Rheinische Post - Xanten and Moers
„Biomethan kann Erdgas ersetzen“
Warum zwei Moerser Unternehmer in Gülle und Bioabfall großes energetisches Potenzial sehen.
MOERS Neben Wasserstoff sehen die meisten Bundesbürger in Strom, der über Photovoltaik- oder Windkraftanlagen gewonnen wird, das Energiepotential der Zukunft. Marco Weiss (52) und Carsten Weiss (49) haben aber auch Biomethan im Blick. Die beiden geschäftsführenden Gesellschafter der ETW Energietechnik GmbH aus Moers produzieren Anlagen, die Biogasanlagen nachgeschaltet sind, um in Europa, aber auch in Nordamerika Biogas in Biomethan und Kohlendioxid zu trennen. Das Biomethan kann ins Erdgasnetz eingespeist werden.
Herr Weiss, warum soll sich ein Staat um die Energiewende kümmern, wenn er Erdgas für weniger Cent pro Kilowattstunde beziehen kann als bis 2021 von Russland? CARSTEN WEISS Das ist ja gerade die Gretchenfrage bei der Energiewende. Solange der äußere Zwang nicht groß ist, fallen die Entscheidungen nur nach dem Preis. Dazu ist es auch schwierig, den Überblick zu behalten. Es wird für unsere Lebensweise einfach Unmengen an Energie benötigt. Das versucht der Staat sicherzustellen. Da ist oder war Erdgas natürlich eine günstige Lösung. Erneuerbare Energien sind da einfach viel komplizierter.
Gleichzeitig scheint es schwierig zu sein, Potenziale zu sehen, zum Beispiel im Bundeswirtschaftsministerium? Sigmar Gabriel (SPD), von 2013 bis 2017 Wirtschaftsminister im Kabinett Merkel III, und Peter Altmaier, von 2018 bis 2021 Wirtschaftsminister im Kabinett Merkel IV, haben vor allem auf günstiges Erdgas aus Russland gesetzt, nicht auf Biomethan, das in der Europäischen Union produziert wird. CARSTEN WEISS Im Bundeswirtschaftsministerium gibt es die Tendenz, mit den großen Energiekonzernen eine zentrale und nationale Energieerzeugung zu organisieren. Das Erdgas kam aus Russland für deutlich weniger als 2 Cent je Kilowattstunde in der Bundesrepublik an. Anders als in anderen europäischen Ländern wurde in Deutschland nicht über eine dezentrale und EU-europäische Energieerzeugung nachgedacht. Das änderte sich am 24. Februar 2022, als Russland in der Ukraine einmarschierte. Zuvor erinnerte alles ein wenig an die Planwirtschaft einstiger Jahre, zum Beispiel die bevorzugte Förderung von Wasserstoff. Als Unternehmer sehe ich jedwede Subvention kritisch, da es die Entwicklung der besten Lösungen behindert und Fehlanreize setzt.
MARCO WEISS In Biogasanlagen lässt sich heute Biomethan für 5 bis 10 Cent pro Kilowattstunde herstellen. Es ist ein grünes Methan, kein schwarzes, wie Erdgas, das beim Verbrennen den CO2 Gehalt der Luft erhöht. Durch Biomethan gelangt kein zusätzliches CO2 in die Atmosphäre. Es hat ein riesiges Potential, vor allem seitdem der Gaspreis auf den internationalen Märkten über dem Produktionspreis liegt, wenn es überhaupt zu bekommen ist. Die EBA, die European Biogas Association, prognostiziert, dass die Herstellung von Biomethan von heute rund 180 Terawattstunden im Jahr die 18 Milliarden Kubikmeter entsprechen, stark steigen könne. Bis 2030 hält die EBA 420 Terawattstunden für möglich, die 42 Milliarden Kubikmetern entsprechen. Zum Vergleich: Ein Atomkraftwerk produziert, je nach Größe, im Jahr fünf bis zehn Terawattstunden Energie. Bis 2050 könnten in der Europäischen Union 1250 Terawattstunden Methangas produziert werden. Das entspricht etwa drei Viertel der Gasmenge, die 2020 von Russland nach Deutschland geflossen ist.
