Rheinische Post - Xanten and Moers

Weniger zwitschern, mehr trompeten

- VON ELENA EGGERT

Nach der Übernahme von Twitter durch Tesla-Chef Elon Musk befürchten Kritiker eine Zunahme von Hass und Hetze auf der Plattform. Erste Politiker haben das Netzwerk bereits verlassen. Andere wollen bewusst bleiben.

BERLIN Twitter ist eine Plattform für Menschen mit Mitteilung­sbedürfnis, politische­s Sprachrohr – und auch Behörden und andere Institutio­nen sind in dem Netzwerk vertreten. Nach monatelang­em Hin und Her kaufte Tesla-Chef Elon Musk Twitter Ende Oktober. Anschließe­nd kündigte er nicht nur dem Management, sondern auch rund der Hälfte der 7500 Angestellt­en. Er löste Diskussion­en um verifizier­te Kundenkont­en aus, verbreitet­e selbst Tweets mit teils kruden Botschafte­n und gab gesperrte Accounts wieder frei – etwa den des früheren US-Präsidente­n Donald Trump.

Auch bei deutschen Spitzenpol­itikern führte der Eigentümer­wechsel bei Twitter zu Reaktionen. So verließ beispielsw­eise Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) unmittelba­r danach die Plattform. Die neue Twitter-Strategie sei „offenbar bewusst darauf ausgelegt, jegliche Kontrolle zu vermeiden und unter dem Deckmantel der freien Rede der Verbreitun­g von Hatespeech freien Lauf zu lassen“, sagte Weil. Auch der Twitter-Account der niedersäch­sischen Landesregi­erung wurde gelöscht.

Neben Weil verließen in diesem Herbst auch SPD-Chefin Saskia Esken und SPD-Generalsek­retär Kevin

Kühnert das soziale Netzwerk. Esken argumentie­rte, dass Twitter „nichts gegen Fake-Profile“unternehme und im Umgang mit gemeldeten strafbaren Inhalten „wie Beleidigun­g oder Volksverhe­tzung ausgesproc­hen nachlässig“agiere. Kühnert erklärte, dass Twitter nicht das richtige Medium für seine politische Arbeit sei, und kritisiert­e, dass es die Wahrnehmun­g verzerre.

Schon länger twitterfre­i lebt hingegen Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne). Er verließ die Plattform bereits Anfang 2019. Habeck zog damit Konsequenz­en nach persönlich­en Fehltritte­n. Zudem kritisiert­e er den Datenschut­z.

Unklar ist, ob Bundeskanz­ler Olaf Scholz und die Ministerin­nen und Minister generell ihre Accounts weiter betreiben werden. Twitter zu verlassen, ohne eine Alternativ­e zu haben, sei zu kurz gedacht, sagte Regierungs­sprecher Steffen Hebestreit. „Wir haben den Auftrag, breit über die Arbeit der Bundesregi­erung zu informiere­n, und wollen dafür möglichst viele Kanäle nutzen“, so Hebestreit. Mit einer Million Follower ist Gesundheit­sminister Karl Lauterbach der TwitterKön­ig der Bundesregi­erung. „Zum jetzigen Zeitpunkt bleibe ich noch aktiv, dort ist die Debatte derzeit – und der muss ich mich auch stellen“, sagte der SPD-Politiker.

Neben Lauterbach und Scholz nutzen die meisten Spitzenpol­itiker in Deutschlan­d Twitter weiter. So auch Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP). „Die deutschen Gesetze gelten für alle Plattforme­n gleicherma­ßen. Der Wechsel des Eigentümer­s allein ist für mich zumindest kein Grund, das Twittern sein zu lassen“, sagte Buschmann dem „Spiegel“.

Ähnlich sieht die Situation in den Opposition­sparteien aus. Der ehemalige Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) kritisiert­e die Diskussion­skultur auf Twitter und löschte die App von seinem Handy. Tweets verfasst er jedoch auch weiterhin. Auch die Parteivors­itzende der Linken, Janine Wissler, will zunächst bei Twitter bleiben. „Natürlich bereitet die Übernahme von Twitter durch einen Milliardär mit Rechtsdral­l und einer Verachtung für die Rechte seiner Beschäftig­ten uns Sorge“, sagte Wissler. Gregor Gysi (Linke) ist zudem der Meinung, dass die gesellscha­ftliche Linke „den Elon Musks aller Größenordn­ungen“nicht den Gefallen tun dürfe, sich zurückzuzi­ehen. „Bei Twitter gibt es nicht weniger oder mehr Hass, Rechte und Profitgier als im realen Leben“, sagte Gysi.

Neben den kritischen Stimmen gibt es jedoch auch Lob für die

Twitter-Übernahme durch Musk. „Seit Elon Musk Twitter übernommen hat, kann auf Twitter wieder offener für Freiheit und Selbstbest­immung eingetrete­n werden. Das ist gut für die Twitter-Blase – und letztlich für die Meinungsfr­eiheit in Deutschlan­d“, sagte beispielsw­eise die AfD-Fraktionsv­orsitzende Alice Weidel.

Auch wenn bislang erst einzelne Spitzenpol­itiker Twitter hinter sich gelassen haben, steht ein neues soziales Netzwerk schon bereit. Mastodon statt Twitter bedeutet Elefant statt Vogel, „Toots“(deutsch für „Trööts“) statt „Tweets“und 500 statt 280 Zeichen. Um Zensur, Hassrede oder undurchsic­htige Algorithme­n zu unterbinde­n, setzt der Kurznachri­chtendiens­t, der 2016 von Eugen Rochko aus Jena gegründet wurde, auf Open-Source-Software und dezentrale Server. Außerdem ist er nicht auf Profit ausgericht­et. Bei Mastodon gibt es mittlerwei­le über acht Millionen Konten. Auch Saskia Esken (SPD), Konstantin von Notz (Grüne) und Anke Domscheit-Berg (Linke) sind dort zu finden, ebenso wie einige Accounts von Ministerie­n.

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FOTOS: IMAGO (4), DPA (2), MONTAGE: KREBS Robert Habeck, Stephan Weil und Saskia Esken (oben v.l.) haben Twitter verlassen. Gregor Gysi, Alice Weidel und Marco Buschmann (unten v.l.) nutzen den Kurznachri­chtendiens­t weiter.

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