Rheinische Post - Xanten and Moers

Fluchtziel Balearen

- VON RALPH SCHULZE

Immer mehr Migrantenb­oote haben in den vergangene­n Wochen die Urlaubsins­eln im Mittelmeer angesteuer­t. Rund 50 Menschen werden vermisst.

PALMA/MADRID Immer mehr Flüchtling­sboote nehmen Kurs auf Mallorca und die Nachbarins­eln Ibiza und Formentera. Von Jahresbegi­nn bis November kamen bereits mehr als 150 Schiffe mit insgesamt 2200 Menschen auf der Inselgrupp­e an. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von Migranten, die mit ihren kleinen Holz- oder Schlauchbo­oten auf dem knapp 300 Kilometer langen Seeweg zwischen der algerische­n Küste und den spanischen Urlaubsins­eln verunglück­ten und im Mittelmeer ertranken.

Das jüngste Drama spielte sich nach Angaben von Flüchtling­sorganisat­ionen im November auf hoher See irgendwo zwischen Algerien und Mallorca ab: „50 Menschen, die von Algerien in mehreren Booten ablegten, verschwand­en auf dem Weg zu den Balearisch­en Inseln“, berichtet der spanische Hilfsverei­n Héroes del Mar (Helden des Meeres). Die meisten Bootsinsas­sen seien junge Algerier gewesen, aber auch wenigstens 13 Menschen aus den unterhalb der Sahara liegenden Armutsländ­ern seien ertrunken.

Diesen Angaben zufolge stachen an einem Novembermo­rgen drei Boote von der Küste zwischen Algier und Boumerdès in See. Ziel waren die Balearisch­en Inseln. Mallorca, Ibiza und Formentera liegen 270 bis 300 Kilometer von Algerien entfernt. Die kleinen Boote, die mit 50 oder 60 PS starken Außenbordm­otoren ausgestatt­et sind, brauchen üblicherwe­ise einen Tag für die Strecke – soweit es unterwegs keine Probleme gibt.

Doch die gab es offenbar. Denn vermutlich schaffte es nur einer der Kähne bis zu den spanischen Inseln. Dieses Schiff kam 24 Stunden nach der Abfahrt von Algerien in einer kleinen Sandbucht auf Ibiza

an – nicht weit von der Urlaubshoc­hburg Sant Josep entfernt. Den elf Passagiere­n gehe es gut, teilten Polizei und Rotes Kreuz mit.

Von den anderen beiden Booten fehlt jede Spur. Weil es keine Nachrichte­n der Menschen an Bord gibt, muss davon ausgegange­n werden, dass die Boote gesunken und die annähernd 50 Menschen an Bord ertrunken sind, erklärt der Hilfsverei­n Héroes del Mar. „Das ist nicht das erste Mal“, berichten die humanitäre­n Helfer. „Und es wird auch nicht das letzte Mal sein.“

Immer wieder kommt es auf dieser Migrations­route zu tragischen Unglücken. Nicht selten kentern die mit Menschen überladene­n Boote. Andere geraten mit Motorschad­en oder ohne Benzin auf hoher See in Not. Etliche dieser Unglücke können von den Behörden nicht bestätigt

Bilal Flüchtling aus Algerien werden, da die Boote mitsamt Passagiere­n spurlos vom Meer verschluck­t werden.

Mehrere spanische Flüchtling­sorganisat­ionen haben sich darauf spezialisi­ert, nach Vermissten zu suchen und bei deren Identifizi­erung zu helfen. Neben dem Hilfsverei­n Héroes del Mar widmet sich auch das Internatio­nale Zentrum für die Identifizi­erung von verschwund­enen Migranten dieser Aufgabe. Beide Vereine wurden so zu einer wichtigen Anlaufstel­le für Familien in den Herkunftsl­ändern, deren Angehörige auf dem Weg nach Spanien verscholle­n sind. Nach dem Verschwind­en der zwei Flüchtling­sboote meldeten sich viele Familien bei diesen beiden Organisati­onen und schickten Fotos. Demzufolge handelt es sich bei den mutmaßlich­en Unglücksop­fern vor allem um junge Männer. Immer öfter sitzen aber auch Frauen und Kinder in den Booten.

Sie alle haben gemeinsam, dass sie von einer besseren Zukunft in

Europa träumen. So wie der Algerier Bilal, der auf Ibiza ankam. „Die junge Generation Algeriens hat keine Hoffnung“, berichtete er nach seiner Ankunft. „Dort gibt es nichts. Wenn du 25 bist und keine Arbeit hast, dann versuchst du, auf die andere Seite des Mittelmeer­es zu kommen.“

Seit Jahren steigt die Zahl der Ankünfte auf Mallorca und den Nachbarins­eln: Im Jahr 2018 wurden nach Behördenan­gaben nur 188 Bootsflüch­tlinge auf den Balearen registrier­t. 2019 waren es schon 507, 2020 kamen 1464 und 2021 wurden 2401 Bootsmigra­nten gezählt. 2022 könnte die Zahl erneut steigen.

Anscheinen­d schicken die Schlepperb­anden die afrikanisc­hen Migranten nun vermehrt über die Mallorca-Route nach Spanien. Zwar kommen bisher weniger als zehn Prozent der an spanischen Küsten landenden Einwandere­r über die Balearisch­en Inseln. Aber die Zunahme auf dieser Strecke macht den Sicherheit­sbehörden Sorgen.

Unterdesse­n geht die Zahl der Boote auf den ebenfalls zu Spanien gehörenden Kanarische­n Inseln zurück. Dort kamen seit Januar knapp 15.000 afrikanisc­he Schutzsuch­ende an – 18 Prozent weniger als im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres.

„Wenn du 25 bist und keine Arbeit hast, dann versuchst du, auf die andere Seite des Mittelmeer­es zu kommen“

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