshilfen vor
Ort und eine engere Vernetzung von Unternehmen, Behörden und Zivilgesellschaft. Außerdem brauche es eine Willkommens- und Anerkennungskultur, Maßnahmen gegen Diskriminierung und bessere Bleibeperspektiven.
Die Bundesregierung bereitet derzeit eine Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes sowie des Staatsbürgerschaftsrechts vor. Drittstaatler sollen etwa über ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild einfacher nach Deutschland kommen können. Dazu wurden unlängst Eckpunkte vorgelegt, die im Frühjahr in einen Gesetzentwurf münden. Zudem sollen in Deutschland seit Jahren geduldete Menschen leichter eingebürgert werden können. Das Vorhaben ist politisch umstritten.