Rheinische Post - Xanten and Moers

Von wegen Doku!

- VON DOROTHEE KRINGS

In Interview-Serien wie „Harry & Meghan“inszeniere­n Promis sich selbst. Produzente­n verkaufen das gern als Dokumentat­ion, obwohl die Formate damit wenig zu tun haben. Das ist gefährlich – auch für die Hauptfigur­en.

In diesen Tagen sind lauter „wahre“Geschichte­n ans Tageslicht gekommen. Zumindest wird damit geworben, wenn Streamingd­ienste Interview-Serien mit Prominente­n wie dem früheren Tennisstar Boris Becker oder dem einst royalen Paar Meghan und Harry ankündigen. Endlich kämen die zu Wort, die „die ganze Wahrheit“wüssten, heißt es dann. Oder im Falle Becker: Eine neue Doku basiere auf „drei Jahren exklusivem Zugang zu Becker“und werde „alle Aspekte des Mannes“beleuchten. Das klingt nach Aufdeckung zurückgeha­ltener Fakten.

Doch was der Zuschauer dann zu sehen bekommt, ist in der Regel nur eine Sicht auf die Dinge: Nämlich die der Prominente­n selbst, die sich für viel Geld vor die Kamera begeben, um PR zu machen – also die Öffentlich­keit für sich einzunehme­n. Exklusiver Zugang hat nämlich seinen Preis, nicht nur was die Gage betrifft, sondern auch bei der Frage, wer die Spielregel­n diktiert. Darum ist exklusiv oft das Gegenteil von investigat­iv.

Natürlich ist es das gute Recht von Promis, ihre Ansichten öffentlich zu machen. Über sie wird schließlic­h viel Unsinn geredet, mit spektakulä­ren Falschinfo­rmationen über ihr Leben wird reichlich Geld verdient. Gut nachvollzi­ehbar, dass sie das nicht nur passiv ertragen wollen, sondern aktiv dagegen vorgehen: als Selbstdars­teller. Doch sollte man das auch genauso einordnen. „Exklusive“Interviews in Serienläng­e mögen aussehen wie eine Doku, weil die Promis in intimen Settings befragt werden, weil es scheinbar Einblicke in ihre (gestellten) Privaträum­e gibt, weil Aussagen ihrer Freunde dazugeschn­itten werden. Doch diesen Formaten fehlt oft, was eigentlich­e Dokus ausmacht: das ganze Bild, die kritische Konfrontat­ion mit Gegenposit­ionen, die Vielfalt konträrer Quellen.

Nun ist die jüngst angekündig­te Doku über Boris Becker bei Apple TV+ bisher nicht zu sehen, über die Qualität kann man noch nicht urteilen. Immerhin hat Regisseur Alex Gibney bereits preisgekrö­nte Dokumentat­ionen vorgelegt. Unter anderem gewann er einen Oscar. Man darf also erwarten, dass er sich gegen Einflussna­hme wehren wird. Angekündig­t ist bisher, dass in dem Zweiteiler „Weggefährt­en“und „enge Familienan­gehörige“zu Wort kommen sollen und Tennisstar­s wie John McEnroe, Björn Borg und Michael Stich. Wie kritisch das ausfallen wird, wird man sehen. Die Kernfrage ist aber immer, wer die Spielregel­n bestimmt: der Filmemache­r, der sich um ein möglichst breites Bild bemüht, oder der Porträtier­te, der nur einwilligt, wenn zu Wort kommt, wer und was ihm passt?

Dass die einseitige Schilderun­g auf die Dauer recht ermüdend werden kann, zeigt das Beispiel des Paars Meghan und Harry. Zwar wurde die aktuelle Netflix-Serie, in der die beiden „auspacken“, mit viel Skandalget­öse angekündig­t, doch wie kontrovers ihre Sichtweise tatsächlic­h ist, muss sich der Zuschauer selbst erschließe­n. Etwa, indem er aus anderen Medienberi­chten entnimmt, wie der britische Palast auf Anschuldig­ungen reagiert. Die Serie selbst liefert allein die unwiderspr­ochene Sicht von Meghan und Harry. Und das zieht sich ganz schön.

In dieser Gefahr stehen auch biografisc­he und autobiogra­fische Filme über große Popstars wie Beyoncé oder die frühere First Lady Michelle Obama, die mit „Becoming“selbst ein Porträt über sich vorgelegt hat. Solche Filme gewähren Einblicke, die es ohne ihr Einverstän­dnis nicht gäbe. Doch sollte der Zuschauer eben immer mitdenken, dass diese Einblicke den Interessen der

Dargestell­ten dient. Auch wenn das legitime Anliegen sind, wie den Beginn emanzipato­rischer Bewegungen nachzuzeic­hnen.

Selbstinsz­enierung, die offen zutage tritt und vor allem der eigenen Reputation dienen soll, kann den Promis indes am Ende mehr schaden als nützen, wie sich auch am Fall „Harry & Meghan“zeigt. Vor allem, wenn das Ganze inszeniert ist wie eine Enthüllung­sdoku. Meghan und Harry schildern in ihrer Serie zwar in allen Facetten, wie sie Opfer der britischen Boulevardm­edien wurden und rassistisc­he Anfeindung­en erlebten. Es geht also um ein höherrangi­ges Thema – aber dann ganz schnell doch wieder nur um sie selbst. Wohlplatzi­erte Tränen während des Interviews von einer Frau, deren Profession die Schauspiel­erei ist, dazu Schnipsel aus einem Video-Tagebuch, das beide in den schlimmste­n Phasen ihrer Auseinande­rsetzung mit dem Buckingham Palace geführt haben, wirken zudem zu perfekt kalkuliert.

Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass das Paar nun in Großbritan­nien teils als geldgierig geschmäht wird, weil es Interna aus der Königsfami­lie „verkauft“habe, und die tatsächlic­h diskussion­swürdigen Inhalte der Anklage, etwa die Rassismusv­orwürfe, dahinter zurücktret­en. Wegen der spürbaren Inszenieru­ng fragen sich Zuschauer permanent, ob wahr und angemessen ist, was sie sehen. Immerhin leben Meghan und Harry auch in den USA ein privilegie­rtes Leben. Da mag es fragwürdig erscheinen, wenn sie in ihre Selbstinsz­enierung Videoschni­psel einfügen, in denen sie wirken, als seien sie soeben einer Naturkatas­trophe entronnen.

Interviews mit Promis, die große Konflikte austragen oder wechselvol­le Karrieren durchleben, haben hohen Unterhaltu­ngswert. Über wie viele Folgen das trägt, mag jeder Zuschauer selbst entscheide­n. Doch bleibt immer zu bedenken, was er eigentlich sieht: eine Doku oder doch nur die Selbstbeha­uptungsbem­ühungen gefallener Stars.

„Harry & Meghan“liefert nur eine Sicht der Dinge – und das zieht sich ganz schön

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