Rheinische Post - Xanten and Moers
Der Kampf der Lieferdienste
Die Anbieter befinden sich in einem harten Verdrängungswettbewerb. Fast alle machen Verluste. Experten sehen nur einen Ausweg.
DÜSSELDORF Die Corona-Pandemie hat dem Trend, sich Essen oder Lebensmittel nach Hause bringen zu lassen, gewaltig Auftrieb gegeben. Über Monate waren Gastronomen und Kunden auf Lieferungen angewiesen. Und viele Kunden haben sich offenbar an den Komfort eines solchen Services gewöhnt: Rund 20 Millionen Menschen bestellen in Deutschland laut der Verbrauchsanalyse Vuma jeden Monat ein- oder mehrmals Essen nach Hause.
Ein lukrativer Markt also – sollte man meinen. Doch so einfach ist es offenbar nicht. Die Lieferando-Mutter Just Eat Takeaway machte nach eigenen Angaben im ersten Halbjahr 2022 rund 3,5 Milliarden Euro Verlust. Nach außen hin gibt sich der
Konzern gelassen: „Nach einer Phase des ausnahmslosen Wachstums“, erklärte Firmenchef Jitse Groen, sei das Unternehmen „mittlerweile doppelt so groß wie noch vor der Pandemie“. Mit Blick auf die jüngsten Zahlen fügte er hinzu: „Während dieses Wachstum beachtliche Investitionen erforderte, konzentrieren wir uns weiterhin auf die Umsetzung unserer Strategie, um hochprofitable Essenslieferdienste aufzubauen und zu betreiben.“
Doch auch die Konkurrenz hat derzeit zu kämpfen: Wettbewerber Delivery Hero rutschte mit 1,47 Milliarden Euro in die roten Zahlen, Gorillas machte Anfang des Jahres jeden Monat 50 Millionen Euro Verlust. Zuletzt wurde bekannt, dass das türkische Unternehmen Getir Gorillas übernommen hat. All das wirft
Schlaglichter auf einen knallharten Verdrängungswettbewerb, der fast ausnahmslos Verlierer kennt.
Das sieht auch Otto Strecker so. Er ist Vorstand der auf die Lebensmittelwirtschaft spezialisierten AFC Consulting Group und blickt mit Skepsis auf Lebensmittel-Lieferdienste wie Flink, Gorillas oder Getir: „Dieses Geschäftsmodell funktioniert schon seit mehr als 20 Jahren nicht“, sagt er. „Die Herausforderung besteht darin, dass diese Unternehmen eine ähnliche Infrastruktur aufbauen müssen wie konventionelle Supermärkte. Die Kühlkette muss aufrechterhalten werden. Zudem braucht es Lager und Fahrer. Und all das wird häufig mit dem Versprechen kombiniert, binnen zehn Minuten zu liefern. Die Kosten sind immens hoch“, so der Bonner Honorarprofessor
für Agrarökonomie. Das Geschäftsmodell könne daher kaum tragfähig sein: Der Kunde zahle etwa bei Gorillas nur 1,80 Euro für die Lieferung, gleichwohl bekomme der Fahrer den Mindestlohn, erklärt Strecker. Er geht daher davon aus, „dass es langfristig die großen Ketten wie Edeka und Rewe sein werden, die auch den Markt der Lebensmittel-Lieferdienste beherrschen“.
Erik Maier, Professor für Marketing und Handel an der Handelshochschule in Leipzig, teilt die Skepsis zu den Aussichten: „Das Wachstum verschlingt viele Ressourcen. Es muss ständig Geld für Werbung ausgegeben werden, damit die Kunden nicht bei der Konkurrenz bestellen. Obwohl der Markt wächst und immer mehr Menschen Essen bestellen, wirft dieses Geschäft erst Geld ab, wenn es keinen oder wenig Wettbewerb mehr gibt.“In den vergangenen Jahren habe bereits viel Konsolidierung auf dem Markt stattgefunden. „Und ich gehe davon aus, dass sich dieser Trend fortschreiben wird“, so Maier.
Derzeit schaut es so aus, als würde Lieferando zum Platzhirsch avancieren. Die zwei größten Konkurrenten des vergangenen Jahrzehnts sind vom Markt verschwunden: Pizza.de wurde von Lieferando geschluckt, Delivery Hero fokussiert sich auf Osteuropa. „In vielen Städten hat Lieferando ein Quasi-Monopol. In dieser Position ist es durchaus möglich, das Geschäft profitabel zu betreiben. Aber das dürfte langfristig nur gelingen, indem die Gebühren und die Kosten für Kunden steigen“, sagt Maier.