Welchen Anteil kann Biomethan erreichen?
CARSTEN WEISS Wenn der Energieverbrauch jedes Jahr leicht zurückgeht, könnte um 2050 in Deutschland
die Hälfte des heutigen Erdgases durch Biomethan ersetzt werden. Die andere Hälfte könnte durch Wasserstoff substituiert werden, der über Strom aus Photovoltaikoder Windkraftanlagen gewonnen werden könnte, zum Beispiel für die Chemie- und Stahlindustrie. Allerdings sind Prognosen, die über zehn und mehr Jahre hinausgehen, sehr vage, weil sich die Grundannahmen ändern können. Gleichzeitig ist Energiepolitik sehr langfristig zu denken, weil eine Anlage, die einmal gebaut ist, jahrzehntelang laufen muss, bis sie rentabel ist, sei es ein Holzkraftwerk oder eine Biogasanlage. Außerdem dauert es oft Jahre, bis eine Anlage genehmigt ist und errichtet werden kann. Dieses Dilemma, ohne genaue Kenntnis der Zukunft genau diese Zukunft zu planen, lässt sich nicht lösen, aber abmildern. Menschen in der Energiewirtschaft haben ein seismographisches Gespür auszubilden, wie sich der Energiesektor langfristig entwickelt.
MARCO WEISS Biomethan hat drei große Vorteile: Die Infrastruktur, das bestehende Erdgasnetz, ist vorhanden und kann genutzt werden. Wie Erdgas kann es leicht und ohne Energieverlust gespeichert werden, zum Beispiel in unterirdischen Kavernen, etwas für den Winter, wenn mehr Gas verbrannt wird. Es ist CO2-neutral, wird also nicht mit der CO2-Zertifiaktsabgabe belastet wie Erdgas. Außerdem lässt es sich pro Kilowattstunde Energie günstig herstellen, günstiger als zum Beispiel Wasserstoff. Es wird jedes Jahr gefragter, weil Mineralölkonzerne kontinuierlich den Anteil des Sprits zu erhöhen haben, der aus regenerativen Energien kommt und nicht aus fossilen. Die Mineralölkonzerne müssen über die THGQuoten jedes Jahr mehr Zertifikate einkaufen, mit denen an anderer Stelle CO2 eingespart wird, und dies funktioniert mit Biogas extrem wirtschaftlich.
Die ETW stellt Anlagen her, die Biogas, das zur Hälfte aus Methangas und zur Hälfte aus Kohlenstoffdioxid besteht, trennt. Kern ihrer Biomethananlage ist eine PSA-Anlage. Ein Adsorptionsmittel hält Kohlenstoffdioxid
fest, wie ein Schwamm Wasser. Das Methan strömt durch, wie bei einem Schwamm Luft hindurchgeht. Wenn das Adsorptionsmittel gefüllt ist, wird es mit Unterdruck leergezogen, wie ein voller Schwamm leer gedrückt wird. Korrekt?
MARCO WEISS (schmunzelnd) Das ist eine gute Erklärung für die Pressure-Swing-Adsorption, die DruckWechsel-Adsorption, kurz PSA. Das Verfahren ist komplizierter, weil wir sechs Adsorptionsbehälter haben, die nebeneinander geschaltet sind. Außerdem ist keine Flüssigkeit, Wasser, von einem Gas, Luft, zu trennen, sondern ein Gasgemisch, Biomethan und Kohlenstoffdioxid. Die Steuerung der Anlage ist nicht ganz einfach, weil die Adsorptionsbehälter mit CO2 gefüllt sein sollen, bevor sie leergezogen werden, aber auch nicht überlaufen dürfen. Ein voller Schwamm hält auch kein Wasser mehr zurück. Wenn man zu oft leert, steigt der Energieverbrauch. Es ist ein schmaler Grat.
CARSTEN WEISS Unser System trennt mit hohem Reinheitsgrad mehr als 99 Prozent. Es arbeitet energieeffizient und ist wartungsarm. Unsere Technologie setzt weltweit Maßstäbe. Deshalb liefert die ETW Anlagen in alle Welt. Schwerpunkte sind die EU-Länder und die nordamerikanischen Staaten.
