Rheinische Post - Xanten and Moers
Hoffnungsträger im Aufwind
Istanbuls Bürgermeister Imamoglu will Erdogan als Präsident der Türkei ablösen.
ISTANBUL „Alles wird gut“– mit diesem Slogan katapultierte sich Ekrem Imamoglu vor drei Jahren auf die politische Bühne der Türkei. Als weitgehend unbekannter Bürgermeister eines Istanbuler Vorortes trat er bei der Kommunalwahl 2019 in der türkischen Metropole als Kandidat der Opposition gegen einen Vertrauten von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan an und gewann. Erdogans Regierung ließ die Wahl stornieren, doch bei der Wiederholung demütigte Imamoglu seine Gegner, indem er mit einem Vorsprung von fast einer Million Stimmen noch einmal siegte. Seitdem gilt Imamoglu als Anwärter auf das Präsidentenamt.
Imamoglu – sein Name bedeutet „Sohn des Imams“– ist Mitglied der säkularistischen Partei CHP, spricht aber auch islamisch-konservative Wähler an. Während Erdogan spaltet, tritt Imamoglu als Versöhner auf. Mit seinen 52 Jahren gehört der Familienvater einer jungen PolitikerGeneration an, die sich anschickt, den 68-jährigen Erdogan abzulösen. Imamoglu stammt aus der konservativen nordosttürkischen Stadt
Trabzon und arbeitete zunächst im Bauunternehmen seiner Familie. Wie Erdogan ist er Hobby-Fußballer – und wie Erdogan begann er seine politische Karriere als Lokalpolitiker in Istanbul: Vor acht Jahren wurde er für die CHP zum Bürgermeister von Beylikdüzü gewählt, einem Vorort am westlichen Stadtrand der 16-Millionen-Metropole.
Als er 2019 sein Amt als Istanbuler Oberbürgermeister antrat, beendete Imamoglu eine 25-jährige Ära, in der die größte Stadt der Türkei von Islamisten regiert wurde, angefangen mit Erdogan selbst. Dessen Regierung beschnitt systematisch die Kompetenzen der Istanbuler Stadtverwaltung, um Imamoglu zu lähmen. Nachdem er bei Überschwemmungen nicht zur Stelle war, mutmaßte die regierungsnahe Presse, er mache lieber Urlaub als seine Arbeit. Imamoglu verärgerte Oppositionswähler, indem er regierungsnahe Journalisten auf eine Reise mitnahm und ihnen einen luxuriösen Bus zur Verfügung stellte. Zudem möchte CHP-Chef Kemal Kiliçdaroglu selbst Präsident werden und will Imamoglus Kandidatur verhindern. Dessen Aussichten auf das höchste Staatsamt schwanden deshalb, doch jetzt ist er wieder obenauf. Dass ihn ein Gericht zu zweieinhalb Jahren Haft und einem Politikverbot verurteilte, weil er die Mitglieder der Wahlkommission 2019 als Dummköpfe beschimpfte, wird sogar von vielen Erdogan-Anhängern als politischer Winkelzug gesehen und hat ihm einen Popularitätsschub verschafft.
Auch innerhalb des Oppositionslagers ist Imamoglu wieder im Aufwind. Die einflussreiche konservative CHPPolitikerin Meral Aksener unterstützt ihn öffentlich. Drei Jahre nach seinem Überraschungserfolg am Bosporus könnte der „Sohn des Imams“jetzt zu einem neuen Karrieresprung ansetzen.