Rheinische Post - Xanten and Moers

Netanjahus Extrembünd­nis

- VON SARA LEMEL

Seit 2019 mussten die Israelis bereits fünf Mal an die Wahlurnen. Im letzten Anlauf gelang dem dienstälte­sten Ex-Ministerpr­äsidenten des Landes ein klarer Sieg. Er steht jetzt an der Spitze einer radikalen Koalition.

TEL AVIV (dpa) Erschöpfun­g und Erleichter­ung stehen dem neuen, aber altbekannt­en israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu gleicherma­ßen ins Gesicht geschriebe­n. Nur wenige Minuten vor Mitternach­t informiert der 73-Jährige den Präsidente­n Izchak Herzog in der Nacht zum Donnerstag, dass er eine Koalition schmieden konnte. Diese werde sich „um alle Bürger Israels kümmern“, sagt er – wohl mit Blick auf Sorgen vor einer weiteren Spaltung des Landes.

Neben Netanjahus rechtskons­ervativer Likud-Partei sollen künftig das Religiös-Zionistisc­he Bündnis, dem auch rechtsextr­eme Kräfte angehören, sowie zwei strengreli­giöse Parteien die Geschicke Israels – und auch die der Palästinen­ser – bestimmen. „Dies ist die am weitesten rechts stehende und religiöses­te Regierung, die Israel je hatte“, sagt der Juraprofes­sor Eli Salzberger vom Minerva-Zentrum an der Universitä­t Haifa zu den Plänen.

Netanjahus Extrembünd­nis will tiefgreife­nde Reformen durchsetze­n, darunter auch eine gezielte Schwächung des Justizsyst­ems. Salzberger spricht von einer bevorstehe­nden Revolution. Er sieht die von der neuen Regierung angestrebt­en Reformen als „Bedrohung für die Rechtsstaa­tlichkeit und Demokratie in Israel“. Die angestrebt­en Änderungen betreffen etwa die Ernennung von Richtern. Die Zusammense­tzung des zuständige­n Gremiums soll so verändert werden, dass Politiker künftig eine Mehrheit bilden. Außerdem soll das Rentenalte­r von Richtern von 70 auf 65 Jahre gesenkt werden. Ziel sei es, „die liberalen Richter loszuwerde­n“, sagt Salzberger.

Für Unruhe sorgt auch die Absicht der Regierung, eine sogenannte Überwindun­gsklausel durchzuset­zen. Eine Mehrheit im Parlament könnte so ein Gesetz verabschie­den, auch wenn es nach Ansicht des Höchsten Gerichts gegen das Grundgeset­z verstößt. Zudem soll ein Gesetz so angepasst werden, dass der Chef der strengreli­giösen Schas-Partei, Arie Deri, trotz Verurteilu­ng wegen Steuerverg­ehen Innenminis­ter werden kann.

Mit Blick auf die Sorgen auch im Ausland über den Rechtsruck in Israel

betont Netanjahu, er sei es, der den Kurs der Regierung vorgeben werde. Der gewiefte Politiker hat in der Vergangenh­eit oft Pragmatism­us bewiesen, wenn es darum ging, Krisen zu bewältigen. Kein Regierungs­chef war bisher länger im Amt als Netanjahu. Mit dem klaren Sieg seines Lagers bei der Wahl am 1. November endete zumindest vorerst eine politische Dauerkrise, die Israel seit 2019 schon fünf Parlaments­wahlen beschert hat.

Einige Ministerpo­sten sollen mit umstritten­en Politikern besetzt werden. Der in der Vergangenh­eit wegen Unterstütz­ung einer terroristi­schen Organisati­on verurteilt­e Itamar Ben-Gvir wird Minister für Nationale Sicherheit. Er soll mehr Einfluss auf die Polizei erhalten und für die im Westjordan­land aktive Grenzpoliz­ei zuständig sein. Netanjahu betonte in einem US-Rundfunkin­terview, Ben-Gvirs Positionen seien inzwischen gemäßigter, und mit der Macht komme auch Verantwort­ung.

Ben-Gvirs Bündnispar­tner Bezalel Smotrich soll Finanzmini­ster werden und darüber hinaus für die Zivilverwa­ltung in den besetzten Palästinen­sergebiete­n zuständig sein. Dies will er unter anderem zur Legalisier­ung „wilder“, auch von Israel nicht anerkannte­r Siedlungen im Westjordan­land nutzen. Mit den neuen Befugnisse­n würden BenGvir und Smotrich „de facto Herrscher mit direkter Kontrolle über die besetzten Gebiete“werden, erklärt Juraprofes­sor Alexandre Kedar von der Universitä­t Haifa.

Israels Höchstes Gericht habe bisher einige der systembedi­ngten Nachteile der Palästinen­ser ausgleiche­n können, obwohl es auch zur Legalisier­ung der Besatzung gedient habe, erklärt Kedar. Nach einer Entmachtun­g des Höchsten Gerichts werde dieses „nicht mehr in der Lage sein, sich in Vorgänge in den besetzten Gebieten einzumisch­en“.

„Wir werden eine Gruppe haben, israelisch­e Siedler, die bei der Parlaments­wahl abstimmen können, und eine zweite Gruppe, die Einwohner ohne Rechte sind“, warnt der Rechtswiss­enschaftle­r. Es werde für Europa und die USA künftig „immer schwerer werden, dies zu ignorieren“.

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FOTO: DPA Benjamin Netanjahu mit seiner Frau Sara.

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