Woher soll das Material kommen, um Biogas zu gewinnen?
MARCO WEISS Überall fällt Bioabfall an, zum Beispiel Lebensmittelreste in Restaurants, die heute in der braunen Tonne landen und kompostiert werden. In Haushalten werden sie oft nicht getrennt erfasst. Grünabfälle aus Gärten werden nicht genutzt. Grünschnitt an den Straßen bleibt liegen. Außerdem werden von der Gülle in Deutschland nur 30 Prozent genutzt, um Biogas zu gewinnen. In der gesamten Europäischen Union sind es noch weniger. Länder mit viel Fläche, zum Beispiel Frankreich, haben einen hohen Nachholbedarf bei Biogasanlagen.
CARSTEN WEISS In Deutschland ist die rechtliche Lage nicht optimal gelöst. Zum Beispiel dürfen Landwirte Straßenbegleitgrün nicht in ihren Biogasanlagen verwerten, weil es als Abfall eingeordnet wird. Aber Gülle aus der Milchkuhhaltung dürfen sie einsetzen. Ein Landwirt wurde sogar einmal verklagt, weil er Straßenbegleitgrün von einer Kommune verwertet hat. Dabei ist es ein organischer Stoff, der problemlos in einer Biogasanlage vergoren werden kann. In anderen Ländern verlaufen die Grenzen anders. Das macht es den Betreibern von Biogasanlagen leichter, zum Beispiel in Dänemark.
Kann das CO2, das in Ihren Anlagen gewonnen wird, verwertet werden?
MARCO WEISS Das CO2 ist lebensmittelecht. Es kann in der Lebensmittelindustrie genutzt werden, zum Beispiel um in der Limonaden für das schöne Prickeln zu sorgen. Oder es kann als Gas für Schutzatmosphäre verwendet werden, um verpackte Lebensmittel länger haltbar zu machen. Es kann als Trockeneis verwendet werden, zum Bespiel um Impfstoffe bei Transport kühl zu halten. Schon heute wird CO2 in Gewächshäusern eingesetzt. Die Konzentration wird über die 0,04 Prozent erhöht, die in der Luft vorhanden sind, damit Tomaten oder Blattsalat schneller wachsen. Die ETW entwickelt gerade eine Anlage, um Kohlenstoffdioxid bei einem Druck von 18 bar Druck und einer Temperatur von 24 Grad Minus zu verflüssigen. Dann lässt es sich leichter lagern und transportieren. CARSTEN WEISS Denkbar ist auch, das CO2 im Boden zu verpressen, zum Beispiel in einstigen Lagerstätten von Erdgas oder Erdöl. Es dringt nicht mehr nach außen. „Carbon Capture und Storage“heißt dieses Verfahren. Kurz CCS. Diese Technik ist mit Kosten von deutlich unter 100 Euro pro Tonne der günstigste Weg, um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen und so für negative CO2 Emissionen zu sorgen. Es gibt Unternehmen, die viel mehr bezahlen, zum Beispiel der Softwarehersteller Microsoft, um CO2-neutral zu werden. Einige Umweltorganisationen sagen, der Schaden einer Tonne CO2 für das Klima liege über 200 Dollar, die fast 200 Euro entsprechen. Lange Zeit stand Deutschland dem CCSVerfahren skeptisch gegenüber, auch das Bundeswirtschaftsministerium. Mittlerweile scheint Robert Habeck offener für das CCS-Verfahren zu sein. Norwegen denkt über eine CO-Pipeline nach Deutschland nach, um CO2 einzulagern. Norwegen will es in Kavernen drücken, die mit der Gasförderung entstanden sind. Biomethan ist somit auch ein Lösungsweg, um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen.
So hilft die grüne Technologie aus Moers also, die
Energiewende und den Ausstieg aus fossilem CO zu beschleunigen ...
MARCO WEISS UND CARSTEN WEISS Jetzt und mit langfristiger Perspektive. Die ETW hat volle Auftragsbücher, weil die Technologie gefragt ist, das Potential des grünen Gases zu heben.