Rheinische Post - Xanten and Moers
Von wegen Doku!
In Interview-Serien wie „Harry & Meghan“inszenieren Promis sich selbst. Produzenten verkaufen das gern als Dokumentation, obwohl die Formate damit wenig zu tun haben. Das ist gefährlich – auch für die Hauptfiguren.
In diesen Tagen sind lauter „wahre“Geschichten ans Tageslicht gekommen. Zumindest wird damit geworben, wenn Streamingdienste Interview-Serien mit Prominenten wie dem früheren Tennisstar Boris Becker oder dem einst royalen Paar Meghan und Harry ankündigen. Endlich kämen die zu Wort, die „die ganze Wahrheit“wüssten, heißt es dann. Oder im Falle Becker: Eine neue Doku basiere auf „drei Jahren exklusivem Zugang zu Becker“und werde „alle Aspekte des Mannes“beleuchten. Das klingt nach Aufdeckung zurückgehaltener Fakten.
Doch was der Zuschauer dann zu sehen bekommt, ist in der Regel nur eine Sicht auf die Dinge: Nämlich die der Prominenten selbst, die sich für viel Geld vor die Kamera begeben, um PR zu machen – also die Öffentlichkeit für sich einzunehmen. Exklusiver Zugang hat nämlich seinen Preis, nicht nur was die Gage betrifft, sondern auch bei der Frage, wer die Spielregeln diktiert. Darum ist exklusiv oft das Gegenteil von investigativ.
Natürlich ist es das gute Recht von Promis, ihre Ansichten öffentlich zu machen. Über sie wird schließlich viel Unsinn geredet, mit spektakulären Falschinformationen über ihr Leben wird reichlich Geld verdient. Gut nachvollziehbar, dass sie das nicht nur passiv ertragen wollen, sondern aktiv dagegen vorgehen: als Selbstdarsteller. Doch sollte man das auch genauso einordnen. „Exklusive“Interviews in Serienlänge mögen aussehen wie eine Doku, weil die Promis in intimen Settings befragt werden, weil es scheinbar Einblicke in ihre (gestellten) Privaträume gibt, weil Aussagen ihrer Freunde dazugeschnitten werden. Doch diesen Formaten fehlt oft, was eigentliche Dokus ausmacht: das ganze Bild, die kritische Konfrontation mit Gegenpositionen, die Vielfalt konträrer Quellen.
Nun ist die jüngst angekündigte Doku über Boris Becker bei Apple TV+ bisher nicht zu sehen, über die Qualität kann man noch nicht urteilen. Immerhin hat Regisseur Alex Gibney bereits preisgekrönte Dokumentationen vorgelegt. Unter anderem gewann er einen Oscar. Man darf also erwarten, dass er sich gegen Einflussnahme wehren wird. Angekündigt ist bisher, dass in dem Zweiteiler „Weggefährten“und „enge Familienangehörige“zu Wort kommen sollen und Tennisstars wie John McEnroe, Björn Borg und Michael Stich. Wie kritisch das ausfallen wird, wird man sehen. Die Kernfrage ist aber immer, wer die Spielregeln bestimmt: der Filmemacher, der sich um ein möglichst breites Bild bemüht, oder der Porträtierte, der nur einwilligt, wenn zu Wort kommt, wer und was ihm passt?
Dass die einseitige Schilderung auf die Dauer recht ermüdend werden kann, zeigt das Beispiel des Paars Meghan und Harry. Zwar wurde die aktuelle Netflix-Serie, in der die beiden „auspacken“, mit viel Skandalgetöse angekündigt, doch wie kontrovers ihre Sichtweise tatsächlich ist, muss sich der Zuschauer selbst erschließen. Etwa, indem er aus anderen Medienberichten entnimmt, wie der britische Palast auf Anschuldigungen reagiert. Die Serie selbst liefert allein die unwidersprochene Sicht von Meghan und Harry. Und das zieht sich ganz schön.
In dieser Gefahr stehen auch biografische und autobiografische Filme über große Popstars wie Beyoncé oder die frühere First Lady Michelle Obama, die mit „Becoming“selbst ein Porträt über sich vorgelegt hat. Solche Filme gewähren Einblicke, die es ohne ihr Einverständnis nicht gäbe. Doch sollte der Zuschauer eben immer mitdenken, dass diese Einblicke den Interessen der
Dargestellten dient. Auch wenn das legitime Anliegen sind, wie den Beginn emanzipatorischer Bewegungen nachzuzeichnen.
Selbstinszenierung, die offen zutage tritt und vor allem der eigenen Reputation dienen soll, kann den Promis indes am Ende mehr schaden als nützen, wie sich auch am Fall „Harry & Meghan“zeigt. Vor allem, wenn das Ganze inszeniert ist wie eine Enthüllungsdoku. Meghan und Harry schildern in ihrer Serie zwar in allen Facetten, wie sie Opfer der britischen Boulevardmedien wurden und rassistische Anfeindungen erlebten. Es geht also um ein höherrangiges Thema – aber dann ganz schnell doch wieder nur um sie selbst. Wohlplatzierte Tränen während des Interviews von einer Frau, deren Profession die Schauspielerei ist, dazu Schnipsel aus einem Video-Tagebuch, das beide in den schlimmsten Phasen ihrer Auseinandersetzung mit dem Buckingham Palace geführt haben, wirken zudem zu perfekt kalkuliert.
Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass das Paar nun in Großbritannien teils als geldgierig geschmäht wird, weil es Interna aus der Königsfamilie „verkauft“habe, und die tatsächlich diskussionswürdigen Inhalte der Anklage, etwa die Rassismusvorwürfe, dahinter zurücktreten. Wegen der spürbaren Inszenierung fragen sich Zuschauer permanent, ob wahr und angemessen ist, was sie sehen. Immerhin leben Meghan und Harry auch in den USA ein privilegiertes Leben. Da mag es fragwürdig erscheinen, wenn sie in ihre Selbstinszenierung Videoschnipsel einfügen, in denen sie wirken, als seien sie soeben einer Naturkatastrophe entronnen.
Interviews mit Promis, die große Konflikte austragen oder wechselvolle Karrieren durchleben, haben hohen Unterhaltungswert. Über wie viele Folgen das trägt, mag jeder Zuschauer selbst entscheiden. Doch bleibt immer zu bedenken, was er eigentlich sieht: eine Doku oder doch nur die Selbstbehauptungsbemühungen gefallener Stars.
„Harry & Meghan“liefert nur eine Sicht der Dinge – und das zieht sich ganz